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Intensive Hand- und Arm-Belastung
ОглавлениеDie Hand beim Musizieren ist praktisch ein Teil des Instruments, so dass sie nur einen geringen Bereich ihrer Freiheitsgrade der Bewegung ausspielen kann. Weit entfernt vom Körper in Frontalposition steht sie häufig unter Dauerbelastung. In dieser Haltung beginnt der Dauerstress an den Beugeseiten der Schultergelenke. Gefordert sind primär (neben dem Bizeps) der große und kleine Brustmuskel. Spannungsaufbau, Volumenzunahme und Verkürzungen sind die Folge. Parallel läuft eine komplexe Atrophie in den Gegenspielern (Antagonisten) in Höhe der Schulterblätter sowie des Rückens. Diese muskuläre Dysbalance wäre an sich nicht dramatisch, wenn das Schultergelenk und auch das Hüftgelenk in einem fest gefügten Knochenring verankert wären, analog zum Beckenring. Die Schultern aber sind ein lockeres Gefüge, leicht verstellbar wie eine Gürtelschnalle, sodass der verstärkte Zug der beugeseitigen Schultermuskeln das Schultergelenk leicht nach vorn verlagern kann. Die krumme Sitz- und Körperhaltung ist die Folge, in der die Brustbeingelenke speziell durch die Schlüsselbeine unter Druck gesetzt werden.
»Brustbeinbelastungshaltung« nennt man die Vorverlagerung der Schultern durch die Anpassungshaltung an ein Instrument, wie sie intensiv an Geige oder Bratsche ausgelöst wird.
Abb. 12 Brustbeinbelastung an der Geige
Damit verlieren große Muskeln der Schultern ihr wichtigstes Regulativ für ihre optimale Funktion, ausgewiesen durch Gegenschwung, der praktisch nicht mehr vollzogen wird. Diese typische Ausholbewegung kennt jedes Kind: Rein instinktiv setzt es diesen Schwung bei jedem Steinwurf ein. Findet allerdings bei täglicher Arbeit dieser Gegenschwung nicht mehr statt, so hat das natürlich negative Folgen für die Leistungsfähigkeit, nicht nur in den Schultern, sondern im gesamten Arm. Allein in der Brustbeinbelastungshaltung gerät durch die lokale Muskelanspannung ein Nervengeflecht unter Druck, und schon das allein unterhält die sekundären Muskelkompressionssyndrome, wie sie im Musikerberuf so häufig in den Armen anzutreffen sind.
Aus Sicht der Biomechanik gibt es allerdings Unterschiede zwischen den Schulter- und Hüftgelenken bei langer Sitzarbeit. Wie bereits beschrieben, verkürzt sich der Hüftlendenmuskel am Hüftgelenk, allerdings mit dem gravierenden Unterschied zu den Schultern, denn die Hüftgelenke sind knöchern fest im Beckenring stabilisiert. Der bewegliche Teil in diesem Gelenksystem ist nicht das Hüftgelenk, sondern die Lendenwirbelsäule, und sie ist es, die sich nach vorn verlagert. Das verstärkte Hohlkreuz (Lordose) mit einer bedenklichen Druckerhöhung in den unteren Bandscheiben ist die Folge.
Selbstorganisation ist das Erhaltungskonzept in der Natur, ebenso aber auch in unserem Körper, um Fehlentwicklungen zu korrigieren. Diese nach vorn entgleiste Dysbalance der Schultern ist vergleichbar dem »Quadriga-Effekt« bei einem Wagenlenker, der mit allen Kräften versucht, seine durchgehenden Pferde in die Zügel zu nehmen. In der Brustbeinbelastungshaltung schaltet unser Körper automatisch einen vergleichbaren Reflexbogen, ausgelöst durch den verstärkten Druck der Schlüsselbeine und Rippen vorne auf die Brustbeingelenke. Vordere Hals-, Brust- und Schultermuskeln werden zusätzlich in Anspannung versetzt (»vom Kutscher in die Zügel genommen«), nur so können die gereizten Brustbeingelenke entlastet werden, obwohl die Halsmuskeln für diese Mehrbelastung gar nicht vorgesehen sind.
Diese angespannten Muskeln können aber jederzeit Kompressionssyndrome auf Nerven und Blutgefäße auslösen, die deutliche Leistungseinbußen in den Armen und Händen provozieren. An der Beugeseite des Schultergelenks liegt nämlich ein großes Nervengeflecht (Plexus cervicalis und Plexus brachialis). Gerät es permanent durch die Brustbeinbelastungshaltung unter Druck, so können hierdurch wichtige Armnerven gereizt werden; musikerspezifische Kompressionssyndrome sind die Folge. Aber auch die fokale Dystonie kann hier ihren Anfang nehmen, wenn psychosomatische Stresssituation hinzukommen.
Die Brustbeinbelastungshaltung ist ein spezielles Kompressionssyndrom. Betroffen sind frontal geführte Instrumente wie Geige, Bratsche, Blasinstrumente, Cello, Kontrabass, aber auch die Tastenposition am Klavier. Gefragt ist wiederholtes Gegenschwungstretching, vorgetragen als »Kreuzhang-Ritual«.