Читать книгу Kinder der Dunkelheit - Gabriele Ketterl - Страница 12

3.

Оглавление

»Mohammed, wie schön, Euch zu sehen!« Donna Sonja kam strahlend und mit weit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Mohammed wusste, dass er die zu erwartende überschwängliche Umarmung rechtzeitig abwenden musste, wollte er nicht wieder den Unwillen aller männlichen Anwesenden auf sich ziehen. Also griff er mit einer eleganten, fließenden Bewegung nach der rechten Hand der edlen Dame und deutete einen Handkuss an.

»Donna Sonja, schön wie immer. Ihr seid der strahlendste Stern dieser Nacht!«

Die Gastgeberin schmolz vor seinen Augen dahin. »Mohammed, Ihr seid solch ein Schmeichler! Aber ich bitte Euch, macht weiter, ich sauge Eure Komplimente auf und verschließe sie in meinem Herzen, für die trockenere Zeit in meinem Heim.« Ein Seitenhieb auf ihren sicherlich langweiligen, doch gutmütigen Gatten, der solche verbalen Fehlgriffe seiner Frau meist mit einem Lächeln überspielte.

Fröhlich plaudernd führte ihn seine Gastgeberin durch die Räumlichkeiten auf die große Terrasse hinaus, wobei er ununterbrochen Bekannte und Freunde begrüßte; das Gesicht jedoch, das er am meisten zu sehen wünschte, konnte er zu einer großen Enttäuschung nicht entdecken. Nur widerwillig ließ seine Gastgeberin ihn schließlich aus ihren Fängen und wandte sich ihren übrigen Gästen zu, um sich nicht allzu offensichtlich nur Mohammed zu widmen.

Endlich hatte er die Muße, sich ein Glas Wein zu holen und sich unter die anderen Gäste zu mischen. Ihm fiel auf, dass außer ihm und Salman, dem Besitzer der großen Pferdezucht, offenbar nur Christen von Donna Sonja eingeladen worden waren. Das überraschte ihn, denn bis zum heutigen Tage waren die Festgäste von Donna Sonja stets eine gute Mischung aus Christen und hochrangigen muhammadi der Gesellschaft Granadas gewesen. So gern er es getan hätte, das konnte nicht einmal er ignorieren – trotz seines ansonsten so unbeschwerten Gemütes. Während er grübelnd an einer Wand lehnte, ließ er den Blick über die Gäste schweifen. Zwar hatten ihn alle herzlich und freundlich begrüßt, doch so sehr er auch versuchte, es zu verdrängen, so wie heute war noch keine der Einladungen gewesen. Nur ab und zu kam jemand auf ihn zu und sprach ihn an. Die Unterhaltungen waren kurz und oberflächlich, fast so, als fürchtete man, ein Thema anzusprechen, das unangenehm werden könnte.

Er war tief in Gedanken versunken, als hinter ihm die Stimme erklang, auf die er so sehr gehofft hatte.

»Guten Abend! Schön, Euch zu sehen, Mohammed. Seid Ihr ganz allein hier?«

Mohammed wandte sich der Sprecherin zu. Ana lächelte ihn so erfreut und herzlich an, dass er alle negativen Gedanken sofort beiseiteschob.

»Jetzt nicht mehr, Ana. Ich hatte gehofft, dass Ihr auch hier seid. Ich musste Euch sehen.«

Fast unmerklich hob Ana den Finger an die Lippen, so als bedeute sie ihm, zu schweigen. Er unterbrach sich und blickte Ana fragend an. Die sprach an seiner statt nun fröhlich weiter. »Kommt, lasst uns einen Platz suchen und ein wenig plaudern.«

Sie ließen sich auf einer Bank, abseits vom Trubel nieder. Mohammed saß nun so, dass er den übrigen Anwesenden den Rücken zukehrte. Das schien Ana so beabsichtigt zu haben. Ihr Blick war seltsam unruhig, doch nachdem sie ihn eine Weile suchend über die Gäste hatte schweifen lassen, wandte sie sich ihrem Gegenüber etwas weniger angespannt zu.

