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Das Weihnachtsfest

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Die Tage wurden immer kürzer. Die Innenstadt von Halle war mit der Weihnachtsdekoration schön beleuchtet. An einem schulfreien Nachmittag nahm Dieter alle Ersparnisse mit und machte sich auf, in der Einkaufsstrasse von Halle, ein Weihnachtsgeschenk für Mutti zu kaufen. Er schaute sich die Waren in den Auslagen an. Er wusste noch nicht, was er Mutti schenken soll. Geld hatte er genug, nur an Ideen fehlte es noch.

In einem Kleidergeschäft sah er eine schöne Bluse. Eine Bluse, wie sie von den reichen Frauen getragen wurden. Leider war an der Bluse kein Preisschild angebracht. Dieter betrat den Laden und fragte die Verkäuferin nach dem Preis der Bluse in der Auslage.

«Die kannst du dir nicht leisten», erklärte die Verkäuferin, «die ist nur für einflussreiche Leute.»

«Ich möchte sie aber für Mutti kaufen!», erklärte Dieter, «ich habe Geld.»

«Manchmal reicht Geld nicht aus», erklärte die Verkäuferin, «aber wir haben hier noch andere wollene Strickjacken, du kannst ihr ja eine Strickjacke kaufen.»

«Ich will ihr aber diese Bluse kaufen», beharrte Dieter.

«Ich kann dir die Bluse nicht verkaufen», erklärte die Verkäuferin, «ich darf sie nur an Kunden mit einer Berechtigung verkaufen, da lässt sich nichts machen.»

Dieter verabschiedete sich und schlenderte traurig die Strasse entlang. Die Wollstrickjacke wollte er auf keinen Fall. Er suchte nach einem andern Geschenk. Allmählich wurde es Zeit, er musste nach Hause, sonst machten sich die Eltern sorgen.

Am nächsten freien Nachmittag war Dieter wieder in der Einkaufsstrasse. Diesmal beobachtet er das Kleidergeschäft von der andern Strassenseite aus. Auf was er wartet, wusste er nicht, es war nur so ein Gefühl. Er beobachtet die Kunden des Kleidergeschäfts. Es waren meistens feine Damen in dicke teure Mäntel gehüllt. Langsam hatte er etwas kalt, doch er wollte noch warten. Er hoffte, dass eine andere Verkäuferin im Laden war, die vielleicht mit sich reden liess.

Als eine Frau, schwer bepackt mit Schachteln aus dem Geschäft kam, sprang er sofort auf. Das war vielleicht die Gelegenheit. Er rannte auf die Frau zu: «Darf ich Ihnen beim tragen helfen?»

«Das ist aber nett von dir», erklärte die Frau, «ich wohne gleich um die Ecke, es wäre nett, wenn du mir helfen könntest.»

«Mach ich gerne», erklärte Dieter und ergriff die erste Schachtel, die Frau schichtete ihm noch drei weitere Schachteln auf die Arme, dann marschierte er hinter der Frau her. Es ging allerdings nicht nur um die Ecke, seine Arme werden langsam müde. Endlich, drei Strassen weiter steckte sie den Schlüssel ins Türschloss und schloss auf.

«Das war nett von dir», bedankte sich die Frau, «möchtest du einen Kaugummi?»

«Nein, aber ich hätte da einen anderes Anliegen», erklärte Dieter und war sehr nervös, «ich möchte meiner Mutti die Bluse im Schaufenster kaufen, aber die Verkäuferin meinte, dazu braucht man eine Berechtigung.»

«Das ist niedlich», freute sich die Frau, «du willst deiner Mutti eine schöne Bluse kaufen, weisst du denn, was das kostet?»

«Nein noch nicht, aber ich habe gespart», stolz zeigte er ihr das Geld.

«Ja, was machen wir da?», sie überlegte einige Zeit, dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.

Die Frau setzt sich an einen Tisch, nahm einen Zettel und schrieb etwas auf. Nach kurzer Zeit faltete sie den Zettel zusammen und gab ihn Dieter.

«Also, du gehst jetzt in das Kleidergeschäft und zeigst der Verkäuferin diesen Zettel. Ich habe geschrieben, ich hätte noch vergessen ein Weihnachtsgeschenk für meine Tochter einzukaufen und dass die Bluse in der Auslage genau das richtige Geschenk sei. Sie kennt mich, es wird keine Probleme geben. Den Kaufpreis musst du allerdings selber aufbringen, aber ich bekomme immer einen guten Preis, es wird sicher nicht zu teuer sein. Pass nur auf, dass du nach dem Kauf zuerst in Richtung meines Hauses läufst, sobald du ausser Sichtweit bist, kannst du mit dem Geschenk nach Hause gehen. - Was denkst du, kriegst du das hin?»

