Читать книгу Die Chinesische Mauer - Günter Billy Hollenbach - Страница 15
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ОглавлениеDer Schreibtisch in Contreras’ Arbeitswürfel kurz hinter dem Eingangsbereich ist, bis auf Computer, Telefon, Schreibblock und Kalender, unerwartet aufgeräumt. Die linke Seitenwand bedeckt ein Stadtplan von San Francisco. Anders als nebenan hängen an den übrigen Stoffwänden weder Bilder noch Fähnchen oder Plaketten. Nur gegenüber dem Zugang klebt ein in Blau auf weißes Blech geprägter Spruch: „Wenn du hier eintrittst, hast du besser etwas zu sagen.“
„Noch mal, formgerecht,“ sagt Contreras und reicht mir die Hand.
„Ich bin Detective Michael Contreras und heiße dich willkommen, egal was Du verbrochen hast.“
„Ich bin Robert Berkamp und stehe noch am Beginn meiner Karriere. Nett, Sie zu treffen, Mr. Contreras.“
„Okay, ihr zwei, reißt den Nachbarn die Stühle unter ihren faulen Ärschen weg und setzt euch.“
Die Stühle nebenan sind frei. Detektive Contreras atmet kräftig durch, lehnt sich – die Hände hinter dem Kopf verschränkt – weit in seinem Stuhl zurück, schaut zwischen uns hin- und her. Bis er sicher ist, uns mit seinem kräftigen Oberkörper beeindruckt zu haben.
„Entschuldigt,“ sagt er unerwartet umgänglich. „Ich muss Dampf ablassen. Nach der Besprechung eben. Scheiße. Die höheren Mächte beraten noch, wie viele Leute sie vor die Tür setzen müssen, um das Geld für ihre eigenen Gehaltserhöhungen zu beschaffen.“
„Picasso“ und ich schauen uns stumm an.
Contreras erwartet nichts anderes und erklärt in meine Richtung:
„Du findest das umpassend? Glaub mir, Mann, wenn Du hier mit klarem Kopf rumläufst, kannst Du nur rasen vor Wut.“
Wieder erwartet er keine Antwort sondern kommt weiter in Fahrt.
„Seit Jahren verschleudern unsere Politiker Milliarden für ihren Krieg gegen Taliban und Terror. Und woher nehmen sie das Geld? Haushaltskürzungen und Umschichtungen. Schulen, Straßen, Gesundheitsdienste im Land verrotten. Militär und Heimatschutz kriegen alles in den Arsch geblasen, aber hier bei uns fehlt es am Nötigsten.“
„Komm, Mike, ...“
„Vorsicht, Paul, mein Lieber!“
„Okay, okay, Michael Baby! Lass gut sein,“ beharrt „Picasso“. „Unseren Gast kratzt das wenig. Sag lieber, wie es weitergeht.“
„Na schön. Wir bleiben bei Alarmstufe Gelb, Paul, normale Betriebstemperatur,“ gibt Contreras zurück. „Du kümmerst dich um das Tattoo. Frag Cheng bei Sex-Crimes. Aber sag ihm noch nicht, worum es geht. Wir halten das Tattoo eine Weile unter der Decke, kapiert?“
„Mir fällt gerade ein,“ werfe ich ein, „wahrscheinlich habe ich dem Chinesen die Nase gebrochen. Muss das in das Phantombild?“
Contreras’ Augen leuchten auf.
„Hey, guter Hinweis. Ne, lass das Bild ohne deinen kosmetischen Eingriff. Wer den Kerl kennt, hat ja nur sein altes Gesicht vor sich. Pass auf, Paul. Gebrochene Nase? Wenn der Kerl