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3.1 Das Numerussystem des Türkischen

Das Türkische besitzt wie das Deutsche zwei Numeri: Singular und Plural (vgl. Kornfilt 2000: 265). Die semantischen Konzepte, die für die Markierung von Plural im Türkischen existieren, unterscheiden sich jedoch wesentlich von den Kontexten, in denen die Pluralmarkierung im Deutschen obligatorisch ist.

Eine systematische Beschreibung der Pluralmorphologie im Hinblick auf ihre Markierung scheint auf den ersten Blick sehr einfach zu sein. Statt neun Pluralmarkierungsmöglichkeiten am Nomen, wie im Deutschen der Fall, existiert im Türkischen lediglich eine Möglichkeit der Pluralmarkierung. Das Pluralsuffix -ler bzw. -lar wird, je nachdem wie der letzte Vokal des Nomen lautet, an die Singularform angehängt und betont:

(34)arabaAutoaraba-larAuto-PL‚Autos‘
(35)kapıTürkapɪ-larTür-PL‚Türen‘
(36)balonLuftballonbalon-larLuftballon-PL‚Luftballons‘
(37)koyunSchafkoyun-larSchaf-PL‚Schafe‘

Handelt es sich bei dem letzten Vokal der Singularform um ein a/ı/o/u, so wird aufgrund der kleinen Vokalharmonie im Türkischen die Endung -lar suffigiert. Ist der letzte Vokal ein e/i/ö/ü, wird die Endung -ler angehängt:

(38)inekKuhinek-lerKuh-PL‚Kühe‘
(39)keçiZiegekeçi-lerZiege-PL‚Ziegen‘
(40)traktörTraktortraktör-lerTraktor-PL‚Traktoren‘
(41)köprüBrückeköprü-lerBrücke-PL‚Brücken‘

Die Komplexität des türkischen Numerussystems liegt nicht wie im Deutschen in der Pluralmarkierung und der Zuweisung von Pluralflexiven, sondern in der Beschreibung der semantischen Konzepte, in denen eine Pluralmarkierung verwendet wird bzw. obligatorisch ist. Dieser Aspekt zeigt uns wieder, wie sehr die Betrachtung von grammatischen Phänomenen auf den verschiedenen Ebenen der Sprachwissenschaft als notwendig erscheint. Sowohl die Betrachtung auf morphologischer, phonologischer, syntaktischer, pragmatischer als auch semantischer Ebene ist hier für die Beschreibung des Numerussystems im Türkischen mit einzubeziehen, um die Sprachverwendung adäquat abbilden zu können. Diese semantischen Konzepte bilden die Funktionen, die die Pluralmarkierung im Türkischen erfüllen können.

Das Thema Pluralbildung und Pluralmarkierung wird in verschiedenen Grammatiken des Türkischen oft unzureichend und teilweise unsystematisch behandelt (siehe z.B. Underhill 1976, Lewis 2000, Moser-Weithmann 2001, Kornfilt 2000). Als eine mögliche Erklärung für diese Beobachtung können die oben erwähnten Unterschiede bezüglich der Verwendung der Pluralmarkierung genannt werden, und zwar die eigenen semantischen Konzepte der türkischen Sprache, die hinter der Pluralmarkierung und ihrer Auslassung stehen können. Eine gute, wenn auch relativ kurze Übersicht über die existierenden Ausprägungen von Singular und Plural im Türkischen ist in Ersen-Rasch (2004: 24ff.) zu finden. Die im Folgenden genannten Beispiele basieren auf ihren Ausführungen.

