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Das Vierte Reich in der Vorstellung der Alliierten
ОглавлениеWährend der Begriff des Vierten Reiches in Deutschland nachweislich antinazistisch war, war seine Bedeutung für die Alliiertenmächte weniger eindeutig. In den frühen und mittleren Kriegsjahren verwendeten viele Menschen den Begriff als progressive Bezeichnung für das nächste Deutschland. Als sich der Krieg jedoch seinem Ende zuneigte, brachten manche Kritiker das Vierte Reich mit der Aussicht auf einen wiederhergestellten NS-Staat in Verbindung. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Art dieses Vierten Reiches spiegelten die allgemeinere Unsicherheit der Alliierten über den künftigen Umgang mit Deutschland nach Kriegsende wider. In den letzten Kriegsjahren entbrannte in den angloamerikanischen Medien, innerhalb der amerikanischen und britischen Regierung sowie in der deutschen Exilgemeinde eine heftige Debatte darüber, ob Deutschland ein harter oder ein weicher Frieden diktiert werden solle. Diese Unschlüssigkeit spiegelte zu einem Großteil auch die grundsätzliche Uneinigkeit über den Charakter des deutschen Volkes wider – vor allem die Frage, ob es zum demokratischen Wiederaufbau fähig war und mild behandelt werden sollte oder ob die Deutschen unverbesserliche Militaristen waren, die für ihre Verbrechen bestraft werden sollten. Die Vertreter der jeweiligen Positionen stützten sich dabei auf unterschiedliche Vorstellungen von einem Vierten Reich. Die Befürworter eines weichen Friedens versuchten, die progressive Bedeutung des Begriffs zu wahren, und deuteten die turbulente Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert als das Ergebnis kontingenter Faktoren; sie empfahlen eine großzügige Friedensregelung und den Wiederaufbau des Landes. Die Befürworter eines harten Friedens sahen die Deutschen dagegen als ein aggressiv militaristisches und antidemokratisches Volk, das bestraft werden müsse, damit es kein Viertes Reich gründen und einen Dritten Weltkrieg beginnen könne.135
In den englischsprachigen Medien gaben die Befürworter eines weichen Friedens, insbesondere deutsche Emigranten, der Vorstellung eines Vierten Reiches einen positiven Beiklang; für sie war es ein Ausdruck von Hoffnung. Nach der deutschen Besetzung Böhmens und Mährens brachte Otto Sattler, der emigrierte sozialistische Vorsitzende der in New York ansässigen German-American League for Culture, im März 1939 sein Beschämen über die »Vergewaltigung der Tschechoslowakei« zum Ausdruck. Er hoffte, eine Revolution werde einem »Vierten Reich« zur Entstehung verhelfen: »ein Reich für Freiheit und Kultur, vereint mit dem unermüdlichen Marsch der Menschheit auf dem Weg zum … universellen Frieden«.136 Im Frühjahr 1940 veröffentlichte The New Leader zwei Kommentare des linken Wiener Journalisten Johann Hirsch und des ehemaligen Innenministers der Weimarer Republik, Wilhelm Sollmann, die beide die vorsichtige Hoffnung äußerten, »deutsche Sozialisten könnten … von einer kriegsmüden Welt die Gelegenheit erhalten, das Vierte Reich in ein stabiles europäisches Zentrum zu verwandeln«.137 Ein Jahr darauf veröffentlichte der linke, nach New York ausgewanderte deutsche Journalist Will Schaber Heinrich Manns Essay »Die deutsche Entscheidung« (1931) in englischer Übersetzung unter dem neuen Titel »Outlook on the Fourth Reich« [Ausblick auf das Vierte Reich] in