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Die Kontrastfolie des Vierten Reiches: Die Idee des Dritten Reiches

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Die Idee des Vierten Reiches wurde im Dritten Reich geboren und als Reaktion darauf entwickelt. Eine Darstellung der Ursprünge des Vierten Reiches erfordert daher eine Auseinandersetzung mit den Ursprüngen des Dritten Reiches. Im heutigen Sprachgebrauch bezieht sich das Dritte Reich auf die Jahre der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft von 1933 bis 1945. Doch nichts ist so einfach, wie es scheint. Es herrscht nach wie vor Uneinigkeit darüber, ob der Ausdruck »Drittes Reich« zur Beschreibung der betreffenden historischen Epoche angemessen ist. Einige Wissenschaftler deuten dies als Anerkennung der propagandistischen Verwendung des Ausdrucks durch das NS-Regime. Sie ziehen es daher vor, ihn in Anführungszeichen zu setzen (und verweisen auf das »Dritte Reich« statt auf das Dritte Reich) oder ihn zugunsten moralistischer Bezeichnungen wie »nationalsozialistische Gewaltherrschaft« gänzlich zu vermeiden.3 Diese Strategien sind gut gemeint, haben jedoch ebenfalls ihre Nachteile. Auf die Verwendung des Begriffs »Drittes Reich« zu verzichten, kann sich als kontraproduktiv erweisen, da es dem Ausdruck die Aura eines Tabus verleiht. Vermeidet man den Begriff in der Hoffnung, ihn zu entmythologisieren, schmälert man möglicherweise auch die Fähigkeit, seine ursprüngliche propagandistische Funktion zu verstehen. Sicherlich ist es keineswegs ratsam, sich naiv und ohne Kenntnis der belasteten Geschichte auf das Dritte Reich zu beziehen. Aber ihn in einem wissenschaftlichen Sinn zu verwenden, bedeutet nicht, ihn gutzuheißen.

Angesichts seiner politischen Implikationen lässt sich der Begriff des Dritten Reiches am besten verstehen, wenn man ihn im breiteren Kontext der deutschen Geschichte historisiert. Am einfachsten beginnt man mit dem Begriff »Reich«. Das deutsche Wort »Reich« wird im Englischen meist mit »empire« oder »kingdom« übersetzt. Der Begriff meint damit sowohl einen Raum als auch eine politische Formation. Im Kontext der deutschen Geschichte wurde der Begriff »Reich« auf mehrere Staaten angewendet, die über einen Zeitraum von tausend Jahren bestanden. Das erste war das Heilige Römische Reich, das in der Regel von seiner Gründung durch den fränkischen König Karl den Großen im Jahr 800 (oder in anderen Darstellungen durch seinen sächsischen Nachfolger Otto I. im Jahr 962) bis zu seiner Auflösung durch Napoleon Bonaparte im Jahr 1806 bestand. Das zweite war das als Kaiserreich bekannte Wilhelminische Reich, das von 1871 bis zu seinem Zusammenbruch 1918 andauerte. Das dritte war das NS-Regime. Diese Dreiteilung erscheint regelmäßig in Überblicksdarstellungen zur deutschen Geschichte. Die Definition ist jedoch unvollständig, da sie den Begriff »Reich« auf eine rein politische Bezeichnung reduziert.

Tatsächlich hat der Reichsgedanke auch spirituelle, ja sogar mystische Konnotationen, die tief in der christlichen Theologie verwurzelt sind, insbesondere in der chiliastischen Vorstellung des endgültigen Reiches Gottes auf Erden. Wie es in den letzten Kapiteln der Offenbarung des Johannes heißt, wird sich dieses Königreich als tausendjährige Friedenszeit (das »Millennium«) manifestieren und dem Kampf Jesu mit Satan sowohl vorausgehen als auch folgen. Der Glaube, dieses Königreich werde ein Drittes Reich darstellen, geht wiederum auf den im 12. Jahrhundert lebenden italienischen Theologen Joachim von Fiore zurück, der dieses Reich als die letzte Stufe der christlichen Eschatologie betrachtete. Ausgehend vom Gedanken der Heiligen Dreifaltigkeit und der langen abendländischen Tradition des triadischen Denkens, definierte Joachim das Dritte Reich als die erwartete dritte und letzte Phase der Weltgeschichte. Das erste und ursprüngliche Zeitalter sei das Königreich des Vaters, also die Zeit der hebräischen Religion. Das zweite Königreich sei das des Sohnes und beginne mit der Geburt des Christentums. Noch vor uns liege das dritte und letzte Königreich des Heiligen Geistes, das nach einer apokalyptischen Konfrontation der Kräfte des Bösen mit ihren Gegnern, den homines spirituales, entstehe, die dazu bestimmt seien, ein tausendjähriges Zeitalter der Vollkommenheit einzuleiten. Durch diesen titanischen Kampf stehe die Ankunft des Dritten Reiches für das Ende der Erdgeschichte insgesamt.4