Bei der Betrachtung der Funktion des türkischen Pluralsuffixes lassen sich erhebliche Unterschiede im Vergleich zu den Funktionen der Pluralmarkierungen im Deutschen feststellen. Zudem kann das „zweiförmige Suffix“ (Kissling 1960: 20) –ler/-lar zum einen, wie bereits gezeigt wurde, den Plural markieren, aber auch als Possessivsuffix (3. Person Plural) fungieren (Göksel/Kerslake 2005: 68f., siehe dazu auch Schroeder 1999: 26f.):

(42)araba-larıAuto-PL.3.SG/ 3.PL.POSS‚Ihr Auto/ihre Autos‘
(43)inek-leri1Kuh-PL.3.SG/ 3.P. POSS‚Ihre Kuh/ihre Kühe‘

Hierbei liegt eine Ambiguität bezüglich der Verwendung des Possessivsuffixes vor (siehe Göksel/Kerslake 2005: 170f.). Es kann sowohl Plural und 3. Person Singular Possessiv (44), als auch 3. Person Plural Possessiv (45), sowie Plural und 3. Person Plural Possessiv (46) ausdrücken:

(44)Araba-lar-ı orada.Auto-PL.3.SG.POSS dort‚Seine/Ihre Autos sind dort.‘
(45)Araba-ları orada.Auto-3.PL.POSS dort‚Ihr Auto ist dort.‘
(46)Araba-ları orada.Auto-PL.3.PL.POSS dort‚Ihre Autos sind dort.‘

Auch in ihrer Funktion als Pluralmarker, um Pluralität und Mehrzahl auszudrücken, kann das Pluralsuffix –ler/-lar im Türkischen eine Vielzahl von Funktionen ausüben (siehe z.B. Göksel/Kerslake 2005: 129ff., 165ff., 228f., 283). Im Folgenden sollen diese in drei Funktionen zusammengefasst werden:

Funktion I:

Das Pluralsuffix -ler bzw. -lar kann die Vielzahl von „individualisierten Elementen“ (Ersen-Rasch 2004: 25) einer Klasse ausdrücken1:

(47)Çiçek-ler orada.Blume-PL dort‚Die Blumen sind dort.‘
(48)Kitap-lar-ım var.Buch-PL.1SG geb‚Ich habe Bücher.‘

In (47) geht es nicht um die Klasse Blumen, sondern um bestimmte, „individualisierte Elemente der Klasse“ (ebd.), die im Deutschen in (47) mit dem definiten Artikel ausgedrückt werden. Der Beispielsatz (49) ist aus Ersen-Rasch (ebd.) übernommen. Sie führt diesen Satz als Kontrast zu folgenden Sätzen auf, um den individualisierenden Aspekt des Pluralsuffixes zu zeigen:

(49)Bir kitap al-dım.ein Buch kauf-1.SG.PRÄT‚Ich habe ein Buch gekauft.‘
(50)Iki kitap al-dım.zwei Buch kauf-1.SG.PRÄT‚Ich habe zwei Bücher gekauft.‘
(51)Birkaç kitap al-dım.einige Buch kauf-1.SG.PRÄT‚Ich habe einige Bücher gekauft.‘
(52)Birçok kitap al-dım.viele Buch kauf-1.SG.PERS.PRÄT‚Ich habe viele Bücher gekauft.‘

(vgl. Ersen-Rasch 2004: 25)

In diesen Sätzen findet keine Markierung der Singularform statt, da es nicht um bestimmte Bücher geht. Bei der Betrachtung dieser Darstellung kommt folgende Frage auf: Liegt der Grad für die Individualisierung der Elemente der Klasse Buch in Beispiel (48) nicht bei der Verwendung des Personalpronomens bzw. des Suffixes, das das Personalpronomen 1. Person Singular markiert? Denn beim Weglassen der Markierung fällt der individualisierende Aspekt weg, wie der folgende Beispielsatz zeigt:

(53)Kitap-lar var.Buch-PL geb‚Es gibt Bücher.‘

Aus diesem Grund erscheint der Beispielsatz (49) ungeeignet, um die individualisierende Eigenschaft des Pluralsuffixes aufzuführen. Die Möglichkeit der Individualisierung durch Einsatz des Suffixes im Türkischen wird an dieser Stelle nicht bestritten. Unter diesem Aspekt der Individualisierung können sogar Pluralformen von Nomen gebildet werden, die im Deutschen nicht in den Plural gesetzt werden können:

(54)Berlin de hava-lar nasıl?Berlin LOK Wetter-PL wie‚Wie ist das Wetter in Berlin?‘

(vgl. Ersen-Rasch 2004: 26)

