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2.3 Das Kasussystem des Deutschen
ОглавлениеIm Deutschen sind die vier Merkmale Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv in der Merkmalklasse Kasus vorzufinden. Im Gegensatz zum Genus, bei dem für die einzelnen Nomen die Merkmale feststehen und nicht geändert werden können, sind in der Kategorie Kasus die Merkmale durch die umgebenden syntaktischen Gegebenheiten bestimmt. Die Kategorien Genus, Numerus und Kasus erzeugen zusammen die Kongruenz innerhalb der Nominalphrase. Wie erfolgt dabei die Markierung des Kasus im Deutschen? Wie sieht es mit den Gesetzmäßigkeiten in dieser Kategorie aus? Und welche Funktionen erfüllt der Kasus? Diese Fragen sollen im Folgenden kurz beantwortet werden, ohne den Anspruch zu erheben, auf die facettenreichen Diskussionspunkte und die einzelnen Theorien in der „kaum mehr überschaubaren Literatur“ (Wegener 1995b: 120) zum Kasus einzugehen und diese zu erfassen.
Nach Blake (2004: 1073) markiert Kasus vor allem „the relationship of a noun phrase to a verb“, so dass man demnach bei der Beschreibung der Kasusmarkierungen im Deutschen sowohl die Ebene der Morphologie als auch die Ebene der Syntax betrachten muss. Mit Hinblick auf den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit wird im Folgenden der Blick auf die Markierung beim Nomen, beim Artikel und beim Adjektiv fokussiert werden.
Während bei der Kategorie Numerus die Pluralmarkierung ausschließlich am Nomen erfolgt, werden in der Kategorie Kasus „die Kasusmarker in wenigen Fällen (Genitiv-Singular und Dativ-Plural) am Nomen selbst realisiert“ (Wegener 1995b: 142):
(32) | Genitiv-Singular: | → Der Hund des Mannes im 2. Stock bellt immer. |
(33) | Dativ-Plural: | → Er schenkt den Schwestern immer die gleichen Geschenke. |
Ansonsten erfolgt die Markierung an den Determinierern und bzw. oder – wenn vorhanden – am Adjektiv, während der Determinierer „the maximum amount of differentation“ (Blake 2004: 1078) aufweist:
Neutrum | Maskulinum | Femininum | |
Nominativ | das dicke Buch | der kleine Tisch | die schöne Tasche |
Akkusativ | das dicke Buch | den kleinen Tisch | die schöne Tasche |
Dativ | dem dickenBuch(e) | dem kleinenTisch(e) | der schönenTasche |
Genitiv | des dickenBuches | des kleinen Tisches | der schönenTasche |
Tabelle 4: Kasusmarkierung im Deutschen (im Singular)
Es ist anzumerken, dass die oben dargestellten Markierungen nur für die Merkmalsausprägung im Singular gelten. Für Pluralnomina sind andere Markierungen festzustellen:
Neutrum | Maskulinum | Femininum | |
Nominativ | die dickenBücher | die kleinen Tische | die schönenTaschen |
Akkusativ | die dickenBücher | die kleinen Tische | die schönenTaschen |
Dativ | den dickenBüchern | den kleinenTischen | den schönenTaschen |
Genitiv | der dickenBücher | der kleinen Tische | der schönenTaschen |
Tabelle 5: Kasusmarkierung im Deutschen (im Plural)
Die Beobachtung dieser unterschiedlichen Verhaltensweisen der einzelnen Nomina im Deutschen führen dazu, dass verschiedene Flexionsklassen definiert werden, deren Anzahl „von 3 bis 77“ (Wegener 1995b: 147) reicht – je nachdem, wie die Definitionen vorgenommen werden. Oft unterscheiden sich diese Einteilungen auch in den verwendeten Begrifflichkeiten, so dass dabei auch beispielsweise von „Deklinationsart, Paradigma und Formenreihe“ (Dudenredaktion 2006: 196) und „Deklinationsklasse“ (Thieroff/Vogel 2012: 43) die Rede ist. Dabei wird auch die Numerusflexion bei diesen Klassenformulierungen berücksichtigt.
