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1.3 Zu dieser Einführung in die Erkenntnistheorie

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Ziel und Aufbau des Buches

Das Ziel dieser Einführung ist es, dem Leser einen systematischen Überblick über die Grundprobleme und Positionen der heutigen Erkenntnistheorie sowie deren Zusammenhang zu geben. Im Mittelpunkt werden dabei die beiden Grundfragen, also die Fragen nach dem Umfang und der Natur unseres Wissens stehen. Ausgangspunkt sind die systematischen Überlegungen, die zu zeigen scheinen, dass wir nichts, oder doch so gut wie nichts wissen können. Das zweite Kapitel stellt diese „skeptische Herausforderung“ vor. Der Rest des Buches wird sich dann im Wesentlichen mit den Versuchen beschäftigen, dieser Herausforderung zu begegnen. Dabei kann man immer zwei Stufen unterscheiden: In einem ersten Schritt wird eine Antwort auf die Frage nach der Natur des Wissens vorgeschlagen; in einem zweiten Schritt ist dann zu untersuchen, wozu diese Antwort im Hinblick auf die skeptische Herausforderung führt. Es gibt drei grundlegend verschiedene Ansätze zur Analyse von Wissen, und jeder Ansatz ist in spezifischer Weise mit dem skeptischen Problem konfrontiert. Der erste dieser Ansätze, der sich dadurch auszeichnet, dass hier dem Begriff der Rechtfertigung eine zentrale Rolle eingeräumt wird, wird im fünften Kapitel vorgestellt. Das sechste Kapitel beschäftigt sich dann mit der Frage, welche Konsequenzen sich aus der entsprechenden Wissensanalyse in Bezug auf die skeptische Herausforderung ergeben. Im siebten Kapitel wird der zweite Ansatz zur Analyse des Wissensbegriffs beschrieben. Bei diesem spielt der Begriff der Rechtfertigung (jedenfalls in einem bestimmten Sinn) keine Rolle. Stattdessen wird hier die Art und Weise, wie eine wahre Überzeugung zustande kommt, als entscheidend für das Vorliegen von Wissen angesehen. Aus diesem Grund stellt sich auch das skeptische Problem in anderer Weise dar. Auch darauf werden wir im siebten Kapitel eingehen. Das achte Kapitel schließlich diskutiert den dritten grundlegenden Ansatz zur Analyse des Wissensbegriffs, den Kontextualismus, und dessen anti-skeptisches Potential. Dieser Ansatz zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er, anders als die beiden ersten Ansätze, nicht von einem „Faktum des Wissens“ ausgeht. Was das genau bedeutet, wird noch geklärt werden. Die Kapitel drei, vier und neun ergänzen dieses Programm in folgender Weise: Im dritten Kapitel werden einige Überlegungen zur Methode der Erkenntnistheorie angestellt, um so das Vorgehen in den weiteren Kapiteln verständlich zu machen und zu rechtfertigen. Das vierte Kapitel behandelt Fragen, deren Beantwortung weitgehend unabhängig davon ist, welchen der in den nachfolgenden Kapiteln beschriebenen Ansätze man vertritt. So wird hier insbesondere das Verhältnis zwischen dem Begriff des Wissens und den Begriffen der Wahrheit und der Überzeugung untersucht. Das neunte Kapitel schließlich gibt einen abschließenden Ausblick auf weiterführende Fragen der Erkenntnistheorie.

Zwei Einschränkungen

Diese Einführung möchte einen systematischen Einblick in die Fragen der heutigen Erkenntnistheorie geben. Dass es um die heutige Erkenntnistheorie gehen soll, bedeutet vor allem, dass nur am Rande klassische Positionen der Erkenntnistheorie behandelt werden. Was Descartes, Leibniz, Berkeley, Locke, Hume, Kant und andere große Philosophen zu erkenntnistheoretischen Fragen gesagt haben, ist natürlich auch für heutige Philosophen von Interesse. Eine faire Auseinandersetzung mit diesen historischen Positionen ist jedoch im vorliegenden Rahmen nicht möglich, und so werden wir uns auf einige Hinweise beschränken. Dass hier ein systematischer Überblick gegeben werden soll, bedeutet, dass auch die heutigen Fragestellungen nicht in erster Linie anhand einer Auseinandersetzung mit den Einzelpositionen heutiger Philosophen diskutiert werden. Natürlich wird nicht auf die Zuordnung bestimmter Ansichten zu bestimmten Philosophen verzichtet. Die Details einzelner Positionen werden jedoch nur dann behandelt, wenn das für den Gang der Gesamtüberlegung nützlich ist. Der Leser sollte diese Einführung daher nicht als Grundlage zur Beurteilung einzelner Ansätze, sondern als Einstieg in die genauere Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen verwenden.

