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„San Francisco ist 49 Quadratmeilen umgeben von Wirklichkeit.“

An der Rückseite der fingerartig in die Bucht hinausragenden Piergebäude Drei bis Sieben des Hafens von San Francisco verläuft eine breite Betonpromenade, zum Wasser hin begrenzt von einem schweren, dunkelgrünen Eisengitterzaun. Blumenkübel, das sanfte Plätschern des Wassers, Möwengeschrei – ein Spaziergang entlang dieser Promenade öffnet die Sinne auf vielfältige Weise. Im Abstand von zwanzig bis dreißig Metern findest du in Bauchhöhe an dem Zaungeländer zahlreiche längliche Messingtafeln. Auf jeder steht ein Spruch geschrieben, den irgendein kluger oder bekannter Mensch über San Francisco geäußert hat.

Einer davon ist der 49-Quadratmeilen-Satz. Er stammt von Paul Kantner, Gitarrist und Mitbegründer der 1965 in der Stadt entstandenen, LSD-inspirierten Rock-Gruppe „Jefferson Airplane“. Zu weltweiter Bekanntheit kam die Band während des „Sommers der Liebe“ 1967.

Damals pilgerten mehrere Zehntausend junge und jung gebliebene Amerikaner nach San Francisco, riefen die „Flower-Power“-Bewegung aus und verwandelten mehrere Stadtviertel in eine beinahe ganzjährige Freiluft-Partieszene; Sex, Drugs and Rock-and-Roll rund um die Uhr.

Kaum wegen des vorherrschenden Wetters; die meiste Zeit selbst von Mai bis September ist es trotz Sonnenscheins kühl bis saukalt. Wohl mehr als Folge seiner Geschichte bot sich San Francisco an für diese und andere Arten und Unarten kalifornischer Lebensäußerungen.

Ihr Vorläufer wurde erstmals im Jahre 1775 aktenkundig.

Damals erreichte der Seefahrer Juan de Anza im Zuge der spanischen Ausweitung ihrer mexikanischen Kolonie die Bucht hinter dem Golden Gate, hisste eine Flagge und richtete den Militärstützpunkt Presidio ein.

In der ihnen eigenen Art gründeten die mitgereisten Priester des Ordens des heiligen Francisco de Assisi gleich daneben eine Mission. Sie nannten den Ort „Yerba Buena“ (Wohltuende Kräuter) und entwickelten ihn zu einem kleinen Handelsplatz.

Dorthin zog es per Schiff bald Gruppen von Schotten, Holländern, Franzosen, Deutschen und später, von Alaska her, auch Russen und Chinesen – noch ehe über Land von Osten her die Trecks der amerikanischen Siedler in größerer Zahl hinzukamen.

Nach dem amerikanisch-mexikanischen Krieg 1846 wurde Mexiko gezwungen, Texas, New Mexico und Upper California für 15 Millionen Dollar an die USA zu verkaufen. Bei seiner offiziellen Gründung 1847 war San Francisco also bereits eine Vielvölkersiedlung. Seitdem behauptet sie nach New York ihren Platz als kulturell vielfältigste und geistig toleranteste Stadt der USA.

Für mich ist San Francisco inzwischen so etwas wie eine zweite Heimat.

*

Polizeipistolen – auf mich gerichtet!

„Freeze! Don’t move!“

Ein Befehl mit Folgen. Er verändert mein Verhältnis zu meiner Umgebung nachhaltig. Die vertraute Stadt beginnt, ein fremdartiger, furchterregender Ort zu werden. Unwiderruflich.

Oh, Shit! Der Polizist hält mich für den Kidnapper.

Wie sagt das Sprichwort: Keine gute Tat bleibt ungestraft! Wohl war.

Zur falschen Zeit am falschen Ort das Richtige getan.

Ohne einen Schimmer zu haben, in was du dadurch reingeraten bist.

Was mit der zufälligen guten Tat in Gang kommt, hinterlässt Spuren.

Ich war schon fast vierzigmal in den USA. Zu Besuch bei meiner Tochter in Santa Fe, New Mexico; am häufigsten in Kalifornien, zur Teilnahme an Workshops, oder einfach um Urlaub zu machen. Doch jetzt reichen wenig mehr als zehn Tage. In denen verändern sich mein Verhältnis zu Amerika und meine Ansichten über viele Dinge in dem Land gründlicher als bei allen früheren Reisen zusammen. Auch meine Einstellung zu mir und meinem Leben als geschiedener Mann im fortgeschrittenen Alter gerät heftig durcheinander. Immerhin, als kleine Hilfe erweist sich, dass ich über Erfahrung im Umgang mit Schusswaffen verfüge.

Und dass mich ein Schutzengel begleitet. Zum Glück versteht sie den Satz von der sträflich guten Tat besser als ich. Oder hält ihn für Unsinn. Jedenfalls muss sie eine ordentliche Menge an Überstunden geleistet haben, um mich vor den Folgen meiner guten Tat zu bewahren. Denn nach normalem menschliche Ermessen müsste ich ... Danke, meine Liebe. Mein Schutzengel heißt Cassandra.

*

Oberstes Gebot, wenn in diesem Land Polizisten ihre Waffe auf dich richten: Unverzüglich innehalten, möglichst reglos dastehen.

Mach das mal mit einem zappelig heulenden, kleinen Mädchen in den Armen.

Die Beamten haben jede Menge Angst. Wer hier die Nachrichten verfolgt, weiß das. Angst, dass die Person, der sie gegenübertreten, im Hosenbund oder in der Jackentaschen eine geladene Pistole trägt.

Nicht unbegründet in einem Land, in dem die Menge der privaten Schusswaffen die Einwohnerzahl übertrifft. Eine falsche Bewegung, und tödliche Kugeln fliegen. Notwendige Eigensicherung nennt die Polizei das hinterher.

Für mich wäre es das Ende, kaum dass ich hier angekommen bin.

Die Chinesische Mauer

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