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Tschechoslowakei

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Im Frühling fand die Jugendweihe statt. Die lokalen Parteigrössen hielten patriotische Reden. Feierlich wurde jedem ein Geschenk der Partei überreicht. Die Partei schenkte allen Jungen ein Buch Weltraum Erde Mensch. Wie üblich erhielten die Jugendlichen von den Bekannten und Verwandten Briefumschläge zugesteckt. Die meist kleinen Beträge summierten sich am Schluss zu einem schönen Betrag. Bei Dieter kamen stolze 600 Mark zusammen. Bis tief in die Nacht zogen die Jungen durchs Dorf.

Die Schulferien waren endlich da. Dieter hatte wieder einen Ferienjob, diesmal arbeitete er im Wagenbau bei einer Firma in Ammendorf. Die Arbeit bestand darin, dass er im Wageninnern Verschalungen anbringen musste. Die Arbeit wurde im Stundenlohn bezahlt.

Dann war es endlich soweit, die richtigen Ferien begannen. Vati liess seine Beziehungen spielen. Er konnte Dieter in einem Ferienlager, in der Tschechoslowakei, anmelden. Ein grosses Privileg.

Die Eltern begleiteten Dieter zum Bahnhof in Halle. Es standen schon viele Jungen und Mädchen auf dem Bahnsteig, welche ebenfalls ins gleiche Lager durften. Die meistens trugen blaue Pionietücher. Er versuchte mit ihnen zu reden, doch, die zeigten sich nicht besonders interessiert. Die meisten kannten sich schon und waren bereits zu einer Klicke formiert. Auch nach Abfahrt des Zuges wurde es nicht besser, er fand keinen rechten Draht zu den andern Jungs des Lagers.

Der Zug fuhr in die hohe Tatra, einem wunderschönen Berggebiet in der Tschechoslowakei. Wie meistens in den Lagern wohnten sie in einem Barackenlager. Dieter war einer der älteren und blieb ein Aussenseiter. Er vertrieb sich die Zeit damit, dass er dem Lagerleiter bei seinen täglichen Arbeiten half. Nach ein paar Tagen spielte sich sein Tagesablauf ein. Am Morgen half er dem Lagerleiter. Am Nachmittag konnte er dann machen was er wollte.

Er spazierte zum Bach und badete die Füsse im kühlen Wasser. Nach einer halben Stunde wurde das zu langweilig. Woher kam den dieser Bach? Er musste es unbedingt wissen. Er folgte dem Bach in den Wald. Nach kurzer Zeit wanderte er allein in der wunderschönen Natur. Kein Mensch weit und breit. Er folgte dem Bach. Mal ging es durch dichtes Gebüsch, mal durch sumpfige Wiesen. Er stieg immer weiter hoch. Schliesslich erreichte er einen kleinen See, mit kristallklarem Wasser. So etwas gab es in der Umgebung von Halle nicht, da waren die Flüsse trüb und die meisten stanken erbärmlich. Aber hier, ein wahres Paradies. Die Sonne neigte sich gegen den Horizont, er musste umkehren. Das Nachtessen durfte er nicht verpassen.

Am nächsten Tag machte er sich nach dem Mittagessen sofort auf den Weg zum See. Er brauchte rund eineinhalb Stunden. Nach dem er im See ein Bad genommen hatte, folgte er dem Bach weiter. Er hoffte, dass er ihm bis zur Quelle folgen konnte.

Rund eine Stunde später erreichte er ein kleines Dorf. Die Leute bemerkten sofort, dass er hier fremd war. Sie luden ihn ein, eine Tasse Tee zu trinken. Sie redeten mit ihm, doch er konnte kein Wort verstehen. Bald stand eine Platte mit Fleisch und Brot auf dem Tisch. Die meisten Leute vom Dorf versammelten sich beim Gasthaus. Fremde waren in diesem Gebiet selten.

