Читать книгу Die Chinesische Mauer - Günter Billy Hollenbach - Страница 11

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Officer Clayton rückt auf dem Stuhl hin und her.

„Natürlich, das verstehe ich. Aber der Vorfall muss keine große Sache sein. Solange wir nicht mehr wissen, empfehle ich, keine Vermutungen anzustellen, wer oder was dahinter ...“

„Entschuldigen Sie, Officer, wenn ich entschieden widerspreche,“ unterbricht Frau Wong.

„Ein Kind zu entführen ist eine große Sache.“

„Sie haben natürlich recht, Madam. Was ich sagen will: Sie glauben gar nicht, wie dumm die meisten Kriminellen sind, wie planlos sie handeln. Meist lassen sie sich leicht von einer Wiederholung abschrecken. Wenn wir ein paar Mal mehr als üblich durch die Gegend fahren.“

„Haben Sie keinen Hund?,“ erkundigt sich Cliff, der zweite Beamte. Ein schmaler blonder Mann Mitte dreißig mit rötlichem Gesicht, einem deutlichen Adamsapfel und dem Namen Anderson auf dem schwarzen Schild an seinem Hemd.

„Einen Hund? Wieso ...? Ach, Sie meinen zum Schutz? Nein, wir haben keinen. Mein Mann sagt, Hunde gehören in den Suppentopf, aber nicht ins Haus. Ich habe für diese kläffenden Viecher ebenfalls nichts übrig. Unser Shushi-Tiger streift auf der Veranda und im Garten umher. Aber was nutzt das bei solch einem Angriff?!“

„Natürlich nichts, Frau Wong,“ bestätigt Anderson. „Wie dem auch sei; glauben Sie mir, wir arbeiten sehr sorgfältig. Immerhin hat der Täter uns einige Blutstropfen und ...“

Mir ist, als träte Clayton dem Kollegen unterm Tisch gegen das Bein.

„Ja, also,“ fährt Anderson stotternd fort, „wir unterstellen ... wir haben etwas gefunden, was sein Blut sein könnte. Und gehen jeder Spur nach, auch den kleinsten Hinweisen.“

„Okay, Frau Wong,“ beginnt Clayton einen Ton dienstlicher.

„Bitte verstehen Sie, wir müssen das fragen ...“

„Selbstverständlich,“ fällt sie ihm ins Wort. „Sie machen nur Ihre Arbeit und ich freue mich, wenn Sie die gut machen. Sie fragen sich, wo ich heute Vormittag war. Ich war den ganzen Vormittag in meinem Büro. Fragen Sie meine Kolleginnen; ich beschäftige übrigens auch Männer. Fragen Sie, wen und was Sie fragen müssen. Ich halte mich da raus.“

Die Frau wirkt jetzt gelassener als bei ihrer Ankunft, geschäftsmäßig in einer angenehmen, überzeugenden Art. Wie jemand, der gewohnt ist, mit Mitarbeitern umzugehen und Entscheidungen zu treffen.

*

Officer Clayton klappt sein Notizbuch zu, will das Gesprächs beenden.

„Was geschieht nun, meine Herren? Wie geht es weiter?“

„Natürlich kommen wir gern wieder, Frau Wong, für ein offizielles Protokoll. Auch wenn alles gut ausgegangen ist, es handelt sich um eine in ihrem Verlauf gestörte, versuchte schwere Straftat. Schon von Gesetzes wegen sind wir verpflichtet, das Geschehen sorgfältig zu untersuchen und zu dokumentieren. Dabei nehmen wir gern Rücksicht auf ...“

„Ach was, meine Herren. Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen. Was immer, wann immer – melden Sie sich. Ich werde meiner Sekretärin Anweisung geben, mich unverzüglich einzuschalten. Ich bitte Sie nur um die gebotene Diskretion nach außen.“

„Absolut, unsererseits ganz einverstanden,“ erwidert Anderson.

Frau Wong ist im Begriff, aufzustehen, sieht mich an und fragt:

„Und Sie, was geschieht jetzt mit Ihnen? Oder muss ich das die Herren Polizisten fragen?“

„Er soll hier bleiben,“ meldet Janey sich sogleich.

„Finde ich auch,“ erklärt Brian, „wenigstens, bis ich ihm meine Wikinger-Schiffe gezeigt habe. Bitte, Mammi.“

„Ich fürchte, Brian,“ antwortet Clayton an ihrer Stelle, „wir müssen Herrn Berkamp erst einmal mitnehmen ...“

Brian unterbricht entrüstet.

„Wollen Sie ihn etwa verhaften? Das wäre total unfair.“

„Keine Sorge, Junge. Wir haben uns die ganze Zeit mit euch beiden beschäftigt. Jetzt müssen wir mit ihm reden. Er kann den bösen Mann beschreiben. Das hilft uns sicher, ihn zu fangen und zu bestrafen.“

„Na hoffentlich.“

„Kommst Du danach wieder zu uns?,“ fragt Janey vorsichtig.