seinem Buch Thinker versus Junker (1941). In dem kurzen Essay über die politische Zukunft Deutschlands setzte Heinrich Mann – der inzwischen den Beinamen »ungekrönter Präsident des Vierten Reiches« erhalten hatte – den zukünftigen deutschen Staat mit einer Demokratie gleich und prophezeite ihm nach dem blutigen Sturz des NS-Regimes einen Triumph: »Das Dritte Reich wird scheitern an seiner Unfähigkeit und an seiner Abhängigkeit. Dann aber käme ein ungemein blutiger Abschnitt der deutschen Geschichte. Das Reich der falschen Deutschen und falschen Sozialisten wird gewiss unter Blutvergießen errichtet werden, aber das ist noch nichts gegen das Blut, das fließen wird bei seinem Sturz.«138 Etwa zur gleichen Zeit bezeichnete das Magazin The New Yorker Heinrich Manns Bruder, den Nobelpreisträger Thomas Mann, als »den idealen Präsidenten des Vierten Reiches, sobald die Nazis besiegt sind«.139 Die ins Exil gegangenen deutschen Sozialisten, die 1943 den Sammelband The Next Germany herausgaben, gingen von einem »demokratischen Regierungssystem in einem Vierten Reich« aus.140 Schließlich sagte die deutsch-jüdische (und später zum Katholizismus konvertierte) Exiljournalistin R. G. Waldeck in ihrem Buch Meet Mr. Blank: The Leader of Tomorrow’s Germans (1943) dem »Liberalismus in Deutschland« vorsichtig »eine große Zukunft« voraus; der Glaube an liberale Ideen werde »bei den Jüngeren am stärksten ausgeprägt sein, die … die entscheidende Rolle im Vierten Reich spielen werden«.141
Viele dieser deutschen Exilanten fanden in amerikanischen Kreisen Unterstützung. Dorothy Thompson, die einflussreiche Kolumnistin des Boston Globe und spätere Verfechterin eines weichen Friedens, zitierte ungenannte Deutsche, »die wichtige Positionen im Dritten Reich einnehmen … [und] sich auf die [Zeit] nach Hitler vorbereiten«, um ihren Lesern zu versichern: »das von ihnen vorgesehene vierte Reich ist kein kommunistisches … [sondern] eine demokratische Republik«.142 Der amerikanische Journalist und Mitarbeiter im Office of Strategic Services (OSS) Wallace Deuel beteuerte 1944 in der New York Times, Nachkriegsdeutschland werde »ein freies und demokratisches Viertes Reich sein, mit dem die Welt in Frieden leben kann«.143 Im Februar 1945 brachte der Schwarze-Propaganda-Sender des OSS, »Operation MUSAC« (der deutschsprachige Pseudopopsongs vom britischen Soldatensender Calais oder »Soldiers’ Radio Calais« nach Deutschland sendete), einen neuen Song mit dem Titel »Im Vierten Reich«, der mit den folgenden zuversichtlichen Zeilen schloss:
Ja, im Vierten Reich
zieht der Herrgott ins Haus
und der Goering zieht aus,
denn das Vierte Reich
wird das Land der Gerechtigkeit sein.
Wenn die Nazis verkrachen
wird Deutschland erwachen
und auferstehn,
denn im schoenen, im Vierten Reich
wird kein Goebbels mehr luegen,
kein Funk mehr betruegen,
kein Hitler mehr bruellen,
kein Himmler mehr killen,
kein Schirach befehlen,
kein Ribbentrop stehlen,
kein Rosenberg schnaufen,
und kein Ley sich besaufen –
im Vierten Reich
werden alle zum Teufel sie gehn!144