Dann, Dieters Herz schlug wie wild. An der Hausecke spähte ein Mädchen um die Ecke. Sie war schüchtern und getraute sich nicht näher zu kommen. Doch sie hatte ihn bemerkt und lächelte. Ein so freundliches Lächeln hatte er noch bei keinem Mädchen gesehen. Ihre Augen strahlten eine Wärme aus, Dieter wurde nervös.

Eine Frau winkte dem Mädchen zu und redete auf sie ein. Dieter konnte nur etwas von Schule und Deutschunterricht verstehen. Das Mädchen kam näher, immer noch schüchtern, aber dafür strahlten ihre Augen immer mehr, je näher sie Dieter kam.

Die älteren Leute redeten auf sie ein. Dann kam sie auf Dieter zu und gab ihm die Hand.

«Kommst du aus Deutschland?», fragte sie in einem gut verständlichen Deutsch.

Dieter war so nervös, dass er kein Wort sagen konnte.

«Ich weiss», lächelte sie, «mein Deutsch ist nicht gut, oder sprichst du Russisch?».

Die Frage stellte sie ängstlich, denn das wäre für sie eine Enttäuschung, das spürte Dieter sofort. Er nahm allen Mut zusammen.

«Ja ich komme aus Deutschland, genau aus Halle an der Saale», antwortete Dieter, «wo hast du so gut Deutsch gelernt?»

«Wir hatten Deutsch in der Schule, nur, ich bin nicht besonders gut», erklärte sie, während sie die Leute mit Fragen überhäuften, welche Dieter beantworten sollte.

Nun deckte ihn Jana mit Fragen ein, die Dieter so gut es ging beantwortete. Wenn Jana seine Worte für die andern Leute übersetzte, sah Dieter ihr interessiert zu. Wenn sie ihn anlächelte, gab es Dieter einen Stich ins Herz.

«Du Jana, ich muss zurück ins Lager», erklärte Dieter.

«Ich begleite dich ein Stück», entgegnete Jana und lächelte ihn an.

Als sie ausser Sichtweite des Dorfes waren, nahm Jana seine Hand. Es fuhr wie ein elektrischer Schlag durch Dieters Körper, so ein Glücksgefühl hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Viel zu schnell erreichten sie den See.

«Kannst du morgen nochmals herkommen?», fragte sie, «ich komme dir bis zum See entgegen.»

«Das lässt sich machen», entgegnete Dieter immer noch sehr nervös.

«Gut, dann bis Morgen!», als sie das sagte, viel sie ihm um den Hals drückte ihn fest an sich und gab ihm einen Kuss.

Dann, trennen sie sich. Nach hundert Meter schaute Dieter nochmals zurück, im gleichen Moment drehte sich auch Jana um und winkte ihm zu. Dieter rannte die Strecke ins Lager zurück. Genau rechtzeitig erreichte er das Lager und setzte sich zum Nachtessen zu den andern an den Tisch.

Am nächsten Morgen war er hellwach. Schnell erledigte er seine Aufgaben, das Mittagessen fiel aus, jeder hatte am Morgen einen Beutel mit Brot, Wurst und etwas Käse erhalten, dazu eine Flasche mit frischen Tee. Dieter konnte schon früher losmarschieren.

Er kam gut voran. Als er den See erreichte, sah er, dass Jana bereits im Wasser herumplanschte. Er rannte zu ihr, zog sich aus und sprang ins Wasser. Sie umarmten und küssten sich.

Er fühlte ihren schönen Körper, spürte den sanften Druck ihrer Brüste. Erst jetzt bemerkt er, dass sie keinen Badeanzug trug. Dieter streifte seine Badehose ab und nun alberten sie nackt im klaren Wasser des Bergsees herum. Später setzten sie sich auf einen Stein am Ufer des Sees und beobachteten die Enten.

