Читать книгу Die besten 10 Liebesromane November 2021: Romanpaket - Glenn Stirling - Страница 8
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Schon fast eine Stunde hatte Sören Wiebold auf dem Wasser verbracht, als er in unmittelbarer Nähe einen weiteren Kite und darunter ein Board bemerkte. Auf dem Brett stand eine junge Frau mit einer tollen Figur, die ihren Lenkdrachen ausgezeichnet beherrschte. Sie sah ihn fast im gleichen Augenblick und schenkte ihm ein Lächeln, dann blitzten ihre Augen herausfordernd, was man selbst auf die Entfernung bemerken konnte. Die beiden Sportler befanden sich fast auf gleicher Höhe, die Frau nutzte jetzt aber einen winzigen Vorteil und zog davon. Sören ließ diese Herausforderung nicht unbeantwortet, er nahm sie an. Das war pure Lebensfreude, die beide Menschen in diesem Augenblick antrieb, das Gefühl vollkommener Freiheit, Teil von Wind und Wetter zu sein, eins zu sein mit der rauen Natur.
Es war die unbekannte Schöne, die knapp von Sören einen Landepunkt erreichte. Lachend schaute sie ihm entgegen, irgendwie provozierend und doch unglaublich fröhlich. Wiebold war rasch bei ihr und strahlte sie an.
„Das war großartig.”
„So?”
„Sie sind eine Meisterin auf dem Board.”
„Danke.”
„Wollen wir es noch einmal versuchen?”
„Nun...”
„Wer zuerst drüben am Landesteg am Südkap ist, bestellt für den anderen mit.”
„Okay.”
„Bei einem Drink könnten Sie mir erzählen, wo Sie so hervorragend surfen gelernt haben.”
„Abgemacht.”
„Ach, übrigens, ich bin Sören Wiebold.“ Er streckte die Hand aus, etwas zögernd schlug sie ein.
„Ich bin Jule – also gut, gehen wir etwas trinken, wer als letzter ankommt, zahlt.“
Schon hatte sie den Lenkdrachen in den Händen und steckte einen Stab in den Sand, drehte den Drachen in den Wind, legte das Board bereit.
Kaum zwei Minuten später befand sie sich wieder auf dem Wasser. Aber Sören nahm dieses Mal die Herausforderung ernster und ließ sich nicht so einfach von ihr abhängen. Das Südkap von Sylt ist ein beliebter Ort für Kitesurfer, so waren viele der leuchtend bunten Lenkdrachen am Himmel zu sehen, ohne dass die Sportler sich zu nahe kamen. Sören und Jule tanzten und flogen nur so über die Wellen, vollführten elegante und waghalsige Sprünge und spornten sich gegenseitig wortlos an. Doch er bemerkte plötzlich aus dem Augenwinkel, dass der Kite von Jule sich aus dem Wind drehte. Hatte sie einen Fehler gemacht? Das war nicht unmöglich, aber das konnte es nicht sein, wie Sören nun bemerkte. Sie schien sich an den Leinen eher festzuhalten statt sie zu kontrollieren, der schlanke Körper schwankte auf dem Brett, der Drachen drehte sich unkontrolliert in den Wind, begann zu taumeln und stürzte in einer steilen Kurve ins Wasser, wurde zum Spielball der Wellen. Jule konnte sich offenbar nicht mehr auf den Beinen halten, sie sank zusammen, schlug mit dem Kopf auf das Brett und fiel mitsamt den Lenkleinen an den Händen ins Wasser.
„Nein!“ Der Schrei von Sören gellte über das Wasser, aber seine Geschwindigkeit war so hoch, dass er schon längst ein gutes Stück entfernt war, bevor er gezielt reagieren konnte. Er wurde nicht nervös, auch wenn die Zeit drängte. Mit sicheren Griffen zerrte er den eigenen Drachen aus dem Wind, behielt aber genug Geschwindigkeit bei, um nach dem Richtungswechsel im Bogen zur Unglücksstelle zu fahren.
Schließlich entdeckte er Jules Board, ließ die eigenen Leinen los, riss den Helm vom Kopf und hechtete ins Wasser. Wo war Jule?
Nicht zu sehen, aber die Leinen des Kite waren im Wasser versunken, obwohl sie normalerweise obenauf schwammen. Ein guter Anhaltspunkt.
Sören holte die Luft, atmete aus und wieder ein, tauchte dann unter. Zu sehen war kaum etwas, die Nordsee präsentierte sich nicht als blaue Lagune, der man bis auf den Grund sehen konnte. Er tauchte wieder auf und griff nach der Hauptleine, hangelte sich daran nach unten. Tatsächlich bekam er nach einigen Sekunden einen Arm zu fassen. Die Leine hatte sich darum gewickelt. Mit beiden Händen fasste Sören zu und zerrte die leblose Gestalt aus der Tiefe. Er durchbrach die Wasseroberfläche, schnappte nach Luft, Wasser tretend hielt er Jules Kopf über Wasser, dann schaute er sich um. Zum Strand waren es mehr als hundert Meter, ziemlich weit, um eine leblose Gestalt schwimmend hinzubringen. Aber da dümpelte das Brett der jungen Frau.