Im Gegensatz zu diesen optimistischen Vorhersagen befürchteten skeptischere Beobachter ein zukünftiges nationalsozialistisch ausgerichtetes Deutsches Reich. Manche waren überzeugt, dass die Führer des NS-Regimes nach Kriegsende keine Niederlage akzeptieren, sondern bis zu einer Rückkehr an die Macht untertauchen würden. 1944 warnte der deutsche Exilschriftsteller Curt Riess in seinem Buch The Nazis Go Underground, die NSDAP-Führung werde sich bewusst nicht gewaltsam gegen die alliierte Besatzung wehren, um Nachkriegsdeutschland mit »Untergrundzellen« aus Parteianhängern zu unterwandern und von innen heraus auszuhöhlen.145 Riess zufolge hatte Heinrich Himmler bereits »eine Gruppe von rund 200.000 bis 300.000 Mann« in Deutschland und »eine Armee von Millionen von Sympathisanten« in Ländern wie Argentinien und Spanien versammelt.146 Ihre Aufgabe war es, zu warten, »bis die Welt Zeit hatte, zu vergessen, was die Nazis in Deutschland angerichtet haben«, und dann mit dem »Raunen über die guten alten Zeiten … unter Hitler« zu beginnen, bis es Zeit für einen Angriff ist.147 Riess war zwar nicht willens, vorherzusagen, wer »der führende Kopf im Vierten Reich« sein werde, doch hatte er keinen Zweifel, dass das ultimative Ziel der NS-Führung darin bestand, »an die Macht zu kommen, damit sie den Dritten Weltkrieg beginnen können«.148
Denselben Verdacht hegte der britische Journalist Gordon Young in seinem fiktionalen Essay »Mein Zweiter Kampf«, der 1944 im Londoner Daily Express149 erschien. In dem Text spekuliert Young darüber, wie ein zweiter von Hitler verfasster Band von Mein Kampf aussehen könnte. In Youngs Fiktion ermittelt Hitler nüchtern die vielfältigen Gründe für die militärische Niederlage Deutschlands (»schlechter Geheimdienst«, unzureichende Ressourcen und dergleichen), skizziert aber scharfsinnig einen Plan, damit »jeder pflichttreue Deutsche … für den dritten und letzten Konflikt arbeiten kann, der dem Reich endlich Weltmacht verleihen wird«. Da Deutschland dieses Ziel mit militärischer Gewalt nicht erreicht habe, erklärt Hitler: »Das Vierte Reich wird Erfolg haben müssen …, indem es demokratischer erscheint als die Demokratien.« »Unter dem Deckmantel der Förderung von Weltwissenschaft und -kultur« werde Deutschland seine kulturelle und intellektuelle Elite »zu allen internationalen Kongressen« entsenden, gleichzeitig aber versuchen, auszuspionieren, »was unsere Feinde tun und sagen«. Exmilitärs würden sich mit ihren ausländischen Kollegen verbrüdern, während der »Generalstab verdeckt arbeiten muss«, um »neue Kriegswaffen zu entwickeln«. Im zweiten Band von Mein Kampf räumt Hitler sogar ein, dass »das Neue Deutschland die Gunst der Juden pflegen muss«, indem es ihnen »Wiedereinsetzung, Entschädigung und Unterstützung für alle ihre Forderungen« anbietet. Das oberste Ziel war jedoch klar: »[W]ährend dieses neue ›reformierte‹ Deutschland der Welt eine riesige Maske vorhält, können wir zu Hause unser geheimes Viertes Reich gestalten, das unseren Endkrieg vorbereiten wird.«
Andere angloamerikanische Beobachter teilten die Befürchtung von Riess und Young, die Nazis könnten sich nach dem Krieg als Wolf im Schafspelz erweisen. Im Juni 1944 schrieb Vincent Church in der Daily Mail: »bestimmte Mitglieder der Gestapo, der Partei und der Armee werden … abtauchen … und sich insgeheim auf ein Viertes Reich vorbereiten«.150 Den gleichen Standpunkt vertraten Maxwell McCartney und J. H. Freeman im Oktober 1944 in The Times Literary Supplement: »Die Welt wird bereits vom Vierten Reich überschattet und zum jetzigen Zeitpunkt sind die Deutschen wahrscheinlich besser vorbereitet, den dritten deutschen Krieg zu gewinnen, als die Alliierten es sind, den Frieden zu gewinnen.«151 Auch der amerikanische Journalist Barnet Nover fürchtete den Tag, »an dem ein neuer Hitler an der Spitze eines Vierten Reiches einen Dritten Weltkrieg beginnen wird«.152
