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Das Vierte Reich vor 1933

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Wie ihr Vorgänger hat auch die Idee des Vierten Reiches tiefer liegende religiöse Wurzeln. Sie geht zurück auf das Buch des Propheten Daniel, speziell das zweite und siebte Kapitel, die den einflussreichen Begriff der vier Weltmonarchien oder Reiche in das abendländische Denken einführten. In Kapitel 2 deutet Daniel einen Traum des babylonischen Königs Nebukadnezar II. (um 634–562 v. Chr.), in dem Letzterer eine riesige Statue aus vier Metallen (Gold, Silber, Messing und Eisen) sieht, die von einem großen Stein zerstört wird. In Kapitel 7 beschreibt Daniel einen seiner eigenen apokalyptischen Träume, in dem vier Tiere (ein Löwe, ein Bär, ein Leopard und ein Wesen mit zehn Hörnern) aus dem Meer auftauchen und schließlich durch Gottes Gericht vernichtet werden. In beiden Kapiteln besitzt die Zahl vier eine wichtige politische Symbolik und verweist auf den unmittelbaren historischen Kontext des Buches Daniel. Das Buch wurde von Juden verfasst, die im 2. Jahrhundert v. Chr. unter der repressiven Herrschaft der griechischen Seleukidenmonarchie lebten, und verurteilte nachdrücklich die vier Monarchien, die das jüdische Volk im Lauf der Geschichte unterdrückt hatten. Als die ersten drei galten traditionell die der Babylonier, der Meder und der Perser; das vierte Reich war das des griechischen Königs Antiochus IV. Epiphanes (um 215–164 v. Chr.). Die Geschichten im Buch Daniel spielen allegorisch auf die Zerstörung dieses letzteren Königreichs an und boten unterdrückten Juden so eine erhebende, antiimperialistische Botschaft des Sieges des Guten über das Böse und der unmittelbar bevorstehenden göttlichen Befreiung.46

In der postbiblischen Zeit gaben christliche Denker dem Buch Daniel eine gänzlich neue Lesart. In der Spätantike, im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nutzten religiöse Vertreter in Europa die biblischen Erzählungen, um die Weltgeschichte zu periodisieren und ihre eigenen historischen Realitäten zu verstehen. Vor allem wollten sie herausfinden, auf welche historische Monarchie sich das vierte Königreich der Bibel bezog. Frühchristliche Denker deuteten das vierte Königreich nicht als das der Griechen, sondern als das der Römer; diese Interpretation spiegelt die anfängliche Unterdrückung der christlichen Sekte durch das Römische Reich wider und wahrt die negativen Konnotationen des »vierten« Königreichs. Als das Christentum jedoch nach und nach zur römischen Staatsreligion wurde, wandelte sich die antiimperialistische Botschaft des Buches Daniel in eine positive Bestätigung des imperialen Status quo. Das Vierte Reich meinte nun nicht mehr die letzte Phase des Leidens vor einem kulminierenden Moment der Befreiung, sondern das letzte Bollwerk gegen apokalyptische Zerstörung.47

Diese Erzählung verbreitete sich im Lauf der Zeit im deutschsprachigen Raum. Im frühen Mittelalter sahen sich die Deutschen zunehmend als Erben des kaiserlichen Roms. Obwohl der Zusammenbruch des Westreiches im 5. Jahrhundert n. Chr. theoretisch die erwartete Apokalypse hätte herbeiführen sollen, bedienten sich die Deutschen des Prinzips der translatio imperii (»Übertragung des Reichs«) und erklärten, das Imperium lebe im neuen Heiligen Römischen Reich Karls des Großen und Ottos I.48 weiter. Von diesem Zeitpunkt an entwickelte sich der Gedanke vom Heiligen Römischen Reich als dem Vierten Königreich in eine einheitliche Richtung. Während der Reformation vertraten religiöse Abweichler wie Martin Luther, Johannes Calvin und Philipp Melanchthon eine von der Gegenwart geprägte Sicht des Vierten Reiches und verwendeten den Begriff zur Verteidigung des Reiches gegen neue Vertreter des »Antichristen« wie die osmanischen Türken.49 Während der Religionskriege, der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege behielt das Konzept des Vierten Reiches seine rhetorische Anziehungskraft für Deutsche, die die bestehende imperiale Ordnung gegen neue apokalyptische Gefahren verteidigen wollten.50 Im Lauf des 19. Jahrhunderts verlor es jedoch einen Großteil seiner prophetischen Kraft. Der Aufstieg säkularer Formen politischen Denkens und historischer Forschung nahm dem Konzept seine frühere Relevanz, sodass es zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur noch ein geheimnisumwobener religiöser Begriff war, der allein für Kleriker und Wissenschaftler von Interesse war.51