Im Lauf der Zeit weitete sich die Idee des Dritten Reiches über ihre ursprüngliche religiöse Bedeutung hinaus aus und säkularisierte sich. Zu Beginn der Neuzeit umfasste sie eine Reihe unterschiedlicher Vorstellungen. Der erwartungsvolle Glaube an ein kommendes »drittes Zeitalter«, wie es oft genannt wurde, stieß bei vielen europäischen Intellektuellen im 19. Jahrhundert auf Anklang, vom französischen utopischen Sozialisten Henri de Saint-Simon bis zum italienischen Nationalisten Giuseppe Mazzini.5 Vor allem jedoch sprach er die Deutschen an, die aus historischen Gründen keine nationale Einheit besaßen. Im Mittelalter und bis in die Frühe Neuzeit sahen viele Deutsche das Heilige Römische Reich mit seiner gemeinsamen Herrschaft von Papst und Kaiser als »Vorläufer des Reiches Gottes auf Erden«.6 Angesichts des allmählichen Niedergangs des Reiches nach der Reformation und seiner endgültigen Auflösung nach dem Eindringen der napoleonischen Armee zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es jedoch immer schwieriger, diese Sicht aufrechtzuerhalten. Im schmerzhaften Bewusstsein der Bürde, die eine innere Spaltung bedeutete, griffen die Deutschen den Begriff der »Nation« begierig als neue Quelle der Einheit seines Volkes auf. Im Zuge dieses Prozesses wurde die Reichsidee zum Vehikel der nationalen deutschen Wiedergeburt. In der Überzeugung, das deutsche Volk verdiene ein eigenes Vaterland, entwickelten deutsche Nationalisten verschiedene Strategien, um dieses Volk in einem neuen Reich zu einen. Daraus entstanden zwei Visionen: Die erste war ein universelles, großdeutsches Reich, das sowohl die Gebiete des Deutschen Bundes als auch die österreichischen Länder der Habsburgermonarchie umfasste; die zweite war ein eher partikularistisches, kleindeutsches Reich unter preußischer Herrschaft der Hohenzollernmonarchie. Wie das Schicksal es wollte, setzte sich die letztgenannte Lösung durch. Nach den militärischen Siegen Preußens gegen Österreich und Frankreich 1866–1870 wurde am 18. Januar 1871 das zweite Deutsche Reich im Spiegelsaal von Versailles ausgerufen.

Das zweite Reich war ein säkulares politisches Konstrukt, das sich jedoch eine quasireligiöse Dimension bewahrte. Dies wurde einige Jahre nach seiner Gründung deutlich, als die anfängliche Euphorie nachließ. Auslöser für diese Entwicklung war der Gründerkrach 1873 und die daraus resultierende Wirtschaftskrise. Angesichts dieses traumatischen Ereignisses begannen einige Deutsche, den Glauben an den neuen Staat zu verlieren und seine Grundfesten infrage zu stellen. Diese Kritiker hatten das Gefühl, das Kaiserreich werde weitgehend von materialistischen Kräften – allen voran der freien Marktwirtschaft und dem politischen Liberalismus – definiert und lasse eine tiefere, spirituelle Dimension vermissen. Als Reaktion entwickelten sie utopische Visionen für ein neues Reich, das das gerade erst gegründete ersetzen sollte. Viele dieser Visionen stammten von rechtsgerichteten, völkischen Aktivisten wie Paul de Lagarde, Julius Langbehn und Heinrich Class. Bis auf wenige Ausnahmen bezeichneten sie dieses künftige Reich nicht explizit als »drittes« Reich, sondern verwendeten die Begriffe »neues« oder »nächstes«.7 Es werde sich um ein imperialistisches, von einem Führer regiertes »Großdeutsches Reich« handeln, das den alten »teutonischen« Tugenden von Freiheit, Gleichheit und Selbstlosigkeit verpflichtet sei. Ungefähr zur gleichen Zeit fügten andere rechtsgerichtete Denker wie Guido von List, Lanz von Liebenfels und Houston Stewart Chamberlin dieser Vision rassistische und antisemitische Elemente hinzu und forderten, das Reich von Ausländern und Minderheiten zu säubern und es auf der Grundlage von Blutsbanden zu einen.8 Diese Vorstellung vom Reich war im Allgemeinen säkularer Natur, der missionarische Eifer seiner Unterstützer war jedoch Ausdruck einen tausendjährigen Geistes.