«Sicher, ist ja ganz einfach», versichert Dieter, «vielen Dank!»

Dieter nahm den Zettel und ging ins Kleidergeschäft zurück. Er gab der Verkäuferin den Zettel, die studierte ihn und schickte sich an, die Bluse aus der Auslage zu holen und in schönes Geschenkpapier einzupacken. Der Trick funktionierte.

«Macht vierzig Mark!», erklärte die Verkäuferin, «ich hoffe sie hat dir Geld mitgegeben!»

«Sie hatte nur noch Kleingeld in der Wohnung», entschuldigte sich Dieter und zählte die vierzig Mark auf den Tisch.

«Stimmt», bestätigte die Verkäuferin und reichte ihm das Paket.

Dieter überquerte damit die Strasse, als ob er auf dem Weg zur Frau sei. Nach der nächsten Strassenecke, wechselte er die Richtung und eilte so schnell er konnte nach Hause. Er musste das Geschenk gut verstecken. Niemand durfte etwas davon erfahren.

Dieter freute sich immer auf Weihnachten, doch dieses Jahr freute er sich noch mehr. Mutti wird Augen machen, wenn sie sein Geschenk auspackt.

Schon einige Tage vor dem Weihnachtsfest begann Mutti mit Plätzchen backen. Dieter half so gut er konnte. Er knetete Teig, füllte den Massbecher nach Angaben von Mutti mit Zucker, Mandeln oder Mehl, je nachdem, welche Bestellung Mutti aufgab. Sie arbeiteten gut zusammen. Die ganze Wohnung duftete nach Plätzchen.

Dann war es soweit. Vati machte mit den Kindern am Nachmittag des Heiligen Abends, einen langen Spaziergang. Als sie zurückkamen, leuchtete in der Stube der Weihnachtsbaum. Unter dem Baum hatte Mutti viele Geschenke hingelegt. Dieter schlich sich unter einem Vorwand davon und konnte in einem günstigen Moment sein Paket unter die andern Geschenke schieben, ohne dass es jemand bemerkt hatte.

Inzwischen war das Licht gelöscht und Mutti stimmte das Lied Oh du Fröhliche an. Nachdem noch einige weitere Lieder gesungen wurden, begann Mutti mit der Verteilung der Geschenke. Es gab Schokolade und frische Apfelsinen. Nebst Süssigkeiten bekam Dieter noch neue Schuhe und eine elegante Brille. Sie passte viel besser zu Dieter. Die werden in der Schule Augen machen, wenn er mit einer so eleganten Brille auftauchte.

«Die neue Brille darfst du nur tragen, wenn wir auf Besuch gehen, für die Schule ist sie zu schade, die wäre sowieso gleich zerbrochen», erklärte Vati eindringlich, «aber wenn wir Verwandte besuchen, sollst du etwas eleganter aussehen.»

Die erste Enttäuschung war schnell verflogen. In der Schule hätten sie ihn sowieso nur verspottet, wenn er mit so einer eleganten Brille auftaucht. Aber wenigstens, wenn er zu Oma und Opa ging, durfte er sie aufsetzen.

«Was haben wir den hier noch für ein Geschenk?», fragte Mutti, «das kenne ich gar nicht, weiss jemand für wen das ist?»

«Ja, das ist für dich», erklärte Dieter stolz.

«Für mich?», Mutti war überrascht, «darf ich es aufmachen?»

«Ja sicher!», erklärte Dieter, er konnte es kaum erwarten.

Vorsichtig öffnete Mutti das Papier. Alle schauten ihr dabei zu. Die Spannung war gross. Ausser Dieter wusste niemand was drin war.

Nun war das Papier so weit entfernt, dass Mutti erkennen konnte, was für ein Geschenk sie erhalten hatte. Sie faltete die Bluse auseinander und hielt sie stolz vor sich hin. Mit dem Ellenbogen muss sie eine Träne wegwischen, sie war echt gerührt.

«Ist die schön!», stellte sie stolz fest, «wie kommst du darauf, mir ein solches Geschenk zu machen?»

«Du hast es verdient», erklärte er. Jetzt musste Mutti die Bluse weglegen, sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie umarmte ihr Dieterchen fest und musste immer wieder schluchzen.

«Danke! – danke! – sie ist so schön und vornehm, wie konntest du eine solche Bluse kaufen?»

«Es war nicht einfach», gesteht Dieter, «doch eine Frau hatte mir dabei geholfen. Ich hoffe sie gefällt dir!»

«Sicher, sie ist wunderschön. Ich muss sie gleich anziehen».

Schnell zog sie die Strickjacke aus und schlüpfte in die Bluse.

«Passt genau, exakt meine Grösse!», stolz schlenderte sie um den Tisch und mimte eine vornehme Dame.

