Читать книгу Die Chinesische Mauer - Günter Billy Hollenbach - Страница 14

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„Wenn Sie der angekündigte Herr Biercamp sind – ich bin Paul Thompson-Wang. Die Kollegen nennen mich ,Picasso’, wegen der beeindruckenden Gesichter, die meiner Arbeit entspringen.“

Ein groß gewachsener junger Mann in dunkelblauen T-Shirt mit kleinem Polizeiwappen links auf der Brust. Er schüttelt mir kräftig die Hand; ein schlaksiger, gutaussehendes Bursche um die dreißig, längliches Gesicht mit chinesischen Zügen, schwarzer Kurzhaarfrisur und wohlklingender Baritonstimme.

„Kommen Sie, gehen wir nach hinten in meinen Trog.“

Wir wandern durch einen Gang im Inneren eines weiten Büroraums, durchweht von einer gedämpften Mischung aus Geräuschen verhalten sprechender Menschen, Telefonklingeln und Schreibtischtätigkeiten. Hellgraublaue, mit schalldämmendem Stoff bespannte, Schulter hohe Stellwände an drei Seiten trennen die Arbeitsplätze voneinander. Jeder Arbeitswürfel bietet nur wenig mehr Raum als für einen Schreibtisch, einen Papierkorb, ein schmales Metallregal sowie Bewegungsfreiheit für den Besitzer eines an den Kanten abgewetzten Bürostuhls. Die meisten Schreibtische mit Telefon, Computerbildschirm und Eingabetastatur als Grundausstattung bersten von Papierstapeln, Aktenmappen, Notizblöcken und Kaffeebechern, die sich jedem Ordnungsversuch widersetzen. Davon unbeeindruckt werkeln in der Mehrzahl Männer in den Arbeitswaben; lesen, klappern mit Computertasten, telefonieren – die Füße auf dem Schreibtisch. Nur wenige drehen die Köpfe nach uns.

„Picassos“ Bucht liegt ein Stück hinter dem letzten Außenfenster und ist ein wenig dunkler als die Arbeitsplätze davor. Auf seinem ausladenden Schreibtisch stehen zwei ungewöhnlich große Computerbildschirme in einem flachen Winkel zueinander. Unter dem Tisch blinken und summen mindestens drei schwarze Turmcomputer sowie zwei wuchtige Drucker, an der Rückseite durch ein beeindruckendes Kabelwirrwarr miteinander verbunden.

„Gleich geht ’s los.“

Der Meister zieht mir einen Bürostuhl mit abgewetztem grauen Stoffbezug neben seinen Arbeitssessel und bringt sich in Form, verhakt die Finger ineinander und streckt die Arme kurz aus. Mit einem Tastendruck verschwindet das SF-Polizei-Logo auf dem linken Bildschirm. Nach zwei weiteren Klicks startet das entsprechende Programm mit einem blassblauen Bildfeld und einem dunkleren Rahmen.

„Die Maschine ist sehr schnell, ich übrigens auch. Stören Sie sich nicht daran. Wir komponieren jetzt das Phantombild. Rufen Sie sich schon mal das Gesicht des Mannes in Erinnerung. Zwingen Sie sich nicht. Entspannt und ruhig geht es leichter.“

Ich brauche nur die Augen zu schließen, schon erscheint das wütende Gesicht des Angreifers.

Aus einer dunkelgrauen Seitenleiste rechts zieht „Picasso“ in Frage kommende Gesichtsteile in den blassblauen Rahmen: von der Kopfform bis zu den Lippen. Für jede Einzelheit stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Schritt für Schritt – vorschlagen, auswählen, einfügen – erschafft der Computer ein Gesichtsbild. Farblich feingestaltet wirkt es weitgehend treffend, auch wenn der künstliche Bildeindruck bleibt.

Die angenehme Arbeit mit „Picasso“, ruhig, auf die Aufgabe gerichtet, lässt die Zeit wie im Fluge vergehen.

„Pause,“ verkündet er, verschwindet durch den Gang und kommt mit zwei Styropor-Bechern zurück. Der lauwarme Kaffee schmeckt wie Malzbier.

Als nächstes gibt Paul Angaben zur körperlichen Erscheinung des Angreifers in ein hellblaues Personen-Formblatt ein.

„Größe, geschätzt knapp einmetersiebzig.“

„Oh, Shit, wie viel ist das? In Fuß?“

„Stimmt, ihr messt anders. Muss man mit 3,1 multiplizieren, oder?“

Paul sieht mich unsicher an.

„Bäh! Die ganze Welt arbeitet mit dem vernünftigen metrischen System, auch bei Temperaturen. Nur die arroganten Amerikaner verwenden diese hirnrissigen Maßeinheiten.“

Sein kurzes Augenrollen verrät die gespielte Entrüstung.

„Egal, das ergibt eine Größe von 5.6 Fuß. Ja, kommt hin.“

Paul klappert die Angaben in das Formular.

„Also, schlanke, sportliche Figur, okay? Augenfarbe?“

„Schwarz, sehr schwarz!“

Beinahe sage ich „stechender Blick“, doch der war wohl eher Ausdruck der Anspannung und Wut des Angreifers. Paul fragt geduldig weiter.

