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2.2 Agrippinische Skepsis

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Das Agrippa-Trilemma

Neben der cartesischen Skepsis gibt es eine zweite zentrale Form skeptischer Überlegungen. Diese geht auf den antiken Skeptizismus zurück, wie er insbesondere in den Schriften von Sextus Empiricus beschrieben wird (vgl. (65)). Üblicherweise bezieht man sich heute auf eine Argumentation, die von dem pyrrhonischen Skeptiker Agrippa verwendet wurde (vgl. (65), 1.166, (177), 6. Kapitel). Ausgangspunkt ist hier vor allem die Beobachtung, dass es zu allen Fragen unterschiedliche Meinungen gibt: Zum einen sind wir selbst zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlicher Ansicht. Zum anderen können wir zu fast jeder Meinung jemanden finden, der das Gegenteil ernsthaft vertritt, anders gesagt: Wir stoßen häufig auf Dissens. Wenn wir wirklich Wissen erwerben wollen, müssen wir deshalb nach guten Begründungen suchen. Aus folgendem Grund ist es aber niemals möglich, eine Überzeugung adäquat zu begründen:

Nehmen wir an, ich behaupte, dass p. („p“ steht hier für eine beliebige Aussage, beispielsweise für die Aussage, dass vor mir ein Tisch steht.) Möchte ich diese Behauptung begründen, so muss ich etwas anführen, was von p verschieden ist, denn nichts ist ein Grund für sich selbst. Also führe ich als Grund an, dass q. Habe ich damit meine Überzeugung, dass p, begründet? Nur dann, so wird man sagen, wenn ich weiß, dass q (und nicht etwa bloß vermute oder rate, dass q). Aber natürlich weiß ich auch nur dann, dass q, wenn ich dazu in der Lage bin, diese Überzeugung ihrerseits zu begründen. Also muss ich eine weitere Überzeugung anführen, etwa, dass r. Dann gibt es drei Möglichkeiten:

1. Ich gerate in einen infiniten Regress, weil ich natürlich auch die Überzeugung, dass r, wiederum begründen muss und so weiter. Auf diese Weise kann ich meine Rechtfertigung niemals abschließen. Meine ursprüngliche Überzeugung, dass p, bleibt damit auf immer ungerechtfertigt.

2. Ich breche irgendwann meinen Rechtfertigungsversuch ab. Auch dann kann meine ursprüngliche Überzeugung, dass p, nicht als gerechtfertigt gelten, denn ein solcher Abbruch ohne Angabe eines Grundes ist dogmatisch.

3. Schließlich habe ich die Möglichkeit, im Laufe meiner Rechtfertigung irgendwann auf eine Überzeugung zurückzukommen, die ich bereits in einem früheren Stadium der Rechtfertigung angeführt habe. Auch dann scheitert mein Rechtfertigungsversuch, denn auf diese Weise gerate ich in einen Zirkel.

Da alle drei Alternativen nicht zu einer erfolgreichen Rechtfertigung führen und da es eine vierte Möglichkeit nicht zu geben scheint, kann ich meine ursprüngliche Überzeugung, dass p, überhaupt nicht rechtfertigen. Wenn ich das aber nicht kann, kann ich auch nicht wissen, dass p. Da für p beliebige Überzeugungen eingesetzt werden können, ist damit gezeigt, dass ich überhaupt nichts wissen kann. Man spricht hier vom Agrippa-Trilemma. Im Anschluss an Hans Albert hat sich im deutschen Sprachraum auch die Bezeichnung Münchhausentrilemma eingebürgert (vgl. (41)). Jemanden, der sich dieses Trilemmas bedient, um zu zeigen, dass wir kein Wissen besitzen können (um also eine radikale Skepsis zu begründen), nennen wir im Folgenden einen agrippinischen Skeptiker.

Tatsächlich ist unsere epistemische Situation sogar noch etwas ungünstiger als gerade beschrieben. Das liegt daran, dass Rechtfertigungen normalerweise nicht nur einfach von einer Überzeugung zur nächsten fortschreiten, sondern sich gewöhnlich verzweigen. Wenn ich beispielsweise für meine ursprüngliche Überzeugung, dass p, nicht nur die Überzeugung, dass q, sondern auch noch die Überzeugungen, dass r, dass s und dass t, anführen muss, so vervierfacht sich meine Rechtfertigungsaufgabe im nächsten Schritt sogar.

Agrippa und die agrippinische Skepsis

Während die cartesische Skepsis von Anfang an Teil erkenntnistheoretischer Überlegungen war, ging es der Antiken Skepsis insbesondere darum, eine bestimmte Lebenshaltung zu empfehlen (vgl. (70)). Die vorgestellte Überlegung sollte dabei zunächst einmal zu einem Zustand vollständiger Urteilsenthaltung (epoché) führen. Und diese wiederum sahen die pyrrhonischen Skeptiker (zu denen Agrippa gehörte) als Voraussetzung eines glücklichen Lebens an. Es ist wichtig zu beachten, dass der pyrrhonische Skeptiker nicht behaupten möchte, dass wir kein Wissen haben. Auch diesbezüglich enthält er sich des Urteils (und wendet sich damit gegen Vertreter der anderen skeptischen Schule der Antike: der akademischen Skepsis). Insofern war Agrippa selbstverständlich ebenso wenig ein agrippinischer Skeptiker im hier beschriebenen Sinn wie Descartes ein cartesischer Skeptiker war. In der modernen Erkenntnistheorie wird das Agrippa-Trilemma jedoch als ein starkes Argument gegen die Möglichkeit von Wissen und damit für eine radikale Skepsis betrachtet, und in diesem Sinn werden wir es auch unseren späteren Überlegungen zugrunde legen. Wenn also im Folgenden von dem Skeptiker die Rede ist, dann ist immer ein Skeptiker gemeint, der behauptet, dass wir nichts (oder doch so gut wie nichts) wissen können.

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