Im Folgenden sollen die bestehenden Regularitäten der Kasusflexion nach der Darstellung von Wegener (1995a: 146f.) und in Anlehnung an Duden (2006: 296ff.) skizziert werden.
Die Analyse der Tabellen 4 und 5 ergibt, dass „vier Deklinationstypen für singularische Nomina und zwei Deklinationstypen für Pluralnomina“ (Wegener 1995b: 146) aufgestellt werden können:
Typ | Flexion | Genus | Kasus | Beispiele | |
Sg. | 1 | (e)s-Flexion | Maskulina, Neutra | Genitiv | Hundes, Films |
2 | (e)n-Flexion | Maskulina | alle1 | Hasen, Menschen | |
3 | Nullflexion | Feminina | alle | Zahl, Ersparnis | |
4a | Eigennamen | ---- | alle | Oma, Anna | |
4b | Eigennamen | ---- | Genitiv | Omas, Annas | |
Pl. | 1 | n-Flexion | alle | Dativ | Leuten,Trümmern |
2 | Nullflexion | alle | alle | Menschen,Sachen |
Tabelle 6: Deklinationstypen der deutschen Kasusflexion (erstellt nach Wegener 1995b: 146f. und Dudenredaktion 2006: 197f.)
Aus diesen Deklinationstypen leitet Wegener für die Bildung von Kasusformen zwei Akkusativ-, vier Dativ- und fünf Genitiv-Regeln ab (siehe Wegener 1995: 147), wobei im Folgenden die Genitiv-Regeln unberücksichtigt bleiben werden, da sie für den „natürlichen Spracherwerb“ keine Rolle spielen (vgl. Marouani 2006: 40).
Dabei ist entscheidend, ob es sich um „markierte bzw. schwache Kasusflexion“ (Wegener 1995: 147) handelt oder eine unmarkierte bzw. starke Form vorliegt. Die erste Akkusativregel besagt, dass bei allen starken Nomen im Akkusativ eine Nullmarkierung vorliegt, während die zweite Akkusativregel festhält, dass bei allen schwachen Nomen die Allomorphe -(e)n suffigiert werden. Diese sind in Tabelle 6 unter Typ 2 gefasst und bestehen aus Maskulina. Es ist jedoch anzumerken, dass „die überwiegende Mehrzahl der deutschen Maskulina stark flektiert“ (Wegener 1995b: 146). Auch bei den Dativregeln spielen die Flexionsarten der Nomen eine Rolle. Die erste Dativregel beschreibt, dass alle starken Nomen im Dativ Singular keine Kasusmarkierung vornehmen. Handelt es sich um ein schwaches Nomen, wird die Dativform nach der zweiten Dativregel mit -(e)n markiert. Wenn dem Nomen die Pluralendung -(e) oder -er zugewiesen wird, dann erhält es die Endung -n im Dativ. Der Dativ wird nicht markiert – und hier sind wir bereits bei der vierten Dativregel – wenn das Nomen den Plural auf -(e)n oder -s bildet. Die folgende Tabelle soll die aufgeführten Regeln zusammenfassen:
Regel | Sg./Pl. | Flexion | Markierung | Beispiel | |
Akkusativ | 1 | Sg. + Pl. | stark | -Ø | Zahl, Sachen |
2 | Sg. + Pl. | schwach | -(e)n | Hasen, Leuten | |
Dativ | 1 | Sg. | stark | -Ø | Zahl |
2 | Sg. | schwach | -(e)n | Hasen | |
3 | Pl. -(e),-er | stark + schwach | -n | Hasen, Adlern | |
4 | Pl. -(e)n,-s | stark + schwach | -Ø | Balken, Radius |
Tabelle 7: Kasusregeln für Nomenmarkierung
Aus den Tabellen 4 und 5 lassen sich ebenso Regeln für die Kasusmarkierung der Artikel ableiten. Die Akkusativregel für die „kasusmarkierten Faktoren“ (Wegener 1995b: 152) besagt, dass diese mit der Endung -n markiert werden, wenn das Nomen das Genus Maskulinum aufweist. Neben dieser einen Akkusativregel lassen sich drei Dativregeln formulieren. Alle Artikel, die im Dativ vor einem Nicht-Femininum stehen, erhalten nach der ersten Dativregel die Endung -m und alle Artikel vor Feminina nach der zweiten Dativregel die Endung –r. Die dritte Dativregel bezieht sich auf den Plural.