Andere Beobachter warnten vor dem Versuch der Nazis, Hitler zu mythologisieren und so den Grundstein für ein Viertes Reich zu legen. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 schrieb der OSS-Geheimdienstoffizier Wallace Deuel an seinen Vorgesetzten William Donovan: »einer der interessantesten … Blickwinkel der Entwicklung der vergangenen Tage … ist die Tatsache, dass das Vierte Reich jetzt sein Alibi für den gegenwärtigen Krieg hat.« Deuel unterstellte, dass unbeirrbare Nazis die bevorstehende militärische Niederlage Deutschlands auf »die Illoyalität einer kleinen Gruppe treuloser Generäle« schieben und Hitler von jeglicher politischer Verantwortung freisprechen könnten, sodass der Weg für seine Rehabilitierung frei wäre.153 Ähnlich prophezeite der britische Diplomat und Befürworter eines harten Friedens Robert Vansittart im Februar 1945, Hitler sei aufgrund der Schwäche des deutschen Volkes für charismatische, autoritäre Führer zu einer mythischen Form von »Berühmtheit« in der Nachkriegszeit bestimmt. Vansittart war überzeugt, dass das Scheitern des leiblichen Hitlers als Führer die Deutschen keineswegs beunruhigte, und warnte: »er könnte als Mythos von großem Nutzen sein, um einem Vierten Führer und einem Vierten Reich den Rücken zu stärken«. Das Wort »Reich« sollte gänzlich »verboten [werden], wenn wir klug sind«.154
Die eindringlichste Warnung vor der Entstehung eines Vierten Reiches war jedoch der Roman Phantom Victory (1944) des österreichischen Exilschriftstellers Erwin Lessner. Das Buch mit dem Untertitel The Fourth Reich, 1945–60 entwarf eine beängstigende Zukunftsvision, in der die Nazis eine drohende Niederlage in einen Sieg verwandeln. Zu Beginn des Romans neigt sich der Zweite Weltkrieg seinem Ende zu und die deutsche Führung geht eine vordergründige Zusammenarbeit mit den Alliierten ein. Die Federführung übernimmt dabei eine neu gegründete brüderliche Ordnung namens »Potsdamer Bund«, die sich aus den Anführern des deutschen Generalstabs zusammensetzt. Der Bund weist die Wehrmachtssoldaten an, ihre Waffen niederzulegen, und befiehlt der deutschen Bevölkerung, sich am passiven Widerstand zu beteiligen. Ohne eine Armee, mit der sie Verhandlungen führen könnten, schließen die Alliierten einen Separatfrieden unter der Bedingung, dass die Deutschen im Gegenzug ihren passiven Widerstand aufgeben. Im Einklang mit den Bestimmungen ihres Pakts überlässt der Potsdamer Bund Hitler den Alliierten, doch gleichsam als Omen für ihre zukünftige Doppelzüngigkeit erweist sich der Führer als Double. Die Alliierten sind außerstande, den echten Führer ausfindig zu machen, und geben ihr Entnazifizierungsprogramm bald auf. Obwohl sie die Bevölkerung dazu zwingen, Fragebögen über ihr bisheriges politisches Verhalten auszufüllen, sind die daraus resultierenden 62 Millionen Formulare so umfangreich, dass ihre Bearbeitung »die Rechtsmaschinerie der Vereinten Nationen [dazu zwingen würde] … alle anderen Aufgaben für fünfeineinhalb Generationen auszusetzen.«155
Der Roman Phantom Victory (1944) des österreichischen Schriftstellers Erwin Lessner trug maßgeblich dazu bei, eine Verbindung zwischen dem Vierten Reich und der düsteren Aussicht eines Rückfalls in den Nationalsozialismus herzustellen.