Dieser Wunsch nach einem neuen Reich wurde nach den katastrophalen Ereignissen von 1914–1918 nur noch dringlicher. Im Ersten Weltkrieg tauchte der Begriff »Drittes Reich« gelegentlich in einem spirituell-pazifistischen Kontext auf.9 Nach der militärischen Niederlage Deutschlands wurde der Ausdruck jedoch zumeist von Vertretern der politischen Rechten aufgegriffen. Erschüttert vom Zusammenbruch der Hohenzollernmonarchie im November 1918 und empört über die Ratifizierung des Versailler Vertrages durch die revolutionäre Weimarer Regierung im Juli 1919, plädierten konservative und völkische Deutsche für eine radikale Reaktion, um ihrem Land aus seiner noch nie da gewesenen Krise zu helfen. Ab den frühen 1920er-Jahren nahmen verschiedene Schriftsteller eine millenaristische Sicht ein und forderten die Gründung eines »Dritten Reiches«. Der wichtigste Vertreter unter ihnen war der konservative Schriftsteller Arthur Moeller van den Bruck, dessen berühmtes Buch Das Dritte Reich (1923) dem bislang religiösen Konzept eine eindeutig politische Färbung gab.10 Aufbauend auf dem mittelalterlichen Gedanken Joachims von Fiore, behauptete Moeller, nach dem Aufstieg und Fall des Heiligen Römischen Reiches und des Kaiserreiches stehe ein drittes Reich bevor. Dieses werde durch eine konservative Revolution eingeleitet, die die Widersprüche von Nationalismus und Sozialismus aufheben und einen dritten Weg zwischen ihnen finden werde. Wie Joachim glaubte Moeller, dieser Prozess werde mit einem Kampf zwischen den Kräften des Guten und des Bösen einhergehen. Inbegriff für Letztere war für Moeller der Liberalismus, der allerdings alle Formen marxistischen Denkens und allgemeiner die gesamte Weimarer Republik umfasste.11 Außerdem könne die neue Ordnung nur durch Gewalt entstehen. Letztlich werde das Dritte Reich seinen mittelalterlichen Ursprüngen jedoch treu bleiben und für die »Idee des ewigen Friedens« stehen.12 Mit seiner Gründung werde das deutsche Volk »sein Schicksal auf Erden erfüllen« und eine Ära der nationalen deutschen Vorherrschaft einläuten.13

Obwohl Moeller der berühmteste Exponent des Dritten Reiches in der Weimarer Republik war, war er nicht der erste. Bereits vor ihm prägte der rechte Dichter Dietrich Eckart den Begriff. Eckart, Gründungsmitglied der NSDAP, verstand das Dritte Reich als utopisches Telos des weltgeschichtlichen Kampfes Deutschlands gegen das jüdische Böse und verlieh ihm so einen antisemitischen Beiklang.14 Eckart hasste die Juden aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, die er zu einer umfassenden apokalyptischen Vision verschmolz. Wie er in einer Reihe von Aufsätzen in seiner Zeitschrift Auf gut Deutsch in den Jahren 1919–1920 deutlich machte, waren die Juden für ihn nicht weniger als der Antichrist. Es sei Deutschlands heilige Mission, sie zu vernichten und dadurch die Welt zu erlösen. In einer berühmten Passage verkündete er im Juli 1919: »Nirgends auf Erden ein anderes Volk, das fähiger, gründlicher wäre, das dritte Reich zu erfüllen, denn unsres!«15