„Irgendetwas anderes? Auffällig, einmalig? Verkrüppelte Hände, Tätowierungen am Arm, sexy Brüste?“

„Vielleicht hatte er schlechte Verdauung? Aber eine Tätowierung, ja.“

„Schön. Lass uns die Tätowierung zeichnen.“

Damit schiebt er die Computertastatur beiseite. Die Verkabelung erlaubt ihm, alle Maschinen mit einer Maus und Tastatur zu bedienen; Umschaltung durch Tastendruck auf die 2 im Zahlenfeld. Ein anderer Computer beginnt zu sirren, der rechte der beiden Bildschirme leuchtet auf. Eine weiß schimmernde Fläche mit schmalen Randleisten erscheint, die Maßstäbe anzeigen.

Paul zieht einen Notepad-Computer aus dem Schubfach links im Tischregal, streicht mit einem dünnen grauen Stift über das Notepad.

Eine schwarze Linie erscheint auf dem großen weißen Bildschirm.

Paul löscht den Strich wieder; setzt um, was ich vorschlage.

Das Tattoo entseht überraschend schnell.

„Okay. Oben ein umgedrehter Buchstabe V, wie ein Dach, gebe ich vor.“ Paul zeichnet gekonnt mit.

Darunter das gleiche Zeichen noch einmal, nur kleiner. Seitlich links und rechts ein senkrechter Strich, wie Balken, die das Dach stützen. Wie die Kinderzeichnung eines mehrstöckigen Hauses.

„Und hier oben,“ hakt „Picasso“ ein, „war ein kleines Viereck“ und zeichnet es ein.

„Stimmt genau, woher weißt Du das?“

„Weil ich das Zeichen erkenne. Ganz klar, chinesisch.“

Er streckt sich, lehnt sich zurück, betrachtet die Figur vor uns.

„Interessant, sehr interessant. Die ungefähr zehntausend chinesischen Zeichen – wir sprechen von der Hauptsprache Mandarin, okay? – werden nicht überall und auch nicht immer gleich verwendet. Bei Tätowierungen sowieso nicht. Da tut jeder seine künstlerischen Ideen dazu.“

„Also, was sagt dir das Zeichen?“

„Fast sicher: Das obere Dach bedeutet „Leute“, das Häuschen darunter wird schwieriger. Das Zeichen hat eine ungenaue Bedeutung. Im Kern heißt es ,Möglichkeit’, ,Das, was geschehen kann’. Ich schätze, es heißt: ,Die Leute, die etwas geschehen lassen’. Typische Gangster-Signatur. Wirklich interessant, Mann.“

„Schön, wenn das weiterhilft, Herr Thomps...“

„Sag ruhig ,Picasso’ zu mir.“

„Danke, nenn mich weiter Berkamp. Das sagt meine Frau auch.“

„Gut. Haben wir es?“

„Noch nicht ganz.“

Wir fügen zwei gekreuzte Schwerter unter das Zeichen. Mehr habe ich nicht sehen können, weil da das T-Shirt des Mannes war.

„Ein Allerweltssymbol,“ erklärt Paul, „Meist steht es für unverbrüchlichen Zusammenhalt, Gemeinsamkeit als Waffenbrüder. Aber auch Tod.“

*

„So liebe ich das: Unsere Steuergelder aufopferungsvoll bei der Arbeit.

Hallo, ich bin Detective Contreras, Tag zusammen,“ schreckt mich eine männliche Stimme hinter uns auf.

„Manche Leute verwenden den Titel Inspector, beide gleich schlecht bezahlt. Ich mag Detective; täuscht eine höhere Wachsamkeit vor.“

„Picasso“ starrt unbeirrt auf den Bildschirm, drückt einige Tasten. Der rechte Drucker schiebt surrend das Phantombild und die Tätowierung in das Ablagefach.

Inspector ist eigentlich der Dienstrang und Detective die Funktion“, erklärt „Picasso“ beiläufig, schaut weiter auf den Bildschirm.

„Klugscheißer,“ stellt Contreras fest und greift nach den Papieren.

„Lass mal sehen, was ihr da habt.“

Ich erhebe mich, um den Mann zu begrüßen. Er überragt mich um einen halben Kopf. Seiner kräftigen Gestalt nach zu urteilen betreibt er Bodybuilding. Ich schätze ihn Mitte vierzig; schwarze Kurzhaarfrisur, hellbraunes Gesicht, kantiges Kinn. Er trägt ein hellblaues Jeanshemd und eine dunkelgraue Jeanshose.

Er schaut flüchtig auf die beiden Blätter und besinnt sich.

„Oh, Mann, entschuldigen Sie, wie war Ihr Name? Die Sache oben am Broadway. Richtig?“

Er würdigt mich kaum eines Blickes.

„Das ist nicht mehr als ein Anfang, Kumpel,“ belehrt er „Picasso“.

„Schon abgeglichen?“

„Ja, wann denn?,“ erwidert der patzig. „Das ist gerade fertig geworden.“

Der Detective lässt nicht erkennen, ob er Paul zuhört.

„Ist das Tattoo einschlägig? Wem ordnen wir es zu?“

Der Herr Detektiv will mir klarmachen, wer hier das Sagen hat, denke ich. Paul „Picasso“ jedenfalls zeigt ihm weiter die kühle Schulter.

„Meister. Das kommt frisch aus der Druckerpresse. Wie wäre es, wenn wir ein paar Höflichkeiten austauschen?!“

„Auch gut, dann kommt mit, ihr beiden.“

Die Chinesische Mauer

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