Vor diesem wenig verheißungsvollen Hintergrund zeigt der Roman weiter, wie die Uneinigkeit der Alliierten über die Besetzung Deutschlands in die Katastrophe führt. Zwei amerikanische Journalisten stehen sinnbildlich für diesen Dissens: der vorsichtige Hardliner Donald Donnelly, der alle Deutschen für die Verbrechen ihres Landes zur Rechenschaft ziehen will, und die naiv hoffnungsvolle Rose Flag, die die Deutschen über das Radio zur Buße auffordert, damit sie sich ihre Rehabilitierung verdienen. Als Reaktion auf den Appell Flags taucht die zentrale Figur des Romans, ein bescheidener, aber charismatischer Schäfer aus dem Taunus namens Friedolin auf, um sich an die Spitze einer Massenbewegung deutscher »Büßer« zu setzen. Mit recycelten Hakenkreuzarmbinden mit einem »B« für büßen zeigen die Mitglieder der reumütigen Bewegung nach und nach quasinazistische Züge und begrüßen sich gegenseitig mit der Anrede »Buß Heil!«. Als Deutschland von einer Welle der Reue überzogen wird, sind die amerikanischen Vertreter überzeugt, dass das Land den Prozess der Selbstprüfung ausreichend abgeschlossen hat und für den Wirtschaftsaufschwung bereit ist. An diesem ist den USA besonders gelegen, da sie noch im Krieg mit Japan liegen und deutsche Rüstungsgüter brauchen, um den Krieg im Pazifik zu gewinnen.156
Die Abhängigkeit der USA von Deutschland erweist sich jedoch als fatal, da sie Friedolin das nötige Druckmittel zur Machtergreifung an die Hand geben. Donald Donnelly ist der Erste, der diese Bedrohung erkennt; ungefähr in der Mitte des Romans klagt er einem Barkeeper, »dass wir [Friedolin] geben werden, was immer er verlangt – und wir werden in Asien bluten, während die Deutschen sich bereichern … Dann ein neuer Akt in der Friedolin-Farce: das Vierte Reich. Jedes neue Reich beginnt einen Krieg. Ich bitte Sie, mir meine Prophezeiung zu verzeihen, aber den Dritten Weltkrieg gewinnen wir nicht.«157 Bald schon werden Donnellys Ängste wahr, da Friedolin die wachsende wirtschaftliche Schwäche der USA ausnutzt, um die nationale Souveränität Deutschlands wiederzuerlangen; er zwingt die amerikanischen Truppen, das Land bis 1947 zu verlassen. Auch wenn die USA Japan schließlich besiegen, gelingt es der Regierung Friedolins aufgrund der amerikanischen Verpflichtungen gegenüber Deutschland, ihren europäischen und afrikanischen Nachbarn eine Wirtschaftsunion zu oktroyieren. Friedolins »Rat der Hirten«, der die Gründung »Eurafrikas« begrüßt, rühmt sich 1950, dass Deutschland »mit friedlichen Methoden mehr erreicht hat, als sich die ehemaligen deutschen Regierungen mit bewaffneter Macht zu erreichen erträumten!«158 1952 organisiert Friedolin ein riesiges Propagandaspektakel auf einer Wiese in der Nähe des Taunus, wo er im Hirtengewand die Proklamation des »Vierten und Ewigen Reiches« ankündigt.159 Mit neuen Wahlsprüchen wie »eine Herde, eine Weide, ein Hirte« und einem neuen deutschen Emblem aus »zwei überkreuzten Hirtenstäben« erweist sich das neue Deutschland als aktuelle Version der NS-Diktatur.160
Von diesem Zeitpunkt an erleben die Alliierten eine endlose Reihe von Katastrophen. Das neue Reich nutzt seine wirtschaftliche Macht, um die Länder Europas, Asiens und Lateinamerikas zum Beitritt zur so benannten Deutschen Union zu zwingen; es finanziert antikoloniale Aufstände gegen das britische Empire und marschiert 1960 erfolgreich in den USA ein. Mit »Geschwadern feindlicher Bomber […], die Tod und Zerstörung [über amerikanischen Städten] verbreiten«, versucht Donald Donnelly verzweifelt, Widerstand zu mobilisieren, wird aber letztlich von einem rechtsextremen Teenager in dem überwiegend von Deutschen besiedelten Stadtteil Yorkville in Manhattan erschossen. Am Ende des Romans hält Friedolin eine Rede in »Greater Yorkville« (der neue Name für New York) und gibt sich als ehemaliger SS-Mann zu erkennen; er hat sich auf den Tag vorbereitet, an dem die Nazis an die Macht zurückkehren, und verkündet die aufsehenerregende Nachricht, dass Hitler noch am Leben ist und bald »seinen Platz an meiner Seite einnehmen wird«. In einem letzten höhnischen Kommentar prahlt er: »Die Umerzieher wollten, dass wir Buße tun. Jetzt ernten sie, was sie gesät haben. Sie werden uns als Herden für die Dauer des Vierten Reiches dienen – für alle Ewigkeit!«161