Funktion II:

Das Pluralsuffix -ler/-lar kann unterschiedliche, „nicht gleichartige Teile einer Klasse in einem Suffix zusammen[zu]fassen“ (Ersen-Rasch 2004: 25):

(55)Toka-lar, yüzük-ler, küpe-ler ve bilezik-ler satıyorum.Schnalle -PL, Ring -PL, Ohrring -PL und Armreif -PL verkauf– 1.SG.PRS‚Ich verkaufe Schnallen, Ringe, Ohrringe und Armreifen.‘

Die Pluralbildungsregeln im Türkischen sind jedoch nicht immer strikt (vgl. Ketrez/Aksu-Koc 2009: 39), so dass beispielsweise in diesem Falle auch die Pluralendung weggelassen werden kann, ohne dass sich die Bedeutung des Satzes ändert:

(56)Toka, yüzük, küpe ve bilezik sat-ıyorum.Schnalle, Ring, Ohrring und Armreif verkauf -1.SG.PRS‚Ich verkaufe Schnallen, Ringe, Ohrringe und Armreifen.‘

Das Suffix ist jedoch nicht immer fakultativ.1 Wenn beispielsweise die Sorte von etwas ausgedrückt werden soll, ist das Suffix obligatorisch und kann nicht weggelassen werden2:

(57)Yağlar nerede?Fett-PL/Öl-PL‚Wo sind die Fette/Öle?‘

(vgl. Ersen-Rasch 2004: 25)

Funktion III:

Das Pluralsuffix -ler/-lar kann die Häufigkeit einer Handlung ausdrücken.

Durch das Anhängen der Pluralendung kann auch eine oft auftretende Handlung beschrieben werden, wie das folgende Beispiel von Ketrez (2004) verdeutlicht:

(58)Çocuk parmak -lar kaldır -dı.Kind Finger-PL heb-3.SG.PRÄT‚Das Kind streckte/hob oft/mehrmals seine Hand/seinen Finger.‘

(vgl. Ketrez 2004: 8)

Erst mit der Deutung, dass das Kind viele Finger, beispielsweise von anderen Personen hochhielt, wäre für die Endung -lar in parmaklar eine Pluralfunktion anzunehmen, was möglich ist, da keine Markierung durch ein Possessivsuffix oder Ähnliches vorhanden ist.

Sowohl der obige Beispielsatz (56) als auch die Sätze (50–52) zeigen, dass beim Ausdruck der Pluralität in diesen Fällen keine Markierung am Nomen vorgenommen wird. In (50) ist dies mit der Regelung im Türkischen zu erklären, dass keine Pluralendung nach Zahlwörtern1 angehängt wird, da der Plural mit dem Zahlwort als markiert gilt (vgl. Moser-Weithmann 2001: 31). Dies wird mit dem Prinzip der Ökonomie, das typisch für das Türkische ist, erklärt und gilt auch bei anderen, die „Quantität“ ausdrückenden Wörtern, wie in (51) und (52) (vgl. Ersen-Rasch 2004: 25).

Einzige Ausnahmen, bei denen trotz Zahlwort eine Markierung am Nomen erfolgt, stellen Nomen dar, die „die Bedeutung von Eigennamen haben, wie z.B. yedi cüceler (Die sieben Zwerge), kırk haramiler (Die vierzig Räuber)“ (Moser-Weithmann 2001: 31).

Eine Markierung des Nomens ist im Türkischen in folgenden Fällen ebenfalls nicht möglich:

(59)Çorap al -dım.Strumpf/Socke kauf -1.SG.PRÄT‚Ich habe Strümpfe/Socken gekauft.‘
(60)Biz -e yumurta lazım.3.PL Ei brauch‚Wir brauchen Eier.‘

(vgl. Ersen-Rasch 2004: 25)

Dies kann mit der Eigenschaft der türkischen Singularform, dass sie „auch für den unbestimmten Plural gebraucht werden kann, der dann Kollektivbedeutung hat: elma (Äpfel), orman (Wälder)“ (Moser-Weithmann 2001: 27), erklärt werden.

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