Demnach werden im Dativ alle Artikel mit der Endung -n versehen (siehe Wegener 1995b: 152f.):
Regel | Sg./Pl. | Genus des Nomens | Markierung des Artikels | Beispiele | |
Akk. | 1 | Sg. | Mask. | -n | den Tisch |
Dat. | 1 | Sg. | Mask.+Neutr. | -m | dem Tischdem Buch |
2 | Sg. | Fem. | -r | der Tasche | |
3 | Pl. | alle | -n | den Tischenden Taschenden Büchern |
Tabelle 8: Kasusregeln für Artikelmarkierung
Versucht man jedoch Regeln zur Kasusmarkierung bei Adjektiven2 zu formulieren, kommt der Faktor der Flexionsart des Adjektivs hinzu, das heißt, ob es stark oder schwach flektiert. Geht ein Artikelwort mit Flexionsendung dem Adjektiv voran, wird das Adjektiv schwach flektiert, sonst erfolgt die Flexion stark:
Regel | Sg./Pl. | Genus des Nomens | Flexionsmuster des Adjektivs | Markierung des Adjektivs | Beispiel | |
Nom. | 1 | Sg. | alle | schwach | -e | der kleine Tischdas kleine Buchdie kleine Tasche |
Akk. | 1 | Sg. | Mask. | schwach | -en | den kleinen Tisch |
2 | Sg. | Neutr.+Fem. | schwach | -e | das kleine Buchdie kleine Tasche | |
Dat. | 1 | Sg. | Mask. +Neutr. | stark | -em | kleinem Tischkleinem Buch |
2 | Sg. | alle | schwach | -en | dem kleinen Tisch(e)dem kleinen Buchder schönen Tasche | |
3 | Sg. | Fem. | stark | -er | schöner Tasche | |
4 | Pl. | alle | stark | -en | den kleinen Tischenden kleinen Büchernden kleinen Taschen |
Tabelle 9: Kasusregeln für Adjektivmarkierung
Wie der obigen Darstellung zu entnehmen ist, erfährt das Adjektiv im Akkusativ die Markierung -en, wenn es sich um ein Maskulinum handelt, während Neutra und Feminina eine gesonderte Akkusativmarkierung vornehmen. Im Dativ sind vier Regeln zu formulieren, wobei sich drei auf den Singular beziehen und eine die Flexion im Plural beschreibt. In diesen Regeln ist das Flexionsmuster des Adjektivs entscheidend, ob es schwach oder stark flektiert. Die oben dargestellte erste Dativregel von Wegener (1995a) besagt, dass starke Adjektive bei nachfolgender Maskulina und Neutra mit der Endung -em markiert werden. Wenn jedoch vorangehende Artikelwörter existieren, gilt die zweite Dativregel, dass die Adjektive mit -en markiert werden.
Wenn keine Artikelwörter vorangestellt sind, erhält das Adjektiv vor Feminina die Endung -er. Nach der vierten Regel markieren, wie oben zu sehen, alle Nomen im Dativ-Plural ihre vorangehenden Adjektive mit der Endung -en. Diese aufgeführten Gesetzmäßigkeiten der Markierungen in der Kategorie Kasus gelten in den beschriebenen Kontexten nahezu ausnahmslos.