Als offen propagandistisches literarisches Werk nutzte Phantom Victory den Begriff des Vierten Reiches, um sich die Unterstützung der Amerikaner für einen harten Frieden in Nachkriegsdeutschland zu sichern. Der Roman erschien zu einem entscheidenden Zeitpunkt in der amerikanischen Politik. Im Lauf des Jahres 1944 hatten amerikanische Lobbyorganisationen wie die Society for the Prevention of World War III [Gesellschaft zur Verhinderung eines Dritten Weltkriegs], die für einen harten Frieden eintrat, vor einem weiteren bewaffneten Konflikt mit Deutschland gewarnt, wenn die militärische Macht des Landes nicht dauerhaft zerstört würde. Gleichzeitig liebäugelten amerikanische Regierungsvertreter mit dem rigorosen Morgenthau-Plan zur Deindustrialisierung Deutschlands. In diesem Klima drängte Phantom Victory auf repressive Maßnahmen. Aus persönlichen Gründen unterstützte Lessner einen harten Frieden. Als österreichischer Journalist, der im Ersten Weltkrieg aufseiten Deutschlands gekämpft hatte, stellte er sich nach der Machtergreifung Hitlers aktiv gegen das NS-Regime, floh 1938 schließlich aus Österreich in die Tschechoslowakei und später nach Norwegen, wo er von der Gestapo gefangen genommen und gefoltert wurde. Nach seiner Flucht in die USA 1941 wurde er zu einem entschiedenen Befürworter der Ausmerzung des deutschen Militarismus, die seiner Ansicht nach eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Frieden war.162 Lessners harte Linie zeigt sich in dem Schlusskapitel von Phantom Victory, das aus einem einzigen Satz besteht: »Und im Übrigen sage ich, dass Deutschland zerstört werden sollte.«163 Wie diese Anspielung auf den berühmten Ausspruch »Carthago delenda est« (»Karthago muss zerstört werden«) zeigt – Cato der Ältere bekräftigte die Entschlossenheit der Römischen Republik, Karthago in den Punischen Kriegen als zukünftige militärische Bedrohung zu beseitigen –, unterstützte Lessner einen karthagischen Frieden für Deutschland, der eine zukünftige Bedrohung der Westmächte verhinderte. Die Schilderung seines Albtraums eines Vierten Reiches sollte sicherstellen, dass das zukünftige Deutschland nie wieder in den Nationalsozialismus zurückfallen würde.
Phantom Victory wurde viel gelesen und allgemein positiv rezipiert. Die New York Times lobte die »außerordentlich raffinierte« Handlung des Romans; andere würdigten, dass er »den Leser mit dem schaudernden Gefühl eines besonders grausamen Albtraums zurücklässt«.164 Nicht alle Kritiken waren positiv: Ein Kommentator bezweifelte, dass Lessners Aufruf zur Zerstörung Deutschlands »die spirituelle Bedrohung durch den Nazismus beseitigen« würde, während ein anderer seine Darstellung amerikanischer Leichtgläubigkeit angesichts der büßenden Deutschen anzweifelte und betonte, die Amerikaner würden »das deutsche Spiel durchschauen«.165 Insgesamt begrüßten die Kritiker jedoch Lessners Botschaft der Wachsamkeit. Phantom Victory sei »ein heilsames Tonikum für diejenigen, die … meinen, der Krieg liege hinter uns und wir könnten in den Traumzustand zurückkehren, der unser Denken vor Pearl Harbor prägte«, schrieb The Hartford Courant.166 Ähnlich urteilte das Life Magazine und erklärte in einem prominenten Buchporträt im Mai 1945, seine »fantastischen Vorhersagen produzierten … die Schlagzeilen … von heute« und böten amerikanischen Lesern »reichlich Stoff zum Nachdenken.«167 Diese positiven Reaktionen zeugen von der wichtigen Rolle, die Phantom Victory spielte, um die Amerikaner vor der potenziellen Gefahr eines Vierten Reiches zu warnen.