Читать книгу Die Chinesische Mauer - Günter Billy Hollenbach - Страница 13

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An die zehn schwarzweiße Dienstwagen auf beiden Seiten der Vallejo-Straße sind der auffallendste Hinweis. Die Station „North Beach“ selbst kann leicht übersehen werden. Ihr unscheinbarer Eingang liegt an der rechten Ecke eines hellgrauen, mehrstöckigen städtischen Parkhauses.

Seit Jahren warten sie auf eine bessere Behausung in der Gegend, erklärt Officer Clayton. Aber keine Chance bei den Grundstückspreisen. Die örtliche chinesische Wirtschaftsvereinigung hat der Stadt angeblich ein günstiges Grundstück angeboten, nachdem der neue Bürgermeister ins Amt kam; einer von denen.

Worauf Anderson verächtlich lacht. Dann könnten sie die Bosse der chinesischen Unterwelt gleich auf ihre Gehaltslisten setzen.

Durch den kurzen Vorraum betreten wir einen mittelgroßen, mäßig erleuchteten, fensterlosen Raum; darin fünf oder sechs Schreibtische, mit Computern und Telefonen sowie unordentlichen Papierstapeln bestückt. An den vorderen drei Tischen sitzen Kolleginnen, eine mit einer breiten Telefonkonsole vor ihrem großformatigen Computerbildschirm.

An den Wänden, neben und über mehreren grauen Metallschränken, kleben bunt durcheinander Bilder, Poster, Wappen und Fähnchen. Ständig klingelt oder klappert es irgendwo, der ganze Raum brummt leise – durch eine altertümliche Klimaanlage oder vielleicht vom Parkhaus her. Alles wirkt ein wenig unordentlich. Immer wieder gehen Türen auf und zu, lachende, diskutierende oder mobil telefonierende Uniformierte kommen und gehen. Wie kann ein normaler Mensch in diesem Taubenschlag einen klaren Gedanken fassen, geschweige denn konzentriert denken und arbeiten?

Anderson schäkert mit der Dame an der Telefonanlage.

Clayton winkt mich nach hinten zu einem freien Schreibtisch, zieht einen zweiten Stuhl heran, klickt mit der Computereingabe. Wir beginnen mit einem Protokoll und einer Personenbeschreibung.

„Und danke für das vorzügliche Mittagessen.“

Er schaut mich lange an, bis wir zu grinsen beginnen.

*

Das Protokoll ist schnell geschrieben, aussagefähig und umfassend. Für die Personenbeschreibung schließe ich ein paar Mal die Augen.

Haare, Ohren, Nase, Mandelaugen, Gesicht, gehässiger Zug um den Mund, kräftiger Nacken; zu allem halten wir Stichwörter fest.

„Na, das ist doch was.“

„Halt, Clayton. Warte mal! Er hat eine Tätowierung. Links seitlich, ziemlich weit oben am Hals. Als seine Nase geblutet hat, habe ich die Tätowierung ziemlich gut gesehen, als sein Kopf seitwärts war.“

„Klingt gut, nein, natürlich nicht, aber ist bestimmt hilfreich.“

„Wieso lässt sich ein halbwegs normaler Mann an solch einer empfindlichen Stelle tätowieren? Verstehst Du das? Ist das jetzt hier Mode?“

Clayton lacht trocken.

„Mode? Mann, Du Ahnungsloser. Das ist seine Lebensversicherung.“

„Lebensversicher...? Wie geht das denn?“

„Ganz einfach. In jedem Knast ist erste Bürgerpflicht, Teil einer Gang zu werden. Das ist deine Familie, der du dienst und die dich beschützt. Manchmal auf Leben und Tod. Meist zwischen verschiedenen Rassen. Mexicanos gegen Salvadorianer, Chinesen gegen Russen, und alle gegen die Schwarzen. Das Tattoo ist der Ausweis deiner Gang.“

Clayton spricht ähnlich gleichgültig wie vorhin über die Ausstattung der deutschen Gelände-Limousinen.

„Die Tätowierung bindet dich an die Gang. Je nachdem, wie brutal die ist, bleibst du von anderen verschont. Außer wenn die ganze Horde in den Krieg zieht.“

„Heißt das, der Kerl war vorher Strafgefangener?“

Der Beamte zuckt gelangweilt die Schultern.

„Sehr wahrscheinlich, aber nicht unbedingt.“

Es gibt idiotische Jugendliche, die sich diese Typen zum Vorbild nehmen, wenn sie eine eigene Straßengang gründen. Dann gehören Klappmesser, Wurfsterne und Tätowierungen dazu.

Mir wird unbehaglich.

„Der Kerl war kein Jugendlicher. Vielleicht doch schon vorbestraft?“

„Frag mich etwas Leichteres, Berkamp.“

Anderson kommt an unseren Schreibtisch und verkündet, dass wir erwartet werden ... im Auge des Tornados.

