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Unstillbare Sehnsucht

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Stundenlang betrachtete ich die Kunstbücher, in denen Bilder von Gaugin, van Gogh, Picasso und anderen abgedruckt waren. Und ich entwickelte eine unstillbare Sehnsucht, ebenfalls ein Künstler zu werden, um Dinge zu schaffen, die mich berühmt machen würden. Ich musste etwas Besonderes, Originelles, Einzigartiges und Außergewöhnliches in meinem zukünftigen Leben leisten, damit die Demütigungen aufhörten und alle stolz auf mich sein würden. Dieser Ruhm müsste meine Waffe werden und mich unangreifbar machen. Die anderen müssten mich respektieren und annehmen wie ich bin, mit all meinen Krankheiten und körperlichen Andersartigkeiten. Kein Arzt dieser Welt würde mich mehr als einen neurotischen Simulanten bezeichnen, alle würden sie sich in einem Wettstreit um mich bemühen und der Gewinner wäre stolz, neben mir stehen zu dürfen, hoch oben im Scheinwerferlicht, weil es ihm gelungen war, als Erster meine wirkliche Krankheitsursache herausgefunden zu haben.

»Hat Prometheus das Feuer in mich gelegt?«, fragte ich Mutter beim Zubettgehen.

»Wie kommst du denn darauf?«

»In einem der Bücher, die du mir geschenkt hast, steht, dass Prometheus den Menschen das Feuer brachte.«

»Ich kann es dir nicht sagen, mein Junge.«

»Wenn ich Prometheus male, verschont er mich dann mit seinem Feuer?«

Mutter verabschiedete sich von mir mit einem Kuss auf meine fieberfreie Stirn, wünschte mir eine gute Nacht und löschte das Licht. Und ich dachte weiter darüber nach, was Mutter mir über die Schmerzen gesagt hatte. Wieso sollten sie eigentlich durch eine Heirat weggehen? Vielleicht würden sie ja vom ständigen Streit der Eltern vertrieben. Ich kannte meine Eltern nicht anders, als dass sie miteinander stritten. In diesem Fall hätte ihr widerlicher Streit, den ich so sehr hasste, doch noch einen Sinn. Und wieso sollten die Schmerzen und Krämpfe verschwinden, wenn man Kinder bekommt? Packten die Krankheiten ihre Koffer und zogen bei den Kindern ein? War das auch bei meiner Geburt so gewesen, dass sich diese unangenehmen Zeitgenossen ungefragt bei mir einnisteten?

Die Gedanken drehten sich so, wie mein Hamster Max beim Laufen sein Käfigrad drehte und wie sich alles um sich selbst drehte, ein Gemisch aus Gas, Wasserstoff und Staub verstorbener Sterne im kosmischen Kreißsaal, so lange, bis es so stark zusammengepresst ist, dass es sich entzündet und ein neuer Stern entsteht, der zu glühen beginnt und sich dreht und glüht und plötzlich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit in meine Hände fällt. Ich schreckte aus dem Bett hoch. Ich war eingeschlafen. Solche Träume waren immer die Nachwehen meiner Anfälle, und ich war erleichtert, dass nicht wirklich ein brennender Stern auf mich gestürzt war. Ein Glück. Ich war noch einmal davongekommen. Kein neuer Anfall, nur ein Traum. Ich hörte das Geräusch aus dem Käfig von Max, der immer noch in seinem Rad lief und dabei immer schneller wurde.

Hätte mir in dieser Nacht jemand gesagt, dass eines Tages in meinem späteren Leben die weiblichen chinesischen Verwandten von Max mein Leben retten würden, dann hätte ich diesen Jemand für verrückt erklärt.

Waren die Fieberschübe vorbei, kamen die Zeiten, in denen ich mich wie ein ganz normales, gesundes Kind fühlte. Meine Schwester Manuela und ich probten in diesen glücklichen Zeiten kleine Theateraufführungen, die wir beim Besuch von Geschäftsfreunden meiner Eltern zum Besten gaben. Manuela tanzte dabei einen Mix aus Ballettschritten, Twist, Rock’n’Roll, Walzer und Foxtrott; ich rezitierte dazu Texte, die ich von überall her aufgeschnappt oder aus den Zeitungen und Büchern meiner Mutter zusammengesammelt hatte. Wenn es uns beiden nach einiger Improvisationszeit gelungen war, den Tanz- und Sprachrhythmus anzugleichen, gab es von den Zuschauern stets heftigen Applaus, den ich genoss wie einen köstlichen warmen, tropischen Regen, der auf uns niederprasselte. Dies waren die Königsmomente in meiner Kindheit. Sie wurden nur gleich wieder relativiert, wenn die Gäste nach unseren Aufführungen manchmal meinen Eltern zuflüsterten, was denn mit mir los sei, ich sähe krank aus und für mein Alter und meine Größe sei ich viel zu dünn. »Leidet euer Sohn vielleicht an Magersucht?« Dabei hatte ich zu Mittag gerade erst acht Pflaumenknödel verdrückt und fühlte mich in meiner Dünnheit sauwohl. Nie würde ich überflüssiges Gewicht durch die Welt schleppen müssen. Das wollte ich demnächst in das Getuschel der Gäste hineinschreien! Solange ich lebe, schwor ich mir damals, würde ich nicht aufhören, mir meine Glücksmomente zu schaffen. Ohne unsere kleinen Kunststückchen, die meine Schwester und ich erfanden und probten, um sie dann zur Aufführung zu bringen, wäre ich sicherlich zugrunde gegangen. Mal dramatisch, mal komisch, wir konnten in sie alles hineinpacken, was uns auf der Seele lag. Unser Theater war eines dieser Kindheitsparadiese, so wie die Natur mit ihren Feldern und unendlichen Wiesen unser Spielplatz war.

Und trotzdem lebe ich

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