Unklar ist indes, wann und wie die Idee des Dritten Reiches in die NS-Ideologie Eingang fand. Hitler scheint sowohl von Eckart als auch von Moeller beeinflusst gewesen zu sein. Der Führer der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) betrachtete Ersteren als seinen politischen Mentor, wurde Letzterem aber von einem seiner Parteifreunde, Otto Strasser, vorgestellt, der ebenfalls von der Notwendigkeit eines »Dritten Reiches« überzeugt war.16 Hitler und andere führende NSDAP-Vertreter waren sich des Ausdrucks sicherlich bewusst, da er in den 1920er-Jahren in ganz Deutschland an Popularität gewann. Allerdings wurde er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ausschließlich von der NSDAP besetzt, sondern von den unterschiedlichsten politischen Kreisen aufgegriffen. Traditionelle konservative Denker sahen das Dritte Reich beispielsweise als eine wiederbelebte Hohenzollern- oder Habsburgermonarchie.17 Weiter rechts forderten Anhänger des militaristischen Tannenbergbunds von General Erich Ludendorff und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) von Alfred Hugenberg ebenfalls ein Drittes Reich.18 Daneben gab es literarische Darstellungen des Dritten Reiches von eher schlichten völkischen Schriftstellern und hochintellektuellen Dichtern.19 Angesichts der großen Anziehungskraft des Dritten Reiches als Idee überrascht es nicht, dass führende NS-Ideologen sie ebenfalls übernahmen. Nach Otto Strasser waren die prominentesten unter ihnen Joseph Goebbels, der 1927 das Traktat Wege ins Dritte Reich schrieb, und Alfred Rosenberg, der in seinem Mythus des 20. Jahrhundert (1930) das »entstehende Dritte Reich« heraufbeschwor.20 Hitler selbst scheint den Begriff des Dritten Reiches in den 1920er-Jahren nicht sehr oft verwendet zu haben, sympathisierte aber wahrscheinlich mit der Idee. Auf Seite 1 von Mein Kampf forderte er mit der Erklärung »Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich« ein neues (und implizit drittes) Reich. Im weiteren Verlauf seines Buches fand er mit dem Wunsch nach einem »idealen Reich« ein Ventil für die mystischen Dimensionen des Konzepts.21 Weder Hitler noch ein anderer NS-Führer machte sich allerdings die Mühe, die Vorstellung von einem Dritten Reich mit konkreten politischen Inhalten zu füllen. Anstatt als klare Blaupause für eine zukünftige Regierung zu fungieren, diente sie vor allem als Kampfbegriff für die nationale Erneuerung.

Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten an die Macht trat die aufrüttelnde Funktion des Begriffs immer deutlicher in Erscheinung. Während der Ausdruck »Drittes Reich« in den 1920er-Jahren selten in der deutschen Publikumspresse auftauchte, verbreitete er sich nach dem Durchbruch der NSDAP bei der Reichstagswahl 1930 zusehends.22 Nicht richtig ist allerdings, dass die Idee eines »Dritten Reiches« weitgehend von ausländischen Medien verbreitet wurde.23 Obwohl der Begriff ab 1930 in der angloamerikanischen Presse Erwähnung fand, tauchte er ebenso häufig in deutschen Zeitungen auf.24 Die Nazis begannen somit zunehmend, ihn als Wahlkampfparole zu verwenden. Rufe nach einem Dritten Reich tauchten in den Medien der nationalsozialistischen Presse wie dem Völkischen Beobachter und dem Angriff auf.25 Sie flossen in die Reden von NS-Politikern ein26 und kamen auf Parteitagen zum Ausdruck.27 Diese Sympathiebekundungen für das Dritte Reich waren zudem keine bloße politische Rhetorik. Sie artikulierten die tausendjährigen Sehnsüchte einfacher deutscher Bürger.28