Clayton bedankt sich, steckt unsere Formular-Ausdrucke und den Plastikbeutel mit dem hellblauen Zettel in eine abgegriffene hellbraune Umhängetasche und wünscht dem Kollegen einen guten Feierabend.

Auf dem Weg zum Wagen frage ich:

„Was bedeutet das Auge des Tornados?“

„Ein Stockwerk höher, politisch gesprochen. Polizeihauptquartier in der ,Hall of Justice’.“

Im Auge des Tornados herrscht bekanntlich völlige Ruhe, erklärt er mit der Spur eines Augenzwinkerns. Während drum herum Tod und Verderben stattfinden. Spötter behaupten allerdings, im Hauptquartier ist es besonders ruhig, weil dort alle im Wachkoma liegen.

„Zumindest bis zum Feierabend.“

Beim Verlassen der Parklücke ergänzt er:

„Bestimmte Strafsachen werden automatisch ans Hauptquartier gemeldet; schwere Taten gegen Personen oder große Eigentumssachen. Die werden dort weiterverfolgt. Man will dich sehen.“

„Bin ich wichtig für die?“

„Och nöh. Reine Routine. Die nehmen nur sich selbst wichtig.“

Wir fahren ohne Sirene und kommen gut voran. Erst am Widerschein rotgelber Lichtblitze im Stockton-Tunnel bemerke ich, dass die Warnlichter auf dem Wagendach eingeschaltet sind.

*

Die „Hall of Justice“ an der Bryant-Straße. Weithin sichtbar, ein siebenstöckiger, hellgrauer Betonkasten. Er beherbergt alle wichtigen Dienste der Verbrechensbekämpfung und -verfolgung im Zuständigkeitsbereich der Stadt San Francisco.

Neben einem Polizeirevier links im Erdgeschoss füllen jede Menge Gerichtssäle für die unterschiedlichsten Arten von Straf- und Zivilverfahren sowie die Diensträume der Staatsanwaltschaft mit ihren Scharen von Anklägern die drei ersten Stockwerke. Im vierten und fünften Stockwerk arbeiten die zentralen Polizeidienste – vergleichbar dem Polizeipräsidium in Frankfurt. In einem Seitenflügel mit eigener Zufahrt widmen sich die Rechtsmedizin und darüber die Kriminaltechniker ihren Aufgaben.

Anders als im Zugang des Frankfurter Präsidiums herrscht in der hohen Eingangshalle ein dauerndes Kommen und Gehen aller möglichen Leute; Männer, Frauen, auch Kinder, Leute jeden Alters und jeder Hautfarbe. Die meisten tragen einfache Alltagsbekleidung, einige erkennbar ärmlich. Dazwischen fallen immer wieder Frauen und Männer in den für Rechtsanwälte typischen, grauen oder dunkelblauen Kostümen und Anzügen auf.

Clayton schickt mich zu drei Wachleuten, die mich durch einen der beiden Magnetfeld-Sicherheitsrahmen lotsen. Er selbst wird weiter rechts von einem Kollegen überprüft. Nahe den Fahrstühlen werfe ich einen Blick auf die Wegweiser-Tafel.

„Special Victims Unit im fünften Stock. Dahin gehen wir,“ erklärt mein Begleiter, während wir auf einen Fahrstuhl warten.

„Lass dich durch die Bezeichnung nicht täuschen. Ist anders als im Fernsehen. Dort ist das eine Sondereinheit für Sexualstraftaten. Die gab es in New York tatsächlich mal. Hier bei uns ist Special Victims eine Hauptabteilung, die besondere Fachgebiete vereint.“

„Also ein großer Bereich?“

„Vor allem chaotisch. In Frankfurt, wo deine Frau arbeitet, herrschen bestimmt vernünftigere Verhältnisse. Deutsche Beständigkeit.“

„Dazu kenne ich euer System zu wenig.“

„Tröste dich, wir durchschauen es auch nicht. Der oberste Bulle, der ,Chief of Police’, wird vom Bürgermeister der Stadt ernannt. Vor drei Jahren haben wir einen neuen Bürgermeister bekommen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen schmeißt jeder Neugewählte den Polizeichef und seine Stellvertreter raus, macht Platz für eigene Leute. Denen er natürlich auch nicht vertraut, aber die ihm verpflichtet sind. Und die Presse schimpft regelmäßig lautstark über Vetternwirtschaft und Verschwendung von Steuergeldern.“

Der Fahrstuhl trägt uns langsam aufwärts.

„Zuverlässig wie Fußschweiß bauen die neuen Führungsleute anschließend alle Abteilungen um. Damit wir merken, dass sie da sind. Das beißt uns zwar königlich in den Arsch; aber was willst du machen? Bringt die eingespielten Arbeitsbeziehungen durcheinander. Angeblich zerreißt es verdeckte Seilschaften. Dass ich nicht lache.“

Hinter der unscheinbaren „Special Victims Unit“-Glastür nahe den Fahrstühlen betreten wir einen kleinen Vorraum mit einer hohen blaugrauen Brüstung. Dahinter sitzen an gegenüberstehenden Schreibtischen zwei Damen um die dreißig in Jeans und Polohemden. Ihren Gesichtern nach zu urteilen empfinden sie unser Eintreten als eine Zumutung. Clayton verzieht den Mund, räuspert sich und verkündet:

„Sergeant Clayton von „Central North Beach“ für Detective Contreras.“

Die beiden Damen wechseln mitleidige Blicke.