Die Vorstellung von einem Vierten Reich geht auf das Buch Daniel im Alten Testament zurück, das den Aufstieg und Fall vierer Weltreiche prophezeite. Dieses Bild von 1775 zeigt den aus vier Metallen bestehenden Koloss der Königsherrschaft, der – stellvertretend für die vier Weltreiche – von vier mythischen Tieren umgeben ist. Oben rechts fällt ein von Gott gesandter Felsbrocken hinab, um die Herrschaft der Menschen durch göttliche Gerechtigkeit zu stürzen.

Erst zu Beginn der 1930er-Jahre entwickelte sich das Vierte Reich zu einem stärker säkularen politischen Begriff. Dieser Wandel begann mit dem Erscheinen von Kurt van Emsens Buch Adolf Hitler und die Kommenden.52 Der am Vorabend der nationalsozialistischen Machtergreifung 1932 erschienene Band war eine erweiterte, wenn auch höchst eigenwillige Betrachtung der Rolle, die sowohl ein Drittes als auch ein Viertes Reich für die politische Zukunft Deutschlands spielen sollten. Der Autor des Buches (in Wirklichkeit handelte es sich um den deutschen Arzt und Sanatoriumsleiter Karl Strünckmann) war von den unterschiedlichsten Strömungen beeinflusst, darunter christlicher Apokalyptik, Astrologie, Numerologie, Okkultismus, Rassenlehre, völkisches Denken, Pangermanismus und den philosophischen Werken von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Karl Marx und Friedrich Nietzsche.53 Sein Ausgangspunkt war der messianische Glaube, Deutschland sei dazu bestimmt, »zum vierten Reich der ›Kommenden‹« zu werden.54 Dieser klangvolle Ausdruck, der Teil des Titels seines Buches war, macht deutlich, wie van Emsen die traditionelle Bedeutung des Vierten Reiches von einer gegenwärtigen Realität in ein zukunftsweisendes Ideal verkehrte. »[D]ie Aufgabe von übermorgen, im vierten Reich«, so der Autor, bestehe für die Deutschen darin, »Pioniere neuer transnationaler Schöpfungen zu werden, Träger einer föderalen Form des ›Universalismus‹ in Staat, Kirche und Wirtschaft«.55 Diese utopische Vision ähnelte insofern Moeller van den Brucks Vorstellung vom Dritten Reich, als sie von einer erlösenden, weltgeschichtlichen Mission für das deutsche Volk ausging. In einem wichtigen Punkt wich van Emsens Vision jedoch von Moeller van den Bruck ab. Da sie fast ein Jahrzehnt nach Moellers Buch verfasst worden war, war das Dritte Reich bereits von der NSDAP vereinnahmt worden und stand nicht mehr als Chiffre für van Emsens angestrebte Utopie zur Verfügung. Van Emsen musste sich deshalb auf die Zukunftsvision eines Vierten Reiches berufen, das nur im Anschluss an seinen noch zu schaffenden nationalsozialistischen Vorgänger begründet werden konnte.

