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2.1 Das Numerussystem des Deutschen
ОглавлениеDas Deutsche besitzt die Numeri Singular und Plural. Bezieht sich ein Nomen auf nur ein Objekt, wie z.B. bei Tisch, so liegt das Merkmal Singular vor, während beim Bezug eines Nomens auf mehrere Objekte, wie bei Tische, das Merkmal Plural auftritt. Es existieren im Deutschen keine „charakteristischen Singularmorpheme“ (Wegener 1995b: 10), wie in einigen anderen Sprachen, nur der Plural wird durch einzelne Morpheme markiert.
Der Numerus im Deutschen kann als eine „semantische Kategorie, die es ermöglicht, flexivisch zwischen Einzahl und Mehrzahl zu unterscheiden“ (Weber 2001: 11), bezeichnet werden. Aus diesem Grund erscheint die Betrachtung der Möglichkeiten der Pluralbildung im Deutschen unter dem Aspekt der Semantik als sinnvoll.
Nomen können aufgrund ihrer Bedeutung in konkrete und abstrakte Nomen unterteilt werden. Zu den konkreten Nomen (Konkreta) zählen Nomen, mit denen etwas „Gegenständliches“ (Dudenredaktion 2006: 147) ausgedrückt wird:
(1) | Eigennamen: Petra, Goethe, Mainz |
(2) | Gattungsbezeichnungen (Appellativa): Hund, Pflanze, Lehrerin |
(3) | Sammelbezeichnungen (Kollektiva): Wald, Gebirge |
(4) | Stoffbezeichnungen (Kontinuativa): Kupfer, Milch, Papier |
Die abstrakten Nomjen (Abstrakta) dagegen drücken „Nichtgegenständliches“ (ebd., siehe dazu auch Löbel 2009: 265ff. und Bußmann 2002: 664) aus:
(5) | Eigenschaften: Treue, Ruhe |
(6) | Vorgänge: Schlaf, Traum |
(7) | Beziehungen: Ehe, Freundschaft |
(8) | Maß- und Zeitbegriffe: Gramm, Minute |
Kennzeichnend für die deutsche Pluralbildung ist ihre Eigenschaft, dass sie nur erfolgen kann, wenn es sich um ein zählbares Nomen handelt. Nichtzählbare Nomen können im Deutschen keinen Plural bilden. Eine ausführliche Behandlung der Thematik, wie der Plural im Deutschen zu klassifizieren ist, kann unter anderem bei Biermann (1982: 228ff.), Simmler (1998: 215ff.), Löbel (2009: 265ff.) nachgelesen werden und eine Betrachtung der Semantik des Numerus verschiedener Sprachen im Allgemeinen ist in Corbett (2000: 78ff.) und Itturrioz-Leza/Skopeteas (2004: 1054ff.) zu finden.
Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dem folgenden Konzept von Wurzel:
„Da sich die semantischen Basiskonzepte in den grammatischen Kategorien nicht unmittelbar, sondern nur sehr vermittelt ausdrücken, führen wir den Begriff des grammatischen Basiskonzepts ein, der beides aufeinander bezieht. Die grammatischen Basiskonzepte lassen sich am angemessensten als Verfahren der sprachlichen Realisierung semantischer Basiskonzepte charakterisieren. So ist es z.B. sinnvoll, ein grammatisches Basiskonzept Pluralität als Verfahren zur Versprachlichung des semantischen Basiskonzepts der Mehrzahligkeit anzunehmen, ohne daß freilich zwischen ihnen eine eindeutige Zuordnung herrscht.“ (Wurzel 2001: 62)
Das heißt, dass nicht im Einzelnen auf die jeweiligen semantischen Bezüge eingegangen wird. Vielmehr geht es um die grammatische Kategorie Numerus. Dabei wird bei der Untersuchung der Pluralmorphologie von „einem semantischen Basiskonzept der Mehrzahligkeit“ ausgegangen. Es handelt sich folglich um Mehrzahl, wenn die Bezeichnung „Plural“ genutzt wird.
Nahezu in allen Publikationen zum Pluralsystem des Deutschen taucht die Bezeichnung „komplex“ für dieses System auf (siehe z.B. Wegener 1999: 1, Wiese 2012: 204, Kürschner 2008: 8). Neef (1998: 244) spricht gar von einem unerklärlichen Wunder.