Als Dieter sein Geschenk auspackte, war er sehr erfreut. Es enthielt diesmal nebst den Schuhen, noch eine elektrische Eisenbahn mit geraden und gebogenen Schienen und zwei Weichen. Die kleine Dampflokomotive hatte noch drei Personenwagen, welche man anhängen konnte. Dieter war begeistert.

Als sie nach der Weihnachtsfeier in der Küche Malzkaffe tranken, gab es dazu die selbstgebackenen Plätzchen. Alle waren zufrieden, es war ein sehr schönes Fest. Dieters Eisenbahn kurvte im Kreis herum. Moni wollte sie immer von den Schienen schubsen. Mutti hatte die Bluse wieder ausgezogen, sie hatte Angst, sie könnte ein Flecken bekommen.

«Ich habe noch ein Geschenk für die ganze Familie», verkündete Vati so nebenbei, «ich konnte einen Fernseher kaufen. Er wird jedoch erst im neuen Jahr geliefert.»

«Was ist ein Fernseher?», wollte Moni wissen.

«Das wirst du noch sehen, es wird sehr lustig», erklärte Mutti gut gelaunt.

Bis der Fernseher geliefert wurde, war dann der Winter beinahe vorüber. Ein Freund von Vati half, die Antenne für den DDR-Sender auf dem Dach anzubringen. Das Kabel wurde an der Aussenwand entlang, zu einem Fenster geführt und durch ein kleines Loch in die Stube, der Wand entlang bis zum Fernseher gezogen.

Dann kam der grosse Moment. Als sich alle vor dem Fernseher versammelt hatten, schaltete Vati das Gerät ein. Die Bildröhre begann zu flimmern. Es waren nur weisse Linien zu sehen, welche hektisch über den Bildschirm flimmerten. Vati drehte an einem Knopf, das Bild wurde ruhiger. Noch war nichts zu erkennen. Ab und zu konnte man jemand sprechen hören, doch das Bild konnte nicht empfangen werden. Der Freund von Vati musste nochmals aufs Dach steigen und die Antenne leicht verschieben. Dieter stand am Fenster und meldete das Ergebnis der Verschiebung aufs Dach. Dann war endlich das Bild da. Ein Mann las die Nachrichten. Doch schon nach kurzer Zeit, war das Bild wieder weg.

«Was hat er jetzt wieder gemacht?», wollte Vati wissen, «ich habe ihm doch gesagt, es sei jetzt gut.»

«Ich habe gedacht, wenn ich noch etwas weiter drehe, würde es noch besser», kam die Meldung vom Dach.

Das Ergebnis wurde immer besser, Vatis Freund befestigte die Antenne zusätzlich mit einem Draht, damit ja die Position nicht verändert wurde. Dann war es endlich soweit, die Sendung Das Sandmännchen begann. Die ganze Familie setzte sich aufs Sofa und schaute gespannt dem kleinen Mann bei seinen Abenteuern zu. Moni schaute hinter dem Fernseher nach, wo denn das Männchen hingegangen sei. Als sie es hinten nicht sehen konnte, streichelte sie das Männchen mit der Zipfelmütze vorne auf dem Bildschirm.

«Lass das!», schimpfte Vati, «du machst den Bildschirm ganz schmutzig. Komm setz dich zu Mutti.»

«Sanimann furt gange!», meinte Moni, als das Sandmännchen auf seinem Koffer wegflog und den Kindern Sand in die Augen streute, um anzuzeigen, dass es jetzt Zeit war, dass die Kinder ins Bett gingen.

Ab jetzt versammelte sich die Familie immer um diese Zeit vor dem Fernseher. Sogar das Nachtessen wurde verschoben, wenn es Mutti nicht rechtzeitig schaffte, weil sie später nach Hause kam, dann wurde eben später gegessen, aber das Sandmännchen durfte man nicht verpassen. Meistens waren auch Gerd oder andere Freunde da, um das Sandmännchen zu gucken.

Eine Woche später montierte Vati unter dem Dach auch eine Antenne, mit der man das Westfernsehen empfangen konnte. Westfernsehen durfte man allerdings nur schauen, wenn keine Nachbarskinder da waren. Für alle Bürger der DDR war Westfernsehn strengstens verboten. Da konnte man schnell in die Fänge der Stasi kommen und das wollte keiner. Gute Sozialisten waren nur die, die bedingungslos die Gesetze der DDR befolgten.

Auch das Sonntagsprogramm der Familie Thom wurde durch das Fernsehen neu gestaltet. Es war zwingend, dass man um halb vier Uhr sich vor dem Fernseher versammelte, dann erzählte Meister Nadelöhr seine Geschichten, die musste man unbedingt sehen, sonst konnte man am Montag in der Schule mit den andern Kindern nicht diskutieren.

Der Drang nach Freiheit

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