Читать книгу Burnout - Prüfungsstress - Lampenfieber - Gerd Schnack - Страница 7
1. Musik als harte Arbeit
ОглавлениеGesundheitsrituale im Stressalltag
Mit Musik geht alles besser – mit Sicherheit, denn nur so ist es zu verstehen, dass Menschen bereit sind, von frühester Jugend einem Beruf nachzugehen, der täglich extreme Körperbelastungen mit ganzer Hingabe abverlangt. Talent und endlose Stunden des Übens sind der Grundstock einer Lebensgestaltung, die von Freude und Begeisterung geprägt sind. Nicht allein der Intelligenzquotient (IQ) entscheidet über unser berufliches Schicksal. Aus Sicht der modernen Neurophysiologie gewinnt der Emotionsquotient (EQ) signifikant an Bedeutung: Ein erfolgreicher Musiker braucht beides. IQ und EQ gipfeln dann in einem pragmatischen Durchsetzungsquotienten (DQ), der im österreichischen Spitzensport geprägt wurde und jeden erfolgreichen Bühnenauftritt steuert. Der menschliche Organismus ist durchaus robust, wie wäre es anders zu verstehen, dass extreme Belastungen an der Geige über Stunden, Tage, ein Leben lang erbracht werden können? Aus meiner Sicht sind hierfür drei Gründe verantwortlich:
1 Die Musik in ihrer hohen emotionalen Ansprache stimuliert Musiker geistig, körperlich und emotional total, sodass der ausgelöste Energieschub Extrembelastungen auch über längere Zeit zulässt.
2 Der Musiker beschenkt mit seinem persönlichen Auftritt andere Menschen, er macht sie glücklich. Applaus als Ausdruck der Begeisterung trifft unmittelbar auf den Musiker zurück. Hierdurch werden im Gehirn Spiegelneuronen aktiviert, die auch durch leuchtende Kinderaugen ausgelöst werden können, wenn man sie beschenkt. Über die Aktivität dieser Spiegelneuronen werden im Gehirn die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin abgebaut, wie italienische Forscher (Rizolatti et al.) in Studien nachweisen konnten.
3 Musik schafft Freude und Begeisterung und das setzt Glückshormone im Gehirn frei. Denn alles was der Mensch gern tut, baut Stress ab.
Der Bildungsforscher Anders Ericsson hat in Berlin Geigerinnen befragt, die auf höchstem Niveau die erste Geige spielten, und festgestellt, dass alle bis zum 20. Lebensjahr mehr als 10 000 Stunden geübt hatten, was einem zeitlichen Aufwand von ca. 10 Jahren entspricht. Keine einzige erreichte dieses Niveau, die weniger als 10 000 Stunden investiert hatte. Musik ist in der Tat harte Arbeit, es ist schon erstaunlich, dass der Bewegungsapparat dieser Belastung gewachsen ist – ein Leistungslevel, das aber ohne wirksame Entspannungsstrategien kaum gehalten werden kann.
Erfolg braucht harte Arbeit! Der Weg zur Spitze auf einem Gebiet ist mit 10 000 Stunden Leistungsbereitschaft gepflastert.
Die allgemeine Belastungssituation hat sich in den letzten Jahren für Musiker weiter verschärft, denn ständiges Spielen auf zwei »Klavieren« ist angesagt, wobei das zweite Instrument vom Computer bestimmt wird:
1 Musik ist harte Arbeit, aber nicht allein, denn in der Freizeit wird der Musiker mit der Doppelbelastung einer Online-Präsenz konfrontiert, in der erholsame Pausen rar sind. Ergänzend zum Instrument sind wiederum die Hände am PC in ständiger Bedienungsbelastung. Belastungssyndrome hängen als Berufskrankheit RSI (»Repetitive Strain Injury«) wie ein Damoklesschwert über jedem Musiker.
2 Mit der fehlenden Pause schwinden auch die Zeitfenster für eine Ausgleichsbewegung. Die allgemeinen Stresshormone können kaum noch durch Ausdauertraining ausgeglichen werden, das Herz-Kreislauf-Risiko steigt an.
3 Mit der Globalisierung der offenen Grenzen kommen vermehrt gut ausgebildete Musiker aus anderen Ländern zu uns, damit steigt der Konkurrenzdruck. Lampenfieber oder die Angst vor dem Versagen rücken in den Vordergrund.
