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Vorwort

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Was für ein Mensch würde schon über etwas schreiben, von dem er weiß, dass es nicht existiert?

Philip K. Dick

Es gibt kein Viertes Reich. Es gab noch nie eines. Warum also sollte irgendjemand eine historische Studie darüber schreiben? Die Frage von Philip K. Dick impliziert, der Autor einer solchen Studie müsse so etwas wie ein Realitätsverweigerer sein. Ich halte mich nicht für eine solche Person. Trotzdem fasziniert mich die Vorstellung des Vierten Reiches seit Langem. Sie begegnete mir zum ersten Mal, als ich meine Bücher The World Hitler Never Made: Alternate History and the Memory of Nazism (2005) und Hi Hitler! How the Nazi Past is Being Normalized in Contemporary Culture (2015) schrieb. Beide beschäftigten sich mit dem Thema kontrafaktischer Geschichte – mit »Was wäre, wenn?«-Erzählungen über das Dritte Reich. Bei den Recherchen zu diesen Büchern stieß ich gelegentlich auf literarische Werke, Filme und Fernsehsendungen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine Rückkehr der Nationalsozialisten an die Macht und die Gründung eines »Vierten Reiches« vorstellten. Damals beschäftigte ich mich nicht näher mit diesem Szenario, da es außerhalb meines Themenschwerpunkts lag. Es untersuchte nicht so sehr, was in der Vergangenheit hätte geschehen können, sondern was in Zukunft noch geschehen könnte.

Allmählich wurde mir jedoch klar, dass das Vierte Reich eine lange Geschichte hat. Im Lauf des letzten Jahrzehnts fiel mir auf, wie das Konzept immer wieder in Medienberichten über aktuelle Ereignisse auftauchte. Nach dem Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 warfen europäische Kommentatoren der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, mit ihrem Spardiktat den übrigen EU-Ländern ein Viertes Reich aufzuzwingen. Linke politische Aktivisten diffamierten die israelische Regierung wegen ihrer Militäraktionen in Gaza und Libanon als Viertes Reich. Und amerikanische Kommentatoren schlugen Alarm, als Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, da sie die Schaffung eines Vierten Reiches befürchteten. Angesichts all dieser Trends wurde ich neugierig, warum Kritiker ihre politischen Ängste auf derart polemische Weise artikulierten, und begann, die Ursprünge des Vierten Reiches als Begriff zu erforschen. Schnell wurde mir klar, dass es eine lange und komplexe Geschichte hat. Die Angst vor einer Rückkehr der Nationalsozialisten an die Macht war im politischen, geistigen und kulturellen Leben der Nachkriegszeit des Westens ständig präsent.

Eine historische Analyse dieser Angst ist kompliziert, denn sie versetzt uns in die schwierige Lage, ein Urteil über Menschen zu fällen, die nicht wissen konnten, ob ihre Sorgen berechtigt waren oder nicht. Aus der Rückschau können die Ängste der Nachkriegszeit vor einer Rückkehr der Nationalsozialisten an die Macht leicht übertrieben erscheinen. Wer in den ersten Nachkriegsjahren lebte, hatte jedoch keine Ahnung, wie sich die Zukunft entwickeln würde. Sich in die Köpfe dieser Menschen zu versetzen, sich trotz unseres späteren Wissens mit ihren Ängsten zu identifizieren, ist eine Herausforderung. Aber sie ist machbar.