Das Problem der fehlenden Übersicht

Es gibt, wie Peter Strawson einmal schreibt, im philosophischen Schwimmbecken keine flache Seite (vgl. (112), S. vii). Man muss deshalb in der Philosophie den Sprung ins tiefe Wasser wagen, wenn man schwimmen lernen will. Seichte Philosophie ist überhaupt keine Philosophie, sondern Zeitverschwendung. Das heißt jedoch nicht, dass philosophische Überlegungen besonders kompliziert sind. Tatsächlich besteht die Hauptschwierigkeit einer philosophischen Untersuchung meistens nicht in der Komplexität der Details (auch wenn es sehr komplexe und voraussetzungsreiche philosophische Theorien gibt), sondern eher darin, dass es so schwer ist, den Überblick zu behalten. Was man in Bezug auf eine philosophische Frage sagt, hat meistens Konsequenzen für eine Vielzahl anderer philosophischer Fragen (die man vielleicht gerne ganz anders beantworten möchte). „Ich kenne mich nicht aus“ ist nach Wittgenstein die Grundform eines philosophischen Problems (vgl. (113), § 123). Dementsprechend versucht diese Einführung vor allem, den Zusammenhang verschiedener erkenntnistheoretischer Fragen sichtbar zu machen.

Philosophie und Dogmatismus

Eine wesentliche Aufgabe der Philosophie besteht darin, vom Dogmatismus zu befreien. Fast alle Menschen neigen dazu, mit den eigenen Überzeugungen sehr schnell zufrieden zu sein und die Überzeugungen anderer sehr schnell für unsinnig zu halten. Eine Auseinandersetzung mit der Philosophie kann hier helfen zu sehen, dass für praktisch jede Ansicht, die wirklich ernsthaft von jemandem vertreten wird oder wurde, auch wirklich gute Gründe sprechen. Und wenn man einmal gesehen hat, dass auch Theorien, die auf den ersten Blick geradezu bizarr wirken – und die Philosophie ist voll von ihnen –, das Ergebnis vernünftiger und nachvollziehbarer Überlegungen sein können, wird man mit der Ablehnung fremder Ansichten aber auch mit der Annahme eigener Vorurteile vorsichtiger werden. Die vorliegende Einführung möchte hier einen Beitrag leisten, indem sie ganz verschiedene Antworten auf unsere erkenntnistheoretischen Fragen einander gegenüber stellt.

Die (vor allem akademische) Philosophie erfüllt ihre antidogmatische Aufgabe manchmal aber auch zu gut. Viele kommen zu der Ansicht, dass man in Bezug auf fast alle philosophischen Fragen ebenso gut die eine wie die andere Auffassung vertreten kann, dass ebenso gute Gründe für eine Ansicht wie für ihr Gegenteil sprechen. Dass man sich ursprünglich mit Philosophie beschäftigen wollte, um Antworten auf bestimmte Fragen zu erhalten, gerät dabei leicht aus dem Blick. Das sollte nicht so sein. Ziel philosophischer Überlegungen ist Erkenntnis und nicht Urteilsenthaltung. (Dass auch das manche Philosophen anders sehen, wird im zweiten Kapitel noch zur Sprache kommen.) Und auch wenn für jede philosophische Position gute Gründe sprechen, so sprechen doch nicht für jede philosophische Position gleich gute Gründe. Dementsprechend werde ich in dieser Einführung nicht so tun, als würde ich die verschiedenen Positionen, die gegenwärtig in der Erkenntnistheorie vertreten werden, einfach als gleichwertig ansehen. Vielmehr soll der Leser, zumindest kurz (in den Kapiteln 8.4 bis 8.6), auch erfahren, wo ich selbst Antworten auf die Fragen der Erkenntnistheorie vermute. Das Ziel dieser Einführung ist erreicht, nicht, wenn der Leser mir Recht gibt, sondern wenn er dazu angeregt wird, sich selbst eine differenzierte Meinung zu den Fragen zu bilden, um die es in der Erkenntnistheorie geht.

Einführung in die Erkenntnistheorie

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