„Da kommst Du reichlich spät, Kollege,“ erklärt die Blonde am rechten Schreibtisch. „Das war einmal. Da draußen ist dir das wohl entgangen. Die Aufgaben und Leute sind neu geordnet. Contreras sitzt jetzt unten in 403. Vielleicht probierst Du da mal dein Glück.“

„Kollege Anderson hat vorhin hier angerufen. Wer bearbeitet den Fall Nummer 131752142, Wong, Gewalt gegen Personen?“

„Ah ja? Keine Ahnung. Wir jedenfalls nicht.“

Claytons Finger beginnen zu zucken.

„Und wer macht es nun, falls Gnädigste die Güte hat?“

Antwort der Dame: Ein seitlicher Blick aus der Abteilung Wer bist du denn?; gefolgt von einer sprachliche Äußerung.

„Bei uns keiner.“

Ihre Kollegin bequemt sich zu einer Ergänzung.

„Sondereinheit Bandenkriminalität. Auch eins tiefer. Mit Kinderkram geben wir uns nicht ab.“

Clayton hat Mühe, sich zu beherrschen.

„Wer bitte ist bei der Bandenkriminalität für meine Sache zuständig?“

„Detektive Contreras, wer sonst?,“ tut die Erste bündig kund.

„Komm, Berkamp, ich muss raus hier.“

Die beiden kichern hinter uns her.

Vor der Tür lässt Clayton seinem Mund freien Lauf.

„Diese miesen, stinkfaulen Tussis. Behandeln uns Frontleute wie Dreck. Ich könnte ihnen in den Arsch treten. Aber wehe du sagt etwas. Schneller als du gucken kannst hängen die dir eine sexuelle Belästigung an. Möchte nicht wissen, für wen die ihre krummen Beine breit machen.“

*

Im vierten Stock, Eingang „Gang Related Crimes Task Force“, empfängt uns ein junger, kahlköpfiger Unformierter beinahe respektvoll.

„Ich bin neu auf dieser Stelle. Mal sehen, was ich für Sie tun kann.“

Er führt zwei kurze Telefongespräche, sieht uns entschuldigend an.

„Ist das wegen der Sache Wong oben am Broadway? Wegen der ein Kollege Anderson angerufen hat?“

„Genau. Schön, dass Sie auf Zack sind,“ lobt Clayton.

„Trotzdem, bedaure. Detective Contreras musste kurzfristig zum Chef. Sind Sie der Augenzeuge? Contreras bittet Sie, in der Zwischenzeit ein Phantombild des Angreifers zu erstellen. Trauen Sie sich das zu?“

Augenzeuge ist gut.

„Phantastisch. Ein Moment, dafür haben wir jemanden.“

Er greift erneut zum Telefon.

„Picasso? Hör mal, Du wirst gebraucht, ... nein, vergiss es, das hier ist wichtiger, ja, hier bei mir. ... okay, am besten gleich. Danke. Der Kollege kommt sofort.“

Clayton übergibt das Protokoll und das hellblaue Beweismittel.

„Gut, Berkamp, ich überlasse dich der fähigen Betreuung durch die Kollegen hier. Contreras ist ein guter Mann, scharfer Detektiv.“

„Danke vielmals, Sergeant Clayton.“

Wir schauen uns offen an. Was wir erlebt haben, verbindet.

„Es war gut, dich zu treffen. Ich schätze, unsere Begegnung werde ich noch lange Zeit in Erinnerung behalten. Alles Gute für dich. Grüße Anderson. Danke, nochmals.“

Er tappt mir kumpelhaft gegen den Oberarm.

„Wenn Du in der Nachbarschaft bist, schau bei uns rein. Du bist mir willkommen. Auch, falls Du Hilfe brauchst. Das meine ich wirklich. Falls in der Sache noch etwas hinterherkommen sollte. Selbst wenn wir unterwegs sind, auf dem Rücksitz unseres Kreuzers ist immer ein Plätzchen frei. Und grüß deine kriminelle Frau.“

Seltsam. Ich empfinde eine Spur Dankbarkeit.

Obwohl er seine Waffe auf mich gerichtet hat.

Oder weil es dabei geblieben ist. Weil er sehr umsichtig gehandelt hat.

In der Tür dreht er sich um, grinst breit.

„Und mach keine Dummheiten, Mann. Die Dame hat es in sich.“

Ich brauche zwei Sekunden, bis ich es begreife.

Damit meint er Frau Wong.

Die Chinesische Mauer

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