»Mohammed, du musst vorsichtiger sein, das ist wichtig. Sieh dich einmal unauffällig um, was siehst du?«

Mohammed tat, wie ihm geheißen, bevor er leise antwortete. »Christen? Abgesehen davon sehe ich die schönste Frau der Welt.«

Ana seufzte nur. »Bleib ernst, bitte, lenk nicht ab. Mir ist nicht nach Scherzen.« Dennoch lachte sie laut, als habe Mohammed ihr etwas sehr Lustiges erzählt, doch ihre Augen blieben ernst. Als sie gleich darauf weitersprach, war ihm sofort klar, warum. »Meine Eltern haben mir gestern Abend eröffnet, dass sich ihre Pläne in Sachen meiner Vermählung gefestigt hätten. Ich soll Don Ricardo heiraten. Mein Vater hat ihm bereits seine Zustimmung erteilt.«

»Nein, das kann er nicht tun!« Alle Vorsicht vergessend, hatte Mohammed so laut gesprochen, dass sich einige der Gäste zu ihnen umdrehten.

Ana reagierte sofort. »Doch, wenn ich es Euch sage, er wird das Pferd verkaufen! Ich hatte nicht einmal die Chance, ein Gebot abzugeben«, rief sie ebenso laut.

Wie sehr Mohammed Ana in diesem Augenblick für ihre kluge Reaktion bewunderte, vermochte er nicht auszudrücken. Er ging auf ihr Spiel ein. »Aber Ana, Ihr müsst doch zumindest Eure Meinung zu dem Verkauf äußern dürfen. Dies ist auch Eure Entscheidung!«

Ana winkte lächelnd ab und schlug ihm spielerisch mit dem Fächer auf den Arm. »Ach Mohammed, mein Lieber, was redet Ihr da? Wenn Männer sich über ein Geschäft einig sind, ist es schwer für eine Frau, sich auch nur Gehör zu verschaffen. Folglich konnte ich in diesen Handel nicht mehr eingreifen.«

Mohammed verstand sehr wohl. Anas Eltern hatten ihre Entscheidung getroffen. Der wohlhabende christliche Adlige mit seinen ausgedehnten Besitztümern und seinem großen Vermögen war für Anas Vater sicherlich ein erstrebenswerter Schwiegersohn. Leise fuhr Mohammed fort: »Ana, du musst mit uns kommen! Wir werden Andalusien verlassen. Ich liebe dich! Wir werden alle Vorkehrungen treffen und dann folgen wir meinen Eltern nach Marokko. Solange du hier bist, bleibe ich auch.«

Ana schüttelte den Kopf. Wieder etwas lauter erklärte sie: »Ach nein, lieber Freund, der Handel kann nicht rückgängig gemacht werden. Ich kann mir auch so rasch kein neues Tier auswählen. Solch eine Entscheidung will wohl überlegt sein.«

Mohammed konnte sich gerade noch zurückhalten, fast hätte er nach Anas Hand gegriffen. »Herzogin, bitte lasst mich wissen, wenn Ihr Eure Wahl getroffen habt. Ich werde Euch unterstützen, wo ich kann – glaubt mir, das nächste Mal wird das Geschäft gut für Euch ausgehen und Euren Wünschen wird entsprochen werden.«

»Wer hat den Wünschen der schönsten Dame Andalusiens nicht entsprochen? Nennt mir Namen, Herzogin, und ich werde ihn auf der Stelle herausfordern!« Don Ricardos Stimme war so, wie der ganze Mann stets auf Mohammed wirkte: klebrig, süß und auch noch doppelzüngig.

Es gab wenige Menschen, die Mohammed wirklich verabscheute. Don Ricardo war mit Sicherheit einer davon – und das nicht nur, weil er um die Frau warb, die Mohammed selbst von ganzem Herzen liebte. Ihm war bewusst, Ana würde sich niemals gegen ihre Eltern stellen. Sie würde das tun, was man von einer Tochter aus gutem Hause erwartete, auch wenn das bedeutete, dass sie auf ihre eigentliche Liebe verzichten musste.

Mohammed gab sich redlich Mühe, seine Gefühle zu verbergen, als er sich zu Don Ricardo umdrehte.