„Ganz sicher, Schätzchen,“ antwortet ihre Mutter. „Das fordern wir einfach von ihm. Wenn er das nicht freiwillig tut, bitten wir die Polizei, ihn hierher zu bringen. Nicht wahr, Officers, das tun Sie dann?“

„Und wenn ich von mir aus komme? Ein anderes Mal. Ehrlich gesagt werde ich langsam hungrig.“

„Oh Gott, entschuldigen Sie bitte. Ich hätte Ihnen allen mindestens einen Kaffee oder Tee anbieten müssen. Wo Carmen nur bleibt? Die ist sonst für diese Dinge zuständig.“

„Bitte, vielen Dank, keine Umstände,“ erklärt Clayton und erhebt sich. „Auf uns wartet genug Arbeit. Eine Cola und einen Hamburger zu dritt, das schaffen wir noch selbst.“

Er nickt den beiden Kindern zu.

„Danke, ihr beiden Hübschen. Seid weiter vorsichtig. Okay?“

Die Kinder geben uns artig die Hand, folgen bis in den Flur.

*

An der Haustür berührt Frau Wong mich am linken Arm, wartet, bis die beiden Beamten das Haus verlassen haben.

„Herr ... Berkamp? Bitte entschuldigen Sie. Ich habe mich kaum um Sie gekümmert.“

„Nicht der Rede wert, Frau Wong. Die Polizei war wichtiger.“

Sie schaut mich an, als suche sie nach der Antwort auf eine ungestellte Frage. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer. Die Frau hat ein angenehmes Wesen und sieht einfach klasse aus. Etwas Freundliches zum Abschied möchte ich ihr schon noch sagen.

„Gestatten Sie mir eine Bemerkung?!“

„Selbstverständlich. Bitte.“

„Ihre Kinder sind großartig. Und ich wünsche Ihnen ...“

Sie lässt mich nicht weitersprechen.

„Oh ja, vielen Dank. Meine Goldstücke. Ehrlich gesagt, ich muss selbst erst einmal verdauen, was ich gerade gehört habe.“

Die zwei Polizisten bleiben verwundert an der Steintreppe stehen.

„Bitte verzeihen Sie,“ erklärt Frau Wong unbeeindruckt halblaut, „aber meinerseits habe ich noch eine Menge Fragen an Sie.“

Das fällt dir etwas spät ein, Mädchen.

„Natürlich nicht jetzt. Wie ist das, haben Sie Familie?“

Die Frau stellt Fragen!

„Bitte verstehen Sie das richtig. Ich lade Sie ein. Am liebsten allein, wenn Sie das einrichten können. Um den Vorfall in Ruhe zu besprechen. Wie wäre es heute Abend ab sechs? Oder kurz danach, damit die Kinder Sie noch sehen können vor dem Schlafengehen. Nach dem, was Sie gemeinsam erlebt haben.“

Die Einladung überrascht mich. Alles Wesentliche ist gesagt.

Und ein fester Zeitpunkt kommt mir ungelegen. Ich möchte allein sein, das Ereignis zunächst für mich verdauen. Außerdem weiß ich nicht, wie lange die Polizei mich noch beschäftigen wird.

Was immer die Dame wissen möchte, hat bis morgen Zeit. Wenn ich ihre Kinder erst dann sehe, ist es auch gut. Der Schmerz des Handkantenschlags auf meinen Oberschenkel bittet förmlich um Wundsalbe. Den Abend in Ruhe mit einer ausgedehnten Meditation zu verbringen, erscheint mir verlockender.

Lieber treffe ich die Dame, wenn ich mich wohler fühle.

Berkamp, was soll das Zögern? Wer weiß, wozu es gut ist?!

Ihr Blick tut es. Kein Lächeln, sondern eine unerwartete Wärme in den Augen, eine unwiderstehliche Aufforderung.

„Okay, Frau Wong, danke für die Einladung. Ich hoffe, das Gespräch bei der Polizei wird nicht ewig dauern. Eine anschließende Dusche könnte nicht schaden.“

„Das verstehe ich. Wie wäre es später?“

„Wenn ich bis zwanzig vor sieben nicht bei Ihnen bin, komme ich heute Abend nicht mehr, dann gewiss morgen Abend gegen sechs.“

Sie zögert, überlegt.

Clayton ruft: „Berkamp, komm schon, ich habe auch Hunger.“

„Versuchen Sie es,“ erklärt Frau Wong, „lieber heute Abend. Das passt mir besser als morgen. Es wäre schön, Sie wiederzusehen.“

Was die Leute eben so sagen, zum Abschied.

Immerhin hängt Frau Wong an:

„Und ... das sage ich gern: Herzlichen Dank für meine Janey.“

Sie lächelt betörend, verbeugt sich leicht und schließt die Tür.

Die Chinesische Mauer

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