Leider verging die Zeit viel zu schnell. Er traf Jana jeden Tag am See. Sie war genauso in Dieter verliebt, wie er in sie.

Dann kam der Tag des Abschieds. Eigentlich müsste er helfen, die Räume zu fegen und die Betten abziehen. Das war Dieter egal, er wollte, ja er musste, Jana nochmals sehen.

Lange vor dem See kam sie ihm entgegen gerannt. Sie vielen sich in die Arme, es sollte ein letzte schöner Abschiedskuss werden.

«Ich werden auf dich warte», flüsterte sie ihm ins Ohr, «so, nun geh schon, sonst kommen mir noch die Tränen!»

Dieter zwang sich, ins Lager zurückzukehren. Diesmal schaute er nicht zurück.

Im Lager warteten die andern Jungs schon ungeduldig auf Dieter, alle waren marschbereit. Der Aufseher warf ihm einen Blick zu, jetzt war die Romantik vorbei, alle mussten zurück nach Deutschland.

Mit schwerem Herzen bestieg Dieter den Zug. Er warf seinen Rucksack aufs Gepäcknetz und öffnete das Fenster. Er konnte Jana nirgends erkennen. Dann, als der Zug langsam anfuhr, sah er sie hinter einem Güterschuppen, sie winkte ihm zu.

«Ich warte auf dich!», schrie sie gegen den Lärm des Zuges ankämpfend. «Ich warte auf dich!»

«Ich auch», rief Dieter zurück, dann bog der Zug um eine Kurve und Jana war nicht mehr zu sehen.

Der Schulanfang war für Dieter die übliche Qual. Er gab sich Mühe, dass Frau Kasche nicht zu sehr enttäuscht war. Doch es gab Fächer, da war einfach nichts zu machen. Staatsbürgerkunde war nicht sein Ding. Mit den Geschichten, mit denen der Sozialismus verehrt wurde, konnte er nicht viel anfangen. Für die Schule war die Staatsbürgerkunde eines der wichtigsten Fächer. Die Jugend sollte für auf die Ideale des Sozialismus begeistert werden. Bei Dieter fiel die Saat auf unfruchtbaren Boden. Alles Andere war ihm wichtiger.

Etwas war Dieter noch aufgefallen, als er aus der hohen Tatra zurückkehrte. Er bemerkte, wie schlecht die Luft in Halle war. Wen man immer in Halle lebte, fiel es nicht auf, doch jetzt, nachdem er zwei Wochen lang frische Luft geatmet hatte, schon. Genauso mit der Saale, in der sie baden mussten, im Vergleich zum Bergsee in der hohen Tatra war es eine stinkende Kloake.

Die Hautkrankheit von Olaf hatte sich so verschlimmert, dass er in ein Sanatorium an die Ostsee gebracht wurde. Dort musste er acht Wochen bleiben. Er hatte furchtbar Heimweh nach Mutti. Als er nach den acht Wochen nach Hause kam, waren seine Flecken am Körper verschwunden, dafür war aus dem einst fröhlichen Buben, ein ernster verschlossener Junge geworden.

Dieter freute sich auf den Sommer, er plante Jana zu besuchen.

«Deine Freundin in der Tschechei kannst du vergessen», meinte ein Schulkollege beim kurzen Schwatz in der Pause.

«Wieso?», wollte Dieter wissen.

«Nun, die Grenze sind zu», erklärte sein Kollege, «die neue tschechische Regierung passt unsern Parteifunktionären nicht, die seien vom Westen unterwandert. Der Dubcek sein ein Verräter, meinen sie.»

«Aber das können die nicht machen», ereiferte sich Dieter, «ich muss diesen Sommer Jana wieder sehen.»

«Das kannst du vergessen», beharrte der Kollege auf seinem Standpunkt, «die haben es in den Nachrichten gebracht!»