4 Bereits in jungen Jahren ist der Wettbewerbsdruck in der Musikerausbildung enorm hoch. Auf der Suche nach einer Orchesterstelle sind es oft bis zu 80 Kandidaten aus der ganzen Welt, die sich um diesen Posten bewerben.
5 Auch Reisestress bleibt Musikern nicht erspart. Früher reiste man, um unterwegs zu sein, heute reist man nur noch, um anzukommen. Eine Veranstaltung jagt die andere, denn Zeit ist Geld.
Lernen ein Leben lang wird inzwischen in fast allen Berufen unabdingbar, für Musiker ist das nicht neu. Lernen als Sonderform der Veränderung ist somit auch ein spezieller Ausdruck der Lebensstiländerung. Befehle oder Appelle sind jedoch wenig hilfreich, hierauf spricht das Belohnungssystem im Gehirn nicht an. Das Belohnungssystem im »emotionalen Gehirn« ist die Wiege allen Lernens, denn nur, was mit ganzer Hingabe, mit Freude und Begeisterung gemacht wird, wird auch gespeichert. Dabei werden drei Gehirnfunktionen miteinander vernetzt: Sinneswahrnehmungen, Emotionen und Gedächtnis.
Alles, was Spaß macht, landet auch im Gedächtnisspeicher – nachhaltig vernetzt durch das Prinzip der Wiederholung, denn für das Gehirn geht die Wiederholung mit Bedeutsamkeit einher, ganz nach dem Motto: »Die Wiederholung ist die Mutter des Studierens.« Außerdem sind Umgebungsreize und Belohnung eng vernetzt: Die Erfahrung einer Melodie in spektakulärer Umgebung wird im Falle der Wiederholung das »erinnerte Wohlbefinden« auslösen, wie der amerikanische Forscher H. Benson in Studien nachweisen konnte. Auch Suchterkrankungen haben ihren Ursprung im Belohnungssystem, betont Falk Kiefer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.
Wir leben in einer Zeit hoher Dichte zentral im Gehirn zu verarbeitender Sinnesreize, die aber in der Mehrzahl am Belohnungssystem vorbeilaufen. Und trotzdem filtert das Gehirn in dieser Flut von Informationen unbewusst das heraus, worauf das Belohnungssystem durch bestimmte Marker reagiert: Das Kennsignal besonders für junge Menschen lautet bei Twitter oder Facebook »Kontakt mit Freunden«, Glückshormone werden freigesetzt. Das Neuronennetz im Belohnungssystem spricht an, körpereigene Endorphine als Glückhormone werden freigesetzt, die durchaus mit dem Suchtmittel Opium verglichen werden können.
Musik ist ein ganz spezieller Marker für das Belohnungssystem im »emotionalen Gehirn«. Es setzt Endorphine als Glückshormone frei, die nicht nur glücklich machen, sondern auch schmerzlindernd wirken können.
Glücksgefühle sind die Startsignale für das Belohnungssystem, denn ohne diese emotionalen Marker ist der Gedächtnisspeicher nur schwer zu öffnen. Dabei ist das Glückshormon Dopamin der wichtigste Marker, der Schlüssel zum »Palast unserer Wünsche«. Positive Lebenserfahrungen, aber auch die Meditation setzen Dopamin frei, wobei darauf das Neuronennetzwerk im Belohnungssystem aktiviert wird, sodass mit dem Sinnesreiz auch gleichzeitig die jeweilige Situation aufgerufen wird.
So gesehen ist Gesundheit primär eine reine Kopfsache, die entscheidend vom »emotionalen Gehirn« ausgeht, wie der japanische Chirurg Shigeo Haruyama in seinem Buch »Wahre Gesundheit beginnt im Kopf« nachhaltig begründet. Alles, was mit Freude und Begeisterung geleistet wird, landet nicht nur im Belohnungssystem, es trägt auch dazu bei, dass das Erlernte auf Dauer und somit ein Leben lang weiter verfolgt wird – die Basis für Gesundheitsförderung schlechthin. Jeder Mensch zieht sich gerne in seinen »Schutzkokon« zurück, das ist die unantastbare Komfortzone, die mit allen Kräften verteidigt wird.
