Читать книгу Die Chinesische Mauer - Günter Billy Hollenbach - Страница 17
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ОглавлениеWährend meines letzten Besuchs in der Stadt vor etwa vier Monaten haben die lokalen Fernsehnachrichten ausführlich über Korruptionsvorwürfe, zweifelhafte Personalbesetzungen und undurchsichtige Auftragsvergaben berichtet. Was bei großen öffentlichen Bauvorhaben besonders gern vorkommt. An Namen erinnere ich mich zwar nicht mehr. Doch es ging um die Fertigstellung und zukünftige Verwaltung des neuen City-College-Hochhauses am Rande von China-Town. Ich gebe zu, die Sonnenstrahlen am Pier Sieben haben mich damals mehr berührt als derartige Meldungen aus dem Sumpf der Lokalpolitik.
„Trotzdem steht der Herr immer da als nobler Ehrenmann,“ höre ich Contreras. „Aber es stinkt mächtig. Seit der neue Bürgermeister gewählt wurde – rate mal, wer die Wahlempfehlung unters Volk gebracht hat – seither könnten die Konkurrenten entgültig in Panik geraten sein. Und dürfen Essensmarken beantragen. Da kann einer schon auf den Gedanken kommen: Schlag die Tochter; ihr alter Herr weiß, warum. ... Und die Dame selbst wahrscheinlich auch.“
„Oh, Mann, Michael, Du hast meine ungeteilte Aufmerksamkeit.“
„Na, das gefällt mir immer besser. Mach weiter, und ich stelle dich bei mir ein, sofern Du dein Gehalt mitbringst. Scheiße, ... ich habe eine bessere Idee: Bitte Frau Wong, dass ihr Vater dein Gehalt übernimmt.“
Er lacht weithin hörbar los.
*
Als er sich beruhigt hat, erklärt Contreras:
„Einen kleinen Gelegenheitstäter schließe ich aus. Einer, der in einem Loch in China-Town haust, den Namen Wong hört und die Hand nach schnellem Geld ausstreckt. Wer sich auf so etwas einlässt, muss geistig ein arges Nachtschattengewächs sein. Wenn Vater Wong seine Leute losschickt, finden die ihn und machen schneller Chopsuey aus ihm, als er seine vollgeschissene Hose runterziehen kann.“
Unser Gespräch nimmt einen zunehmend unschönen Verlauf. In mir steigt das Bedürfnis, zu Ende zu kommen.
„Was heißt das für mich, Detect ..., Michael?“
Hoffnungsloser Fall, denkt er wahrscheinlich, so wie er mich ansieht und langsam den Kopf schüttelt.
„Das kommt drauf an.“
„Worauf?“
„Wann reist Du hier ab? Wieder zur Familie in New Mexico?“
„Nein. Kommende Woche bin ich in einem Workshop. Der Heimflug nach Deutschland ist für Mittwoch danach gebucht.“
„Gut. Meide die Öffentlichkeit. In der Zwischenzeit haben wir hoffentlich das Wesentliche geklärt. Für heute reicht es. Lass uns unsere Arbeit machen. Wenn es gut läuft, ist die Sache bald erledigt. Oder willst Du dich nützlich machen im Dienst von Recht und Gesetz?“
Nach diesem Gespräch, gemäß seinen Vorgaben?
„Besten Dank, ich denke, dafür seid ihr da.“
„Mal sehen. Das sichergestellte Auto wird gründlich untersucht. Und falls der Himmel uns gnädig ist, findet die Technik über das Blut die passende DNA oder durch die Zahlen auf dem Papier genug Anhaltspunkte, um den Kerl zu ergreifen. Der Hinweis auf die Wong-Adresse könnte dafür sprechen, dass der Bursche von außerhalb kommt. Dann wird es mühsamer.“
„Okay. Für heute ... war es das?“
Er zögert, reibt sich das Kinn, winkt ab und sagt:
„Du bist dir deiner Lage nicht bewusst, Biercamp.“
„Was ist denn meine Lage?“
„Sehr einfach; Du bist wertvoll für uns. Spätestens morgen stellen wir eine Liste in Frage kommender Täter zusammen. Die schaust Du dir an. Du bis unser wichtigster Zeuge. Also, pass auf dich auf, bleib gesund und melde dich, falls dir noch etwas Wichtiges einfällt.“
Contreras öffnet ein Schubfach seines Schreibtischs.