Irgendwie gelang es Sören trotz des Wellengangs den schlanken Körper auf das Brett zu zerren. Er achtete darauf, dass der Kopf auf der Seite lag, dann überzeugte er sich davon, dass Jule noch atmete und ihr Herz schlug. Eine Beule bildete sich an ihrer Stirn, weitere Verletzungen konnte er nicht erkennen. Hier draußen konnte er als Arzt nicht viel tun.
Mit kräftigen Schwimmstößen bewegte er sich in Richtung Ufer, schob dabei das Board vor sich her. Die hundert Meter schienen kein Ende zu nehmen, es war kräftezehrend und frustrierend, sich mit der Last voranzuschieben, weil der Wellengang offenbar jeden kleinen Fortschritt zunichte machte. Aber mittlerweile hatte man am Ufer bemerkt, dass hier etwas nicht stimmte. Zwei Männer stürzten sich in das Wasser und kamen rasch auf Dr. Wiebold zu.
„Kommen Sie, wir übernehmen das“, sagte der eine und schaute Sören fragend an. „Schaffen Sie es noch allein bis ans Ufer?“
„Ja, danke.“ Das war eine Erleichterung, die Last loszulassen, die restliche Strecke schaffte er nun wieder schneller, war dennoch völlig ausgebrannt, als er endlich den Sand unter den Füßen hatte.
Die beiden Männer hatten das Board ans Ufer gezogen und hoben die junge Frau vorsichtig herunter. Sören atmete schwer, doch sein durchtrainierter Körper wurde mit der Anstrengung gut fertig.
„Ich bin Arzt“, sagte er rasch. „Dr. Wiebold von der Harm-Breding-Klinik. Hat jemand von Ihnen ein Handy und ruft bitte dort an, dass rasch ein Rettungswagen losgeschickt wird?“
Sofort nickte eine junge Frau und fingerte ein Smartphone aus der Strandtasche, ließ sich die Nummer geben und telefonierte. Aber da beugte sich Sören schon wieder über die Verunglückte, maß den Puls, lauschte auf dem Brustkorb nach Lungengeräuschen und prüfte dann die weiteren Vitalzeichen, so weit es ihm möglich war. Jule war nicht lange unter Wasser gewesen, es bestand also kaum die Gefahr, dass sie zu viel Wasser geschluckt hatte. Aber schon der Zusammenbruch auf dem Board warf viele Fragen auf.
Sören wünschte sich seine Notfalltasche herbei, aber das war natürlich sinnlos. Er legte Jule in eine stabile Seitenlage, öffnete den Mund und bat dann die beiden Helfer von eben, die mittlerweile zahlreichen Neugierigen wegzuschicken. Er spürte große Erleichterung, als sein Freund Jan mit einem Strandbuggy angefahren kam. Besorgnis spiegelte sich im Gesicht des blonden Hünen, dann wanderte sein Blick aufs Meer.
„Bist du in Ordnung?“, kam als erstes die ängstliche Frage.
„Ich schon, aber ich fürchte ...“ Dr. Wiebold machte eine Handbewegung zum Wasser hin, „die beiden Ausrüstungen eher nicht.“
„Ich sorge dafür, dass die beiden Kites geborgen werden – falls das noch möglich ist.“
„Gib mir Bescheid, wie hoch die Schäden sind.“
Jan winkte ab. „Mir scheint, du hast hier etwas Wichtigeres zu tun, und bei einem Notfall springt sowieso die Versicherung ein.“
In diesem Augenblick regte sich Jule. Nach einem gequälten Stöhnen begann sie zu husten und spuckte Wasser. Sören lächelte erleichtert. Er hielt ihren Kopf und sprach leise auf sie ein.
„Bleiben Sie ruhig liegen, Jule. Ich bin Arzt und werde mich um Sie kümmern. Ein Krankenwagen ist bereits unterwegs. Sie sind vom Board ins Wasser gestürzt. Können Sie sich daran erinnern?“
Veilchenblaue Augen hatte sie, sie standen groß und fragend in dem ebenmäßigen Gesicht. Jule versuchte zu sprechen, begann aber wieder zu husten.
„Nicht reden, alles wird wieder gut“, versicherte er mit sanfter Stimme. In einiger Entfernung war die Sirene eines Rettungswagens zu hören, der gleich darauf vor dem Sandstrand stehenblieb. Zwei Sanitäter, Peer Schmitt und Ole Skamander, kamen mit einer zusammengeklappten Tragbare auf die Menschenansammlung zugelaufen, blieben dann verblüfft stehen.
„Hallo, Dr. Wiebold, sammeln Sie jetzt selbst neue Patienten wie Muscheln am Strand?“, fragte Ole Skamander ironisch. Sören wusste die etwas burschikose Art der beiden zu nehmen.
„Wenn ihr mir nicht genug Nachschub bringen könnt, muss ich eben selbst auf die Suche gehen“, erwiderte er im gleichen Tonfall.
Routiniert wurde die Patientin in den Rettungswagen gebracht. „Kommen Sie nicht mit, Sören – Herr Doktor?“, fragte Jule mit schwacher Stimme.
„Wir sehen uns später.“ Er strich ihr aufmunternd über das Haar und machte sich auf den Weg zur Surfschule seines Freundes, wo er duschen und sich umziehen konnte, bevor er ebenfalls in die Klinik lief.