Glückshormone können Menschen verändern. Glückshormone sprengen die Komfortzonen auch von Individualisten, so funktioniert Gesundheitsförderung.
Glückshormone sind spezielle Botenstoffe, Neurotransmitter, die von Nervenzellen im Gehirn und von endokrinen Drüsen gebildet werden. Es handelt sich um morphiumähnliche Eiweißkörper, die zum einen die Stimmung aufhellen, zum anderen aber auch Schmerzen lindern können. Gleichzeitig stehen sie in enger Verbindung zum Immunsystem: Sie stärken es, fördern die Selbstheilungskräfte in uns und wirken dem Alterungsvorgang entgegen. Inzwischen sind den Neurowissenschaften ca. 20 Glückshormone bekannt. An der Spitze steht das Beta-Endorphin, das schon vor Jahren in der Läuferszene Furore machte, weil es für das Stimmungshoch (»Runner’s High«) verantwortlich ist. Grundsätzlich kann man folgern, dass menschliche Reaktionen betont zweigeteilt verlaufen:
1 Das »Ja, ich will«-Zustimmungssystem nimmt eine Reaktion wahr, nimmt sie an und leitet konsequentes Handeln ein. Gleichzeitig werden auf diese Weise die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin abgebaut und im Gegenzug wird das Glückshormon Endorphin gesteigert.
2 Das »Nein, ich will nicht«-Ablehnungssystem arbeitet mit der Widerstandskraft des Sympathikus. Stresshormone wie Noradrenalin bestimmen das Versagen, Glückshormone haben keine Chance.
Positives Denken ist schwer. Eine positive, affirmative Grundeinstellung dagegen ist trainierbar, ganz nach dem Motto: »Protestiere nicht gegen Stress, den Du nicht verhindern kannst, nimm ihn an und mach’ das Beste daraus. Die Glückshormone helfen Dir!«
In positiver Grundstimmung in Kombination mit Ausdauertraining werden nicht nur die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin abgebaut, die Glückshormone mit dem Beta-Endorphin sind es, auf die es ankommt, und das mit folgender Wirkung:
Glückshormone leben von der persönlichen Zustimmung durch Freude und Begeisterung, denn der Mensch ist von seiner Grundstimmung ein Hedonist, ein lustorientiertes Wesen. Bereits Thomas von Aquin sagte (sinngemäß): »Die Lust ist gottgewollt! Wir hätten ja keine Geschmackszellen, keine lustempfindlichen Zellen bekommen, wenn die für nichts gut wären. Prinzipiell ist Lust gut – nur ihre Unordnung ist daneben.«
Bewegung, aus voller Überzeugung mit Freude praktiziert, setzt Glückshormone frei. Wird bei diesem Training das Maß des Erträglichen nicht überschritten (Aerobic genannt), so haben stressbedingte Erkrankungen im Herz-Kreislauf-Sektor wenig Chancen.
Glückshormone bauen freie Radikale als aktiven Sauerstoff ab. Dieser aktive Sauerstoff ist eine der Hauptursachen für die Entstehung von Krankheiten wie Arteriosklerose oder Krebs und gleichzeitig entscheidend für die Alterung. Er gelangt über die Atmung in den Blutkreislauf. Umweltgifte, besonders aber Stress, lassen freie Radikale entstehen.
Glückshormone entstehen in der Meditation. Im ersten Stadium der Meditation, im Alpha-Zustand, herrschen im Gehirn Erregungswellen zwischen 8 und 13 Hertz, die mit Glückshormonen im Zusammenhang stehen. Im wachen Beta-Zustand zwischen 13 und 30 Hertz stehen Erregungen mit großem Stressaufkommen im Vordergrund.
Die Glückshormone beeindrucken aber nicht nur durch ihre hohe psychosomatische Wirkung, sie sind auch in der Lage, unser aktuelles Zeitgefühl zu verändern. Glückshormone bestimmen jeden Moment der »Achtsamkeit des Augenblicks«, wenn wir eintauchen in konzentriertes Handeln und Denken, ausgedrückt durch ein bewusstes Tun, in dem Zeit und Raum aufgehen. So ergeht es Kleinkindern, wenn sie sich im Spiel »verlieren«; im späteren Leben ist auch Musik mit diesem »Seelenbad« der Achtsamkeit vergleichbar.