Insgesamt existieren fünf native Suffixe, die zur Bildung von Pluralformen am Nomen verwendet werden1. Diese sind -e, -er, -n, -en und -s. Neben der Möglichkeit der Verwendung dieser Allomorphe besteht zum einen die Möglichkeit der Pluralbildung allein durch Umlautung und zum anderen die Möglichkeit der Kombination aus Umlaut und des Suffixes -e oder des Suffixes -er. Die Bildung des Plurals kann im Deutschen jedoch auch ohne Veränderung der Singularform erfolgen. In diesem Falle wird eine Pluralmarkierung durch das Nullallomorph -Ø angenommen und wenn es sich um ein Nicht-Femininum handelt, kann über den Artikel eine Markierung erfolgen (11). Zudem handelt es sich beim Numerus des Deutschen um eine „obligatorische Kategorie“ (Corbett 2000: 14), das heißt, dass es zwangsläufig eine Differenzierung in Singular und Plural gibt, während in anderen Sprachen nur nach Bedarf unterschieden wird.
Diese Vielzahl an Möglichkeiten der Pluralbildung und der unklare Status, ob Regularitäten existieren, erschweren die Darstellung einer Systematisierung von Bildungsregularitäten und führen zu verschiedenen Ansichten darüber, wie das System der Pluralmorphologie zu erfassen ist. Während einige Linguisten die Arbitrarität der Pluralbildung betonen (z.B. Clahsen et al. 1992, Wiese 1996, Niedeggen-Bartke 1999, Wunderlich 1999), heben andere die bestehenden Regelmäßigkeiten hervor und bezeichnen die abweichenden Formen als Ausnahmen (z.B. Mugdan 1977, Augst 1979, Köpcke 1994, Wegener 1999, Eisenberg 2000). Weitgehende Einigkeit herrscht jedoch darin, dass gewisse Tendenzen bei der Pluralbildung ausgemacht werden können. Im Deutschen gibt es die Möglichkeit, die Pluralmarkierung sowohl am Nomen mit Flexiven als auch am Artikel vorzunehmen.2
Wurzel unterscheidet zwischen drei verschiedenen „Markertypen“ (Wurzel 2001: 99). Er schließt neben den morphologischen Markern Suffix und Umlaut den Artikel mit ein, der keine morphologische Markierung ist. Diese Markertypen können sowohl als alleinige Marker (9–11) als auch in Kombination miteinander (12–15) auftreten:
(9) | nur Artikel | ||
der Löffel | → | die Löffel | |
das Messer | → | die Messer | |
ein Schüler | → | --- Schüler | |
(10) | nur Umlaut | ||
die Mutter | → | die Mütter | |
(11) | nur Suffix | ||
die Uhr | → | die Uhren | |
(12) | Artikel und Suffix | ||
das Schwein | → | die Schweine | |
(13) | Umlaut und Suffix | ||
die Maus | → | die Mäuse | |
(14) | Artikel und Umlaut | ||
der Vogel | → | die Vögel | |
(15) | Artikel, Umlaut und Suffix | ||
der Baum | → | die Bäume |
Wie die Zuweisung dieser Markierungen erfolgt und wie dieses System optimal zu beschreiben ist – darüber gibt es verschiedene Ansichten. In den nächsten Abschnitten sollen die wichtigsten Beschreibungsansätze vorgestellt, ihre Gemeinsamkeiten aufgezeigt sowie ihre Differenzen herausgearbeitet werden.
Augst untersucht das „zentrale Pluralsystem“ (Augst 1979: 224) und formuliert diese Tendenzen in Form von Regeln. In Anlehnung an Augst sind im Duden unter der Überschrift „Das zentrale Pluralsystem“ drei Grundregeln aufgeführt (vgl. Dudenredaktion 2006: 183).
Die erste Regel besagt, dass Maskulina und Neutra den Plural durch das Anhängen von -e bilden:
(16) | der Tisch | → | die Tische |
das Regal | → | die Regale |
Mit der zweiten Regel wird vorausgesagt, dass Feminina den Plural mit der Verwendung der Suffixe -en bzw. -n bilden:
(17) | die Frau | → | die Frauen |
die Blume | → | die Blumen |
Als „e-Tilgungs-Regel“ wird die dritte Regel bezeichnet. Sie beschreibt, dass bei der Pluralbildung von Singularformen, die auf ein unbetontes -e, -el, -em, -en, oder -er enden, eine Tilgung des -e zu beobachten ist, das nach der oben beschriebenen ersten Regel suffigiert werden müsste:
(18) | das Segel | → | die *Segele | → | die Segel |
das Fenster | → | die *Fenstere | → | die Fenster | |
der Balken | → | die *Balkene | → | die Balken |
Diese drei Grundregeln zeigen, dass der Wortauslaut von nominalen Pluralformen einen Trochäus aufweist. Am Wortende folgt auf eine betonte Silbe eine unbetonte Silbe.