Abends schaute Dieter wieder einmal die Nachrichten im Fernseher. Tatsächlich, die DDR-Führung war mit der Regierung von Dubcek nicht einverstanden. Es werden keine Visa an DDR-Bürger für Reisen in die Tschechoslowakei mehr ausgestellt.

Dieter musste den Sommer anderweitig planen. Zuerst war natürlich wieder arbeiten angesagt. Er konnte nochmals vier Wochen im Wagonbau Ammendorf arbeiten. Die restlichen vier Wochen würde er in Halle verbringen. Im Boxklub hatten sie Trainingswochen eingeplant. Es wurde speziell an der Technik gefeilt. Da wurde täglich gut vier Stunden trainiert, so war die Trainingswoche auch gut für die Kondition. Im Herbst standen einige Kämpfe an, da wollte Dieter in Topform sein.

Im August eskalierte die Lage in der Tschechoslowakei. Im DDR-Fernsehen wurde berichtet, dass die Staaten des Warschau Paktes ihre Tschechischen Freunde aufforderten, sich auf die Ideale des Sozialismus zu besinnen und einige, von den subversiven Elementen eingebrachte Gesetzesänderungen abzulehnen.

Am 21. August meldete das DDR-Fernsehen, dass die befreundeten Staaten der Tschechischen Sozialistischen Partei, sie um militärische Unterstützung gebeten hatten. Dieser Hilfe musste gewährt werden. Die befreundeten Truppen unter Führung der Sowjetunion, hätten die Lage im Griff. Alle wichtigen Gebäude der Tschechoslowakei, kontrollieren die befreundeten Truppen.

Aus was diese Unterstützung bestand, sah man am späten Abend im Westfernsehen. Mit Panzern fuhren die Russen durch Prag und machten jagt auf Demonstranten. Die Führer der gewählten Regierung wurden verhaftet und nach Moskau gebracht. Dort wurde an einer Sitzung das weitere Vorgehen besprochen.

Nach zwei Tagen erklärten die politischen Führer der Tschechoslowakei, dass sie die Reformen rückgängig machten. Sie forderten die Bewohner auf, keinen Widerstand gegen die befreundeten Soldaten zu leisten.

Dieter hielt sich aus den Diskussionen raus, Politik interessierte ihn nicht. Er musste nur an die freundlichen Leute in diesem kleinen Dorf in der hohen Tatra denken, was bedeutete das für sie? Er wusste, das Leben nahm dort seinen gewohnten Gang, diese Leute hatten sich nie darum gekümmert, was die in Prag beschlossen.

Der Herbst verging schnell. Boxen und ein bisschen Schule, standen auf dem Programm.

Nach Dieters Sieg an der Bezirksmeisterschaft, wurde er auch für Vergleichskämpfe mit andern Städten aufgestellt. Für seinen Klub Chemie Halle, konnte er jeweils Punkte sammeln. Der Trainer war stolz auf Dieter und hielt ihn für ein grosses Talent. Der Ländervergleichskampf gegen Polen fand in Leipzig statt und Dieter wurde aufgeboten.

Die Gegner aus Polen waren stark. Dieter musste zu Beginn des Kampfes einiges einstecken. Doch sein Siegerwille war nach der ersten Runde noch nicht gebrochen. Zu Beginn der zweiten Runde fühlte sich sein Gegner etwas zu sicher. Dieter landete zwei harte Treffer, welche seinem Gegner zu schaffen machten. Ab diesen harten Treffern verlief der Kampf ausgeglichen. Gegen Ende des Kampfes, entschied Dieter den harten Fight, durch seine beherzten Angriffe aus der sicheren Deckung. Erst in der letzten Minute konnte er den Kampf dominieren, was ihm schliesslich den Punktesieg einbrachte. Die Halle tobte, es war der erste DDR-Sieger in diesem Länderkampf. Die ersten drei Kämpfe hatten die Deutschen verloren. Der Sieg von Dieter brachte die Wende.

Der Drang nach Freiheit

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