Читать книгу Kinder der Dunkelheit - Gabriele Ketterl - Страница 11
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Auf der kleinen Plaza vor der uralten Kirche war es um diese Zeit sonst voll gewesen. Fröhliche Kinder hatten gespielt und die Menschen hatten angeregt über den vergangenen Tag geplaudert. Vor einiger Zeit war dieses unbeschwerte Treiben verschwunden und die große Fläche lag wie ausgestorben da. Nun hasteten die Menschen mit eingezogenem Kopf durch die Nacht. In der Mitte des Platzes zeugte ein großer, fast kreisrunder schwarzer Fleck von einem Feuer, das dort erst kürzlich gebrannt haben musste. Die Stelle wies einen Durchmesser von über drei Metern auf. Vereinzelt waren noch verkohlte Papier- und Pergamentschnipsel zu entdecken, im übrigen ließ nichts mehr darauf schließen, was hier geschehen war.
Juan allerdings wusste es nur zu gut. Er war selbst dabei gewesen. Er selbst hatte einige der alten Bücher ins Feuer geworfen, und es hatte sich gut angefühlt. Heidnisches Gedankengut, sinnloser Ballast für die Köpfe der Menschen, die doch lieber arbeiten sollten und dafür Sorge tragen, dass dieses Land wieder frei, dass es wieder ein christliches Land sei! Den Inhalt der Bibliothek zu verbrennen, war eine gute und gottgefällige Tat gewesen.
Juan vergrub die Hände tief in den Taschen seiner Jacke und starrte suchend über die Plaza.
»Hoffentlich kommt er«, sagte Pedro unruhig seufzend. Er hatte ein mieses Gefühl, was möglicherweise daran liegen konnte, dass er gerade dabei war, heftig in die Hand zu beißen, die ihn so lange und so reichlich gefüttert hatte.
»Natürlich kommt er. Er ist ein Ehrenmann.«
»Hm, ein Ehrenmann, der andere dafür bezahlt, dass sie zum Verräter werden.«
»Halt dein dummes Maul, du Schwachkopf, willst du auf der falschen Seite stehen, wenn es so weit ist? Hast du Lust, zu krepieren?«
Pedro schüttelte kleinlaut den Kopf.
»Dann reiß dich zusammen!« Juan wütend zu machen, war nicht gut. So dämlich, wie er war, so brutal konnte er auch werden. Das wusste Pedro und so senkte er sicherheitshalber wieder den Kopf und hing still seinen Gedanken nach. Lange Zeit dazu blieb ihm nicht. Aus dem Dunkel einer Gasse erklang der Hufschlag von Pferden und wenige Augenblicke später rollte eine prächtige Kutsche auf den Platz. Der Kutscher brachte die Pferde vor den beiden Männern zum Stehen und stieg ab, um seinem Herrn beim Aussteigen behilflich zu sein.
Don Ricardo war ebenso eingebildet wie reich. Seine Kleidung zeugte von einem exquisiten Geschmack und seine Haltung von einer schier unglaublichen Arroganz. Doch leider konnten die edelste Kleidung und der stolzeste Ausdruck nicht die brutalen Züge in seinem Gesicht abmildern. Das aber war ihm denkbar egal, er hatte alles, was er brauchte, und mehr noch. Nun würde er dafür sorgen, dass er zuletzt das bekam, was er mehr als alles andere begehrte – Herzogin Ana. Sie würde die absolute Krönung seines Lebens sein und er würde ihr ein Geschenk machen, das sie überraschen würde. Nicht umsonst schwärmte sie immer wieder von einem ganz bestimmten Blumengarten! Im Moment aber galt es, die Hindernisse zu beseitigen, die auf dem Weg zu seinem erklärten Ziel standen. Aus diesem Grund war er jetzt hier und aus diesem Grund standen diese beiden jämmerlichen Gestalten vor ihm.
»Nun, Juan, was hast du herausgefunden? Sag mir, dass ich mein sauer verdientes Gold gut angelegt habe.« Don Ricardo legte seine Hand fast zärtlich an den Knauf seines Schwertes.