»Don Ricardo, man hat Herzogin Ana einen Wunsch versagt. Sie hatte ein Auge auf ein wundervolles Reitpferd geworfen, doch als sie sich darum bemühte, musste sie feststellen, dass der Handel mit einem anderen bereits perfekt war.«

Don Ricardo befand es nicht für nötig, Mohammed direkt zu antworten, stattdessen wandte er sich sofort an Ana. »Aber liebe Ana, Ihr könnt doch nun wahrlich jedes Tier aus meinem Stall haben! Seht Euch um, sobald es Euch beliebt, und Ihr habt die freie Wahl!« Don Ricardo tätschelte tröstend Anas Schulter, was bei Mohammed fast schon Brechreiz auslöste. Der Spanier zwirbelte nachlässig seinen wohlgestutzten Schnurrbart. »Wisst Ihr, Ana, Gedanken über unerfüllte Wünsche werden bald der Vergangenheit angehören, dies darf ich Euch versichern.«

Mohammed sah, wie schwer es Ana fiel, möglichst ungerührt zu antworten. »Danke, Don Ricardo, Eure Großzügigkeit ist wahrlich überwältigend. Ich weiß Euer Angebot wirklich zu schätzen.«

Der Don entschuldigte sich kurz, um für sich und Ana Wein zu holen, nachdem sie ihn darum gebeten hatte. Kaum war er außer Hörweite, bat Ana Mohammed zu gehen. »Mohammed, du bist ab jetzt auf feindlichem Terrain. Don Ricardo ist skrupellos und sicherlich nicht dumm. Er ahnt meine Gefühle für dich. Auch wenn es mir fast das Herz bricht – ich möchte, dass du gehst.«

Mohammed rückte ein wenig näher an Ana heran. »Ich gehe, jedoch nur, wenn du mir versprichst, dass du mir morgen eine Nachricht zukommen lässt, wie du dich entschieden hast. Wähle eine Zofe, der du absolut vertraust. Mir scheint, dass wir besser äußerst vorsichtig sein sollten.«

Ana nickte ungeduldig. »Ja, ich verspreche es, aber nun geh!«

Mohammed erhob sich und verabschiedete sich laut und deutlich von Ana. »Herzogin Ana, mit Euch vergeht die Zeit immer wie im Fluge. Ich darf mich verabschieden, morgen warten wichtige Geschäfte auf mich, wichtige Entscheidungen sind zu treffen, dazu bedarf es eines wachen Verstandes.« Er verbeugte sich vor Ana, hauchte einen Kuss auf ihre Hand und machte sich dann auf die Suche nach Donna Sonja, um ihr für die Einladung zu danken und sich auch von ihr zu verabschieden.

Als Mohammed den großen Saal betrat und auf die Donna zusteuerte, löste sich hinter ihm Don Ricardo aus dem Schatten eines Mauervorsprungs, sein Lächeln entbehrte jeder Herzlichkeit.

Mohammed jagte seinen geliebten Schimmel durch die Nacht, als wären ihm Höllenhunde auf den Fersen. Die Posten, die Fathi aufgestellt hatte, erkannten den Sohn ihres Herrn und ließen ihn ungehindert passieren. Anas offenbare Furcht hatte sich auf ihn übertragen. Noch nie hatte sie Angst gezeigt, noch nie hatte sie so verunsichert gewirkt – und nun das! Die Ankündigung der bevorstehenden Verlobung mit dem Don, ihre Warnung, dass er nicht sicher sei, und die Tatsache, dass sie ihn weggeschickt hatte, auch wenn es zu seinem eigenen Wohl war. Ohne Ana aber war ihm sein Wohl egal, vollkommen egal. Aufgewühlt und verstört versorgte er sein Pferd und ging dann auf sein Zimmer. Wie so oft, wenn er nachdenken musste, setzte er sich auf die Brüstung seines Balkons und blickte zum nachtschwarzen Himmel empor. Leider wartete er vergeblich auf eine Eingebung von oben. Also musste er selbst eine Lösung finden – und zwar eine, die weder Ana noch seine Familie in Gefahr bringen würde. Die Frage war nur: welche?

Kinder der Dunkelheit

Подняться наверх