„Ich gebe dir meine Karte, auch mit der Mobilnummer. Falls nötig, ruf mich an, jederzeit.“
„Okay, mache ich. Danke für die offenen Worte und den Kaffee.“
„War mir ein Vergnügen.“
Dann kommt ein echter Hammer.
Seine Vorstellung von Vergnügen?
*
Contreras bleibt sitzen, mustert mich erneut unverhohlen. Er möchte noch etwas loswerden. Eine kurze Frage, fast beiläufig gestellt.
Ein Schlag in die Magengrube dürfte sich ähnlich anfühlen.
Ihre volle Niedertracht entfaltet sie erst, als ich später allein darüber nachdenke. Als hätte ich es im Gespür gehabt; der Mann wollte mehr von mir. Dass Contreras unvermittelt in einem wenig schmeichelhaften Licht erscheint – Nebensache. Unschön genug. Ich fasse es nicht! Ist ihm der Einfall spontan gekommen oder hat er insgeheim darauf hingearbeitet? Seine Frage versetzt mich in Wut, trifft mich ähnlich heftig wie Claytons auf mich gerichtete Dienstwaffe.
Als die Wut abklingt, weiß ich es.
Die Frage verändert meine Einstellung zu Nancy Wong. Nachhaltig.
Zugegeben, ich war von ihrer Erscheinung fasziniert. Doch über den Anlass unserer Begegnung hinaus hat die Frau für mich keine Bedeutung. Was Michael über ihren familiären Hintergrund berichtet, liefert triftige Gründe, Abstand zu ihr zu wahren.
Schlagartig sind diese Bedenken verflogen.
Ohne eine bewusste Entscheidung.
Seit der Pubertät habe ich einen Zug ins Ritterliche. Rüpelhafte Pöbeleien und herrschsüchtiges Benehmen gegenüber Schwächeren wecken zuverlässig Widerwillen in mir und den Wunsch dagegenzuhalten. Obwohl mich das mehrfach selbst in Mitleidenschaft gebracht hat.
Rückblickend glaube ich: Contreras’ Frage weckt in mir ein Stück dieser eigenwilligen Kraft. Und gibt dem Gang der Dinge eine ungeahnte Wendung.
Auch wenn ich es nicht beweisen kann, bin ich davon überzeugt: Dank der verdrehten Nachwirkung seiner Frage habe ich die weiteren Ereignisse mit halbwegs heiler Haut überstanden. Meine Intuition bestärkt mich immer wieder in der Annahme.
„Was meinst Du, Biercamp, dein Rendezvous heute Abend? Wir könnten dich verwanzen, einverstanden?“
Ich sinke in den Stuhl zurück, bin wohl erkennbar blass geworden.
Nach ein paar verwunderten Wimpernschlägen meint er gönnerhaft:
„Was ist dabei, Mann? Sieh es einfach so: Du tust etwas Gutes. Vielleicht bringt es unsere Ermittlungen entscheidend voran. Außerdem; wer weiß, kann sein, dass es unmittelbar deiner Sicherheit dient. Wir verstauen das Ding in deiner Unterhose, das Mikro hinter dem Hemdenknopf. Sieht garantiert keiner und liefert Hinweise, die uns bestimmt mehr sagen als dir.“
Wie die Erlösung vom Zwang, über die völlig unerwartete Frage weiter nachzudenken, fällt mir ein:
„Michael Contreras, ich glaube, Du schaust zu viele billige Fernseh-Krimis.“
Er lacht trocken in sich hinein.
„Tja Mann, was willst Du machen? Irgendetwas muss ich doch für meine Fortbildung tun.“
Seine dunklen Augen durchbohren mir geradezu.
„Also, machst Du mit? Bestimmt die richtige Entscheidung. Deine Frau in Frankfurt wird stolz auf dich sein.“
„Ausgeschlossen.“
„Mann, diese einmalige Gelegenheit! Ganz ohne Risiko für dich.“
Ich stehe auf, muss raus hier, endgültig.
„Nein! Ende des Diskussion.“
„Mist, ich hätte zu gern gehört, wie die Dame mit dir flirtet. Und Du dich vor ihr blamierst. Na schön, dann eben nicht. Also: Hab recht viel Vergnügen heute Nacht. Kann sein, dass dir bald danach das Lachen vergeht. Lass den Kaffeepott einfach stehen. Wir bleiben in Kontakt. Bis dann und pass auf dich auf.“
„Ich gebe mir Mühe; Du auch. Wir sehen uns.“