Es war eine unbewusste Bewegung, doch für Juan und Pedro sehr beunruhigend. Folglich beeilte sich Juan, ihm zu versichern, dass alles den Plänen entsprechend laufen würde. »Herr, es ist so, wie ich bei unserem letzten Treffen vermutete. Yussuf al Hassarin wird das Land verlassen, und mit ihm seine Familie und die Dienerschaft.«
Don Ricardo zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Die ganze Familie? Wirklich alle? Das überrascht mich jetzt etwas.«
Juan zuckte mit den Schultern. »Na ja, so ist das bei denen. Was das Familienoberhaupt bestimmt, das muss befolgt werden. Wir sind abgehauen, nachdem dieser schwarze Riese uns befohlen hat, das Zeug vom Stall zu packen.«
Don Ricardo starrte nachdenklich auf die silbernen Spitzen seiner schwarzen Lederstiefel. »Was denkst du, wann werden sie aufbrechen?«
Juan sah etwas ratlos aus. »Ich denke, frühestens übermorgen. Sie werden sowieso viel zurücklassen müssen, aber es dauert trotzdem, bis sie alles in Kisten und Taschen verstaut haben. Wenn ich richtig gehört habe, dann hat al Hassarin auch für seine Pferde Sorge getragen, dass sie mitgeführt werden.«
Der Don nickte gedankenverloren. »Gut, ihr haltet Kontakt zu eurem Informanten. Ich will sofort Bescheid erhalten, wenn ihr wisst, wann sie alles fertig haben und aufbrechen, habt ihr verstanden?«
»Natürlich Herr, Ihr werdet es sofort erfahren.« Juan verbeugte sich tief vor dem Don, dem das sichtlich gefiel.
»Schon gut, schon gut. Du musst es nicht übertreiben. Tu deine Pflicht, das genügt mir schon.«
Er stieg wieder in seine Kutsche und wies den Kutscher an, loszufahren. »Los, ab zu Donna Sonja, ich bin sowieso schon spät! Ich möchte noch einmal die Anwesenheit des unwiderstehlichen Mohammed al Hassarin genießen.« Das Lachen des Don klang alles andere als gut gelaunt.
Pedro schüttelte sich, als der Don samt der Kutsche im Dunkel der Nacht verschwunden war.
»Compadre, der Kerl ist mir unheimlich. Der will nicht nur wissen, wann die Bahn für ihn frei ist! Der ist schon seit Jahren scharf auf die Güter der al Hassarins. Don Ricardo ist eine hasserfüllte Kröte und ich traue ihm zu, dass er der Familie ein Leid antut.«
Juan drehte sich mit einem bösen Lachen zu seinem Begleiter um. »Wie blöd bist du eigentlich? Natürlich will er die al Hassarins ausschalten, Mann, was erwartest du? Die Heiden haben das schönste Land, die schönsten Häuser und Geld im Überfluss, seit unzähligen Jahren. Woher glaubst du wohl, dass das kommt?«
Pedro sah Juan herausfordernd an. »Lass mich mal nachdenken. Möglicherweise daher, dass sie aus einer Wüste schöne Gärten gemacht haben. Oder vielleicht auch daher, weil sie fleißig und geschickt sind? Könnte das sein?«
Juans Gesicht war jetzt ganz nahe an dem Pedros. »Mann, ich sag es dir noch einmal. Wenn du die al Hassarins so liebst, dann geh zu ihnen zurück! Aber sei gewarnt, wenn du dein dummes Maul nicht im Zaum halten kannst, dann könnte es ein Problem geben.«
»Ach, und das wäre?«
Juan setzte sein typisch zynisches Lächeln auf. Ein Lächeln, das so falsch war wie der ganze Mann. »Ich weiß ja nicht, wie viel dir deine Frau und deine kleine Tochter bedeuten. Ich würde sehr auf sie achten, wenn ich du wäre. Es passiert so viel dieser Tage. Weißt du, täglich sterben Menschen, einfach so …« Juan schnippte mit den Fingern und Pedro wurde plötzlich kalt, sehr kalt.
Juan kicherte. »Ah, ich sehe, die ist Botschaft angekommen. Jetzt hau ab, verschwinde zu deiner schönen Frau und deiner süßen Tochter! Sieh sie dir gut an, damit du weißt, was auf dem Spiel steht.«
Als Juan sich noch immer lachend abwandte und sich selbst zu seiner Familie trollte, stand Pedro noch lang allein auf der Plaza. Nur langsam wurde ihm bewusst, was er getan hatte, und dass er nichts mehr daran ändern konnte. Er kannte Juan lange genug, um zu wissen, dass der ohne mit der Wimper zu zucken auch Kinder ermorden würde, wenn sie seinen Plänen und denen seiner Auftraggeber im Wege standen. Verfluchte Söldnerseele!