Doch nicht in allen Fällen war das Dritte Reich positiv gemeint. Auch die politischen Gegner der Nationalsozialisten beriefen sich häufig auf die Idee, um sie zu verunglimpfen. 1930 qualifizierte der Hamburger Anzeiger die »schwärmerische Verehrung des legendären Dritten Reiches« der Nationalsozialisten als weit hergeholte »Utopie« ab.29 Die von der SPD für die Reichstagswahl 1932 produzierten Wahlplakate illustrierten den Begriff mit Bildern von Grabsteinen und Skeletten.30 1931 landete ein Rechtsstreit zwischen dem Rowohlt Verlag und dem Herausgeber des Buches Das Dritte Reich von Moeller van den Bruck vor dem Berliner Landgericht, da der Rowohlt Verlag ein ironisch gemeintes Buch mit dem gleichen Titel herausgegeben hatte, das »die spirituelle Bedeutung des Nationalsozialismus lächerlich machte«.31 Derartige Kritiken kamen nicht nur von linker, sondern auch von rechter Seite. 1932 versuchte Erich Ludendorff, den Begriff des Dritten Reiches mit Homosexualität gleichzusetzen, und verhöhnte Hitlers Entscheidung, seinen (offen schwulen) SA-Chef Ernst Röhm zu behalten: »Bekanntlich nennt man ja alle die für das eigene Geschlecht krankhaft Veranlagten das ›Dritte Geschlecht‹. Wie sinnlos ist also für die Hitlerpartei der Name das ›Dritte Reich‹!«32 Angesichts der vielfältigen Kritiken an dem Begriff zur damaligen Zeit überrascht es nicht, dass Hitler ihn nach Möglichkeit vermied. Obwohl er ihn bereits 1930 explizit erwähnte, überließ er es seinen Befehlsempfängern, für ihn zu werben.33

Dies änderte sich jedoch am 29. Januar 1933, als Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde. Tags darauf erklärte der Völkische Beobachter triumphierend, die Entscheidung habe »den Grundstein für das Dritte Reich gelegt«.34 Wo das neue Reich der Wirklichkeit nun einen Schritt nähergekommen war, machte sich Hitler den Begriff zunehmend zu eigen.35 Wie Max Domarus’ umfassende Sammlung der Reden des NS-Führers zeigt, berief sich Hitler in den ersten Jahren seiner Diktatur wiederholt auf die Idee des Dritten Reiches.36 So betonte er beispielsweise auf dem Ersten Kongress der Deutschen Arbeitsfront im Mai 1933, wie wichtig es sei, die Loyalität des deutschen Volkes für das »kommende[…] Deutsche[…] Reich, unser[…] Dritte[s] Reich« zu gewinnen (womit er auch andeutete, dass es noch nicht gegründet war).37 In späteren Reden beschwor Hitler »das Taufwasser des Dritten Reiches« herauf (München, 1934), begrüßte die »Flagge des Dritten Reiches« (Coburg, 1935) und bezeichnete Deutschland als »das nationalsozialistische Dritte Reich« (Nürnberg, 1936).38 1937 deutete er an, das Reich sei endlich gekommen, und verkündete dem Reichstag am 30. Januar, dass neue nationalsozialistische Organisationen wie die SA, die SS und die Hitlerjugend zu »Steine[n] des stolzen Baues unseres Dritten Reiches« geworden seien.39


Wie dieses Wahlplakat für die Reichstagswahl 1932 deutlich machte, stellte sich die SPD Deutschland unter einem Dritten Reich als einen riesigen mit Grabsteinen übersäten Friedhof vor.

In den folgenden Jahren verwendete Hitler den Begriff des Dritten Reichs jedoch immer seltener. Nach der Annexion des Sudetenlandes im Herbst 1938 spielte er ihn zugunsten weitreichenderer Bezeichnungen wie »Großdeutsches Reich« herunter.40 Im Sommer 1939 wies Hitler das Propagandaministerium an, den Begriff »Drittes Reich« in allen offiziellen Mitteilungen zu verbieten.41 Die Gründe bleiben undurchsichtig, doch galt der Begriff möglicherweise als zu pazifistisch.42 Da die ursprüngliche christologische Vorstellung vom »Dritten Reich« eine Ära des Friedens und der Harmonie suggerierte, hätte ihr weiterer Gebrauch implizieren können, dass das NS-Regime keine Pläne für weitere revolutionäre Aktionen hegte. Ein derartiges Ansinnen lag Hitler jedoch fern. Ende der 1930er-Jahre war der NS-Führer bestrebt, Lebensraum durch Krieg zu sichern. Um Unterstützung hierfür zu gewinnen, war ein neuer Begriff vonnöten. Im Juni 1939 wies Hitler deshalb die deutschen Medien an, den Ausdruck »Germanisches Reich deutscher Nation« und »Großgermanisches Reich« zu verwenden, da Deutschland dazu bestimmt sei, ein »Erobererstaat« zu werden.43 Fortan verschwanden Hinweise auf das Dritte Reich weitgehend aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Obwohl die deutsche Presse den Ausdruck in den ersten Kriegsjahren weiterverwendete – und auch Hitler dies gelegentlich tat –, verschwand er in Deutschland allmählich aus dem öffentlichen Diskurs.44

Das Vierte Reich

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