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Das Vierte Reich in Geschichte und Erinnerung

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Dieses Buch untersucht die Entwicklung des Vierten Reiches in der Nachkriegszeit des Westens und verfolgt dabei sowohl einen chronologischen als auch einen thematischen Ansatz. Der erste Teil des Buches konzentriert sich auf die Ursprünge des Vierten Reiches in Deutschland vom Beginn der 1930er- bis zum Beginn der 1950er-Jahre. Kapitel 1 zeigt, wie die Idee als antinazistische Parole bei den unterschiedlichsten Dissidentengruppen aufkam, darunter linksgerichteten deutsch-jüdischen Exilanten, konservativen Wehrmachtsoffizieren und abtrünnigen Nationalsozialisten. In der Folge versuchten Vertreter des NS-Regimes, den Begriff zu unterdrücken, was britische und amerikanische Beobachter zunächst dazu bewog, das Vierte Reich als hoffnungsvolles Symbol eines zukünftigen demokratischen Deutschlands zu deuten. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wandelte sich das Vierte Reich jedoch in ein mahnendes Symbol eines blinden NS-Fanatismus, da Engländer und Amerikaner befürchteten, die Anhänger der Nationalsozialisten könnten zum Kampf gegen die Alliierten in den Untergrund gehen. Kapitel 2 konzentriert sich auf die Besetzung Deutschlands durch die Alliierten von 1945 bis 1949 und beschreibt, wie amerikanische und britische Militärvertreter, Journalisten, zivile Lobbyorganisationen, Schriftsteller und Filmemacher weiter vor der Möglichkeit eines Vierten Reiches warnten, falls die Alliierten den Nazismus nicht aus allen Bereichen des täglichen Lebens in Deutschland eliminierten. Wie diese Angst zeigt, waren unbeirrbare Nazis in dieser Zeit aktiv bestrebt, die Besatzung durch die Alliierten zu stürzen und das Reich wiederzubeleben. Dazu gehörten die Aktionen der Organisation Werwolf 1945–1946, der Putschversuch unter der Leitung von Reichsjugendführer Artur Axmann in den Jahren 1945–1946 und die Verschwörung »Deutsche Revolution« unter der Leitung von SS- und Wehrmachtsveteranen in den Jahren 1946–1947. Die Alliierten vereitelten letztlich zwar all diese Umsturzpläne, doch der Entwurf bestimmter kontrafaktischer Szenarien zeigt, wie sie hätten gelingen können. Kapitel 3 untersucht den Aufstieg der SRP und die Aufdeckung der Gauleiter-Verschwörung in den Jahren 1950–1952 und zeigt, wie nationalsozialistische Widerstandsbewegungen nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 fortbestanden. Wie die Putschversuche während der Besatzungszeit wurden auch diese Gefahren abgewendet. Doch unter etwas anderen Umständen wäre ihnen vielleicht mehr Erfolg beschieden gewesen. Erkennt man die Verwundbarkeit Westdeutschlands gegenüber der nationalsozialistischen Bedrohung in dieser Zeit an, so wird klar, dass die Angst vor einem Vierten Reich keineswegs unbegründet war.

Der zweite Teil des Buches umfasst die 1960er-Jahre bis zur Gegenwart und untersucht, wie sich die Vorstellung eines Vierten Reiches außerhalb Deutschlands verbreitete, schließlich jedoch nach einem Umweg wieder nach Deutschland zurückkehrte. Kapitel 4 beschreibt, wie die Angst vor einer Rückkehr der Nationalsozialisten durch den Ausbruch der »Schmierwelle« 1959–1960 und den Aufstieg der NPD von 1964 bis 1969 in der Bundesrepublik neuen Auftrieb erhielt. Diese Ängste erwiesen sich letztlich zwar als unbegründet, verschwanden jedoch nicht vollständig. Etwa zur gleichen Zeit gab es neue Bedenken, der Nationalsozialismus könne in den Vereinigten Staaten Einzug halten. Der Aufstieg der amerikanischen Nazipartei in den 1960er-Jahren, der rassistische Backlash gegen die Bürgerrechtsbewegung, der eskalierende Krieg in Vietnam und das skandalöse Verhalten der Nixon-Regierung ließen linksliberale Amerikaner den Anbruch eines Vierten Reiches befürchten. Diese Bedenken verallgemeinerten die Bedeutung des Begriffs und spielten so eine wichtige Rolle bei seiner Normalisierung. Auch die Ästhetisierung des Vierten Reiches in der Populärkultur beförderte diesen Normalisierungsprozess. Kapitel 5 erläutert, wie die Angst vor einer Rückkehr der Nationalsozialisten an die Macht zu einer Quelle der Massenunterhaltung in der angloamerikanischen Literatur, in Filmen und Fernsehsendungen der »langen 1970er-Jahre« wurde. Diese kulturelle Wende stellte eine wichtige Etappe in der Entwicklung des Vierten Reiches in der Nachkriegszeit dar, kam jedoch mit dem Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung 1989–1990 abrupt zum Erliegen. Kapitel 6 zeigt, wie das Vierte Reich ab den 1990er-Jahren und nach der Jahrtausendwende »regermanisiert« und zu einem Thema von neuem politischen Interesse wurde. In ganz Europa äußerten besorgte Beobachter die Befürchtung, die Bundesrepublik steuere in eine rechte, wenn nicht gar neonazistische Richtung. Manche Behauptungen gründeten auf berechtigten Bedenken, da rechte Intellektuelle in Deutschland die politische Grundlage für ein zukünftiges Viertes Reich theoretisierten. Andere Äußerungen, die insbesondere im Zuge der Finanzkrise von 2008 in Ländern wie Griechenland, Italien und Russland fielen, waren eher tendenziöser Art und Ausdruck eines zynischen innen- und außenpolitischen Kalküls.

Wie sich das Vierte Reich in Zukunft entwickeln wird, ist ungewiss. Der Schlussteil dieses Buches untersucht jedoch die Möglichkeit, dass es in einer Welt zunehmender Ungewissheit ein attraktiver Bedeutungsträger bleiben wird. Bislang hat der Begriff weitgehend als ominöser Mahnruf gedient, doch wer weiß, ob er sich nicht zu einem Inspirationsquell entwickeln wird. Angesichts der Art und Weise, wie nationalsozialistische Gruppen den Begriff seit 1945 am Leben erhalten haben, ist es durchaus denkbar, dass die Vorstellung eines Vierten Reiches unter den richtigen Bedingungen eines Tages eine ungeahnte Renaissance erleben könnte.

Das Vierte Reich

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