In seiner Darstellung dieses Prozesses bekannte sich van Emsen zu einer dialektischen Geschichtsphilosophie und prophezeite Deutschland eine Reihe revolutionärer Ereignisse, die von keinem Geringeren als Adolf Hitler initiiert werden würden. Als »Trommler der deutschen Revolution« sei Hitler dazu bestimmt, die chronischen Bruchlinien zwischen den Klassen, Religionen und Rassen in Deutschland durch die Gründung eines »dritte[n] Reich[es] der großdeutschen Nation« zu überwinden, das endlich Nationalismus und Sozialismus versöhnen und den »vierte[n] Stand« (das Proletariat) in den »Volksorganismus« integrieren werde.56 Doch während van Emsen Hitler als »Anfang einer Wende« sah, war er nur »Symbol der Übergangszeit«. »Dann wird aber seine Aufgabe erfüllt sein. An seine Stelle werden andere treten«, so van Emsen.57 Hitlers »kleine deutsche Revolution« sei nur ein partikularistischer, »völkischer« Auftakt zur umfassenderen »Weltrevolution«, die am Ende des 20. Jahrhunderts stattfinden werde.58 Diese werde die »große Wiedergeburt« herbeiführen, die durch die Verwirklichung einer neuen »kommunistisch-christliche[n] Brüderschaft« und durch die Entstehung eines »vierten Reich[es]«, des »Gottesreich[es]«, die historisch bedingten religiösen Gräben Deutschlands überwinden werde.59

Dieser Vorgang bedeute einen gewalttätigen, nietzscheanischen Prozess schöpferischer Zerstörung. »[D]ie letzten Bastionen der Vergangenheit«, so van Emsen, müssten vor der Entstehung des Vierten Reichs »restlos vernichtet werden«.60 Unter Verweis auf die Lieder-Edda aus der altnordischen Dichtung schrieb er, die Deutschen müssten »die tiefsten Tiefen der Hölle« durchleiden und die »Beilzeit« überstehen, bevor sie »in die Heilzeit eintreten« dürften.61 In der Anfangszeit würden sie »durch Blut und Eisen« ein national geeintes Kolonialreich in Mittel- und Osteuropa schaffen.62 Aber im Anschluss daran würden sie einen friedlicheren Prozess der kulturellen Vereinigung verfolgen, bei dem sie Brücken zu »hinduistischen Kulturkreisen« in Asien bauen und sich mit »der ältesten geistig-religiösen Heimstätte der ›Arier‹« verbinden würden.63 Das Ergebnis werde die Gründung eines endgültigen »armanisch-atlantische[n] Reich[es] deutscher Nation« und die Schaffung einer »neuen Menschheit« sein.64 Mystisch schrieb er:


In seinem Buch Adolf Hitler und die Kommenden (1932) prophezeite Kurt van Emsen mystisch ein Viertes Reich. Dieses biomorphe Diagramm mit dem Titel »Deutschland in der Welten-Wende« (S. 129) stellt die Entwicklung Deutschlands in Form von vier Existenzphasen dar: »I) das Römische Reich deutscher Nation;IIa) das alpen- und sudetendeutsche II. Reich (Österreich-ungarische Monarchie); IIb) das Bismarcksche II. Reich (Kleine Revolution); III) Das III. Reich (Große Revolution); IV) Das IV. Reich.«

Wir erleben heute den katastrophalen Übergang vom Fische-Zeitalter zum Wassermann-Zeitalter. Wir stehen in einer aeonischen Wende, wie zur Zeit der Geburt Christi; als die Menscheit [sic] aus der Widderzeit in den neuen christlichen Aeon der Fische trat. Eine alte Welt ging zugrunde, eine neue stieg auf: das christliche Abendland. Nach 2000 Jahren hebt jetzt ein neues gewaltiges »Stirb und Werde« an: der Untergang des Abendlandes und Aufstieg der neuen atlantischen Welt. Das sterbende Abendland abzubauen, ist die Bestimmung des dritten Reiches. Die Gestaltung des neuen atlantischen Kulturreiches im Wassermann-Aeon wird Aufgabe des Vierten Reiches sein.65

Das Vierte Reich werde letztlich ein Zeitalter des universellen Friedens einläuten, eine »Pax teutonica«. Eine »neue Erde« werde entstehen und Deutschland werde ihr »Schutzengel« sein.66

Das Vierte Reich

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