Das Phänomen der Umlautung wird in diesen Regeln nicht betrachtet. Aus diesem Grund werden im Duden neben diesen Grundregeln in Unterkapiteln „Umlaut-“ und „Zusatzregeln“ formuliert. Diese Regeln können aber nicht alle irregulären Bildungen oder bestehenden Schwankungsfälle erklären.
Auch Wegener (1992) beschreibt das deutsche Pluralsystem unter Beachtung der Aspekte des Wortauslauts und des Genus. In Anlehnung an Mugdan (1977) führt sie, mit dem Ziel eine möglichst kompakte, aber dennoch genaue Skizze des deutschen Pluralsystems zu erstellen, die wichtigsten Pluralmarker im Zusammenhang mit den beobachtbaren Regeln auf. Nur fünf Pluralmarker einschließlich Umlaut (UL) seien ausreichend und drei Hauptregeln seien auszumachen, um die Pluralbildung im Deutschen aufzeigen zu können (vgl. Wegener 1992: 226). Diese sind nach einer Abbildung von Wegener wie folgt darzustellen:
Abbildung 1: Pluralbildung im Deutschen (nach Wegener 1992)
Als „markiert“ gelten Nomen, die bei vokalischem Auslaut auf kein Schwa enden, sondern auf einen unbetonten Vollvokal (wie Auto). Dazu gehören auch Kurzwörter wie Kuli und Abkürzungen wie PKW. Die letzte Gruppe von Nomen, die als markiert gelten, zeichnet aus, dass aus verschiedenen Gründen keine Pluralbildung durch lautliche Veränderung der Nomen möglich ist, wie z.B. bei Kurzwörtern wie Loks oder bei Eigennamen. All diese Nomen mit markiertem Auslaut wählen den Pluralmarker -s.
Diese Beobachtung ist phonologisch zu erklären: Der Pluralmarker -e bzw. -en kann nur auf betonte Vokale am Wortende folgen, wie z.B. bei Ideen, da eine Suffigierung an einem unbetonten Vokal eine unnatürliche Dehnung zur Folge hätte, die so im Deutschen nicht auftritt, wie z.B. *Uhuen oder *PKWen (vgl. Wegener 1992: 228). Unmarkierte Feminina wie z.B. Uhr, Ader wählen den Pluralmarker -en bzw. -n und unmarkierte Maskulina wie z.B. Jahr, Garten wählen den Pluralmarker -e (eventuell mit Umlaut) bzw. den Nullplural.
Mit diesen Hauptregeln sei für den Großteil der Nomen die Pluralbildung erklärbar. Neben diesen Hauptregeln formuliert Wegener „Nebenregeln“ und wählt bewusst diesen Terminus, statt diese Phänomene beispielsweise als Ausnahmen zu bezeichnen, da „eine Teilregularität“ (Wegener 1992: 231) vorhanden sei. Nur Fälle der besonderen Pluralbildung wie z.B. Numeri, die nicht produktiv sind und keine Klassen bilden, sollten als Ausnahmen gelten.
Eisenberg (2000) bezieht sich ebenfalls auf Augst (1979) und Mugdan (1977). Er weist auf den Disput über Klassifikationen von Flexionstypen hin und schlägt eine Einteilung in „Genitiv Singular“ und „Nominativ Plural“ vor. Dabei unterscheidet er vier Haupttypen der Nominalflexion, die jeweils zwei Gruppen aufweisen (vgl. Eisenberg 2000: 152ff.). Im Folgenden sollen diese Haupttypen für die Pluralbildung im Nominativ vorgestellt werden.
Der erste Typ beschreibt die starke Deklination der Maskulina und Neutra:
(19) | der Berg | → | die Berge |
das Kind | → | die Kinder |
Zum zweiten Typ zählt die schwache Deklination der Maskulina:
(20) | der Mensch | → | die Menschen |
der Löwe | → | die Löwen |
Der dritte Typ betrifft die gemischte Deklination der Maskulina und Neutra:
(21) | der Staat | → | die Staaten |
das Ende | → | die Enden |
Beim vierten Typ geht es um die Deklination der Feminina:
(22) | die Burg | → | die Burgen |
die Wand | → | die Wände |
Wie Augst, Mugdan und Wegener stellt auch Eisenberg den Auslaut und das Genus betrachtend sechs Pluraltypen heraus, deren Ausprägung hier nicht beschrieben werden sollen, da nahezu alle Erklärungen der Regelmäßigkeiten bereits in den vorangehenden Ausführungen vorgestellt wurden.