Wir alle wurden zu irgendeinem Zeitpunkt unseres Lebens zu Geiseln der Angst. Ich denke an meine Kindheit in der ländlichen Idylle der Universitätsstadt Bloomington (Indiana) zurück. Im Sommer 1983 kehrte ich von einem einmonatigen Aufenthalt im Ferienlager zurück, um von meinen Eltern die schockierende Nachricht zu erhalten, dass unsere örtliche Synagoge einem Brandanschlag zum Opfer gefallen war. Unbekannte hatten am Fuß des Thoraschreins Feuer gelegt, das sich im gesamten Raum ausbreitete. Obwohl es gelöscht werden konnte, entstand ein Schaden von mehreren Zehntausend Dollar.1 Ohne einen entscheidenden Hinweis auf die Täter blieb ein Gefühl des Unbehagens zurück. Ein Jahr später, im Oktober 1984, gab es einen weiteren Schock: Das jüdische Gemeinschaftshaus auf dem Campus der Indiana University, weniger als zehn Gehminuten von unserem Haus entfernt, wurde in Brand gesteckt; ein Student kam ums Leben, 34 weitere wurden verletzt.2 Da mein Vater Professor für Holocaust-Literatur und Leiter des Jewish-Studies-Programms der Universität war, war ich mir der Geschichte des Antisemitismus sehr wohl bewusst und davon überzeugt, uns stehe eine Welle antijüdischer Gewalt bevor. Meine Bedenken zerstreuten sich ein wenig, als sich herausstellte, dass der Attentäter des Angriffs auf das Gemeinschaftshaus in dieser Nacht betrunken und in eine Schlägerei verwickelt gewesen war und eher aus Rache als aus antisemitischen Motiven gehandelt hatte.3 Meine Bedenken schienen sich jedoch zu bestätigen, als das FBI Mitglieder einer weißen Rassistengruppe wegen des Angriffs auf die Synagoge verhaftete.4 Glücklicherweise wurden sie schnell vor Gericht gestellt und die Gefahr wurde somit neutralisiert. Schon bald wurde mir klar, dass meine Ängste vor einer Welle des Antisemitismus übertrieben gewesen waren. Die Konstellation der örtlichen Ereignisse war ein zufälliges Zusammentreffen und kein Vorbote gewesen. Mein Wissen über die tragische jüdische Vergangenheit hatte meinen Blick auf die Zukunft verstellt.

Seit diesen frühen Erfahrungen nehme ich die Widersprüche des historischen Gedächtnisses sehr genau wahr. Einerseits bin ich mir der berühmten Behauptung von George Santayana bewusst, dass diejenigen, die die Geschichte vergessen, dazu verdammt sind, sie zu wiederholen. Andererseits bin ich mir auch der Beobachtung von Otto Friedrich bewusst, dass »diejenigen, die die Vergangenheit nicht vergessen können, dazu verurteilt sind, sie misszuverstehen«.5 So, wie wir nicht allzu naiv sein sollten, was eine mögliche Wiederkehr historischer Bedrohungen betrifft, so sollten wir auch nicht übertrieben schwarzsehen. Das ist eine Mahnung, die dieser Tage besonders schwer zu befolgen ist. Wir leben in einer Zeit allgegenwärtiger Ängste – vor wirtschaftlicher Instabilität, sozialen Verwerfungen, politischen Umwälzungen und kulturellen Konflikten. Das Aufeinanderprallen von Globalisten und Nationalisten, der potenzielle »Kampf der Kulturen« zwischen der westlichen und der muslimischen Welt, ein wiederauflebender autoritärer Populismus, die mögliche Rückkehr des Faschismus – das alles hat unsere Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft zutiefst erschüttert. Da wir nicht wissen, wie sich die Dinge entwickeln werden, ziehen wir es vor, auf Nummer sicher zu gehen und uns auf die »Lehren« der Vergangenheit zu berufen, um vor ihrer Wiederkehr auf der Hut zu sein.

Der Zeitpunkt ist also gut gewählt, um die Reaktionen früherer Generationen auf ihre eigenen Ängste noch einmal Revue passieren zu lassen und die Nachkriegsgeschichte eines Albtraums zu analysieren, der nie stattfand: die Entstehung eines Vierten Reiches. Vielleicht ist es tröstlich, zu wissen, dass die Menschen vor nicht allzu langer Zeit durch Ängste gelähmt waren, die sich als unbegründet erwiesen. Vielleicht werden auch wir eines Tages auf unsere heutigen Ängste zurückblicken und kleinlaut zugeben, dass wir uns umsonst Sorgen gemacht haben. Andererseits macht uns eine Untersuchung des Vierten Reiches bewusst, dass die Nachkriegsängste vor einer Rückkehr der Nationalsozialisten an die Macht auch auf realen Gefahren beruhten – Gefahren, die unter etwas anderen Umständen hätten Wirklichkeit werden können. Dieses Buch zeigt, wie Kontingenz die Geschichte bestimmen kann – denn sie erinnert uns daran, dass der Verlauf der Geschichte keineswegs zwangsläufig war –, und warnt so vor Selbstgefälligkeit. Es zeigt, wie unsere schlimmsten Ängste Fiktion blieben, und warnt so vor Hysterie. Es untersucht, wie Menschen in der Vergangenheit mit Ängsten zu kämpfen hatten, und zeigt so, wie sie mit Ängsten in der Gegenwart umgehen können.

Das Vierte Reich

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