Der Kasus wird im Gegensatz zum Genus eher von äußeren Faktoren bestimmt und es lässt sich zudem feststellen, dass er auch „gegenüber dem Numerus die ‚äußere‘ Kategorisierung bei Substantiv [ist]“ (Eisenberg 2000: 152). Er übernimmt „bestimmte Funktionen im Satz, die jedoch komplexer zu beschreiben sind als die rein semantischen Funktionen der Numeri“ (Wegener 1995b: 120). Diese Funktionen sind unter anderem deshalb so komplex, da viele Synkretismen existieren, das heißt, dass es im Kasussystem des Deutschen viele Fälle gibt, in denen „zwei oder mehr Kasusfunktionen in einer Kasusform zusammengefallen sind“ (ebd.):
Neutr. | Mask. | Fem. | Pl. | |
Nom. | das Buch | der Tisch | die Tasche | die Tische |
Akk. | das Buch | den Tisch | die Tasche | die Taschen |
Dat. | dem Buch | dem Tisch | der Tasche | den Büchern |
Tabelle 10: Beispiel für Genus-, Kasus- und Numerussynkretismen (nach Wegener 1995: 166)
Zu anderen „Synkretismusfeldern“ (Thieroff/Vogel 2012: 57) in der Kasusflexion sei an dieser Stelle auf Wegener (1995a: 166ff.) und Thieroff/Vogel (2012: 56ff.) verwiesen.
Wegener unterscheidet zwischen syntaktischen, semantischen und pragmatischen Funktionen der Kasus im Deutschen (siehe Wegener 1995: 120ff.). Die wichtigste Funktion stellt die syntaktische Funktion dar. Hier nimmt Wegener eine Differenzierung zwischen primären und sekundären Funktionen vor (ebd.). Die durch die Kasusmarkierung umgesetzte Bestimmung der „grammatischen Relation Subjekt (SU), direktes Objekt (DO), indirektes Objekt (IO) und Attribut“ im Satz sei die „primäre Funktion der Kasus“ (Wegener 1995: 120). Im Nominativ wird „zusammen mit der Verbkongruenz“ (ebd.) das Subjekt kodiert. Der Akkusativ kodiert das direkte Objekt und der Dativ das indirekte Objekt. Die sekundären, die Syntax betreffenden Funktionen, wie die Realisierung von Prädikatsnomen, werden hier nicht thematisiert (siehe dazu Wegener 1995b: 121ff.).
Bei der Erfüllung von semantischen Funktionen der Kasusmarkierungen wird die Annahme vertreten, „daß die semantische Struktur von Verben auf die syntaktische Ebene projiziert wird, und daß es bestimmte Prinzipien gibt, nach denen bestimmte Thetarollen mit bestimmten Kasusmarkierungen und bestimmten Strukturpositionen kombiniert werden“ (Wegener 1995b: 122). Daraus ergibt sich eine Anordnung von semantischen Rollen und grammatischen Relationen, die sich gegenseitig bestimmen und bedingen:
Kasus | Syntakt. Funktionen/Grammat. Relationen | Semantische Rolle |
Nom. | Subjekt | Agens |
Akk. | Direktes Objekt | Thema |
Dat. | Indirektes Objekt | Rezipiens |
Tabelle 11: Zu den semantischen Rollen in der Kasusmarkierung
Als pragmatische Funktionen der Kasusmarkierungen im Deutschen sind zum einen das Ermöglichen von verschiedenen Sprecherperspektiven (vgl. Marouani 2006: 44), zum anderen auch die Variationsmöglichkeit der Topikalisierung in einem Satz zu nennen. Diese sollen hier im Hinblick auf ihre Irrelevanz für den empirischen Teil der Arbeit nicht erläutert werden (siehe dazu Wegener 1995b: 124ff. und Marouani 2006: 44f.).