Gegen diese eher strukturalistischen Ansätze versucht Köpcke (1993) eine Regelformulierung, die „um eine psychologische Komponente erweitert [… ist], in deren Mittelpunkt der Sprachbenutzer mit seiner allgemeinen kognitiven Ausstattung steht, aufgrund derer er dazu befähigt ist, eine Art sekundäre Ordnung in das scheinbare Chaos zu bringen“ (Köpcke 1993: 20). Trotz einiger Unterschiede, wie z.B. der Annahme, dass es im Deutschen acht (vgl. Köpcke 1993: 35) und nicht neun Pluralallomorphe gibt, wie oft in der Literatur aufgeführt (siehe z.B. Ramge 1975, Werner 1969: 93, Nübling 2002: 98, Mac Whinney 1994: 302, Christen 2000: 199)3, geht auch Köpcke in erster Linie von den bisher dargestellten Annahmen aus. Der entscheidende Unterschied beruht auf seiner Fokussierung des Sprecherverhaltens (vgl. Köpcke 1993: 37). Regelmäßigkeiten in der Pluralbildung könnten zwar formuliert werden, würden jedoch kaum dafür genutzt werden können, um Feststellungen über das Sprecherverhalten, wie es in der Wirklichkeit abläuft, zu konzipieren. Bereits Mugdans Ergebnisse von 1977, in denen er feststellt, dass „15 Regeln und 21 Listen von Ausnahmen benötigt [werden], um die Pluralzuweisung zu allen nominalen Lexemen des Deutschen erklären zu können“ (Köpcke 1993: 38), würden zeigen, dass eine alleinige Formulierung von Regeln nicht ausreiche. Die zahlreichen Auflistungen von Ausnahmen deuten darauf hin, so Köpcke, dass außer der Regelaufstellung die Bildung eines weiteren Konzeptes für die Erklärung der Pluralmarkierungszuweisungen notwendig sei, und zwar das Konzept der „Schemata“ (Köpcke 1993: 82). Der Sprecher bildet in seinem mentalen Lexikon verschiedene, mit unterschiedlichen Strukturen gekennzeichnete, Schemata. Die Kennzeichnung gehe aus der so genannten „Signalstärke“ hervor, die sich aus verschiedenen Kategorien der Wahrnehmung zusammensetze. Das heißt, dass der Sprecher bei der Zuweisung von Pluralmarkierungen auf Schemata zurückgreift, die er in seinem mentalen Lexikon durch vorherige Wahrnehmungen bildet.
Dieses Konzept soll an dieser Stelle nicht ausführlicher behandelt werden, da es in Kapitel 5.1 eingehender thematisiert wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Köpcke davon ausgeht, dass die Markierung des Plurals eher produktorientiert nach „abstrakten Schemata“ (Köpcke 1993: 86) im mentalen Lexikon erfolgt und weniger mit durch Regeln entstandene Morphembildungen zu erklären ist.
Wie bereits angedeutet, spielt die Silbenstruktur der Nomen ebenfalls eine Rolle bei der Pluralmarkierung. Es kann festgestellt werden, dass einsilbige Wortstämme bei der Pluralbildung in zweisilbige Pluralformen umgewandelt werden, die einen Trochäus mit finaler Schwa-Silbe aufweisen:
(23) | Schuh | → | Schuhe |
Mehrsilbige Wörter enden bei der Pluralform ebenfalls auf einen Trochäus:
(24) | Elefant | → | Elefanten |
Nahezu keine Regelaufstellung erfolgt, ohne dass Ausnahmen formuliert werden. Die einzige Regel, die bei allen Systematisierungsbestrebungen auftaucht und deren Gültigkeit immer gegeben ist, ist die Regel, dass für Feminina mit Schwa als Auslaut immer ein -n suffigiert wird (vgl. Sonnenstuhl-Henning 2003: 94):
(25) | die Birne | → | die Birnen |
In den nächsten Kapiteln soll nun das Genussystem und anschließend das Kasussystem des Deutschen skizziert werden.