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Das Zittern meines Vaters

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Meine Eltern waren 1950 mit meinem Bruder Richard aus ihrer Heimat Augustusburg in Sachsen mit dem Auto geflüchtet. Zuerst ging die aufregende Fahrt bis Potsdam. Dort trennten sie sich. Mutter fuhr mit meinem Bruder Richard in der S-Bahn nach West-Berlin. Vater fuhr allein weiter über die Interzonengrenze, ebenfalls in Richtung West-Berlin. Im Innern der Reifen waren Schmuck, Silberbesteck und andere familiäre Wertgegenstände versteckt. Alles andere hatten sie in ihrer Heimat zurückgelassen. Vater erzählte mir später, wie sein gesamter Körper zu zittern begann, als er auf die Grenze zufuhr. Dieses Zittern sei ihm geblieben und würde immer automatisch seinen Körper anfallen, wenn er sich irgendeiner Grenze näherte, um sie zu passieren. Vater hatte großes Glück und konnte die Grenze damals unkontrolliert passieren. Auch meine Mutter und mein Bruder erreichten West-Berlin unbeschadet. Meine erschöpften Eltern wurden gemeinsam mit meinem Bruder liebevoll bei dem Wissenschaftlerehepaar Walter Kahn aufgenommen, die eine große Wohnung am Ku’damm hatten. Dort wurden die Ost- durch Westnummernschilder ersetzt. Die Familie Kahn war seit vielen Jahren mit der Familie meiner Mutter befreundet, und so hatten sie diesen Austausch für meine Eltern vorbereitet. Nach drei Tagen setzte meine Familie ihre Reise fort, in Richtung Süddeutschland, wo mein Vater in dem kleinen Ort Rauenberg eine alte, fast zerfallene Zigarrenfabrik mietete, die er kurz darauf auch erwarb. Hier begannen die Eltern ihren Neustart im Westen.

Als mich Vater 1954 bei Tante Maria in Gelenau abholte, füllte er die Reifen wieder mit ein paar Wertsachen, die meine Eltern bei den zurückgebliebenen Ost-Verwandten gelagert hatten. Beim Erreichen der Interzonengrenze begann Vaters Körper zu zittern. Ein Grenzbeamter hielt uns an und sprach von einer strengen Kontrolle, die er gemeinsam mit seinem Kollegen durchführen wolle. Vaters Nerven lagen blank. Der Beamte forderte meinen Vater befehlsartig auf, sofort aus dem Wagen zu steigen. Noch bevor mein Vater diesem Befehl folgen konnte, wurde der Grenzbeamte durch irgendetwas abgelenkt und schaute in eine andere Richtung. Diesen Moment nutzte mein Vater und zwickte mich so derb in meinen kleinen Kinderpo, dass ich aus vollem Hals anfing zu schreien. Mein Vater schaute mich an und hielt sich dabei seine Nase zu. Der Grenzbeamte war sichtlich ergriffen und gleichzeitig genervt von meinem Gebrüll und gab meinem Vater zu verstehen, unverzüglich weiterzufahren. Und er fügte noch hinzu, dass es in zwei Kilometern einen Parkplatz gebe, wo man Windeln wechseln könne. Vater fielen in diesem Augenblick wohl Tonnen von Steinen vom Herzen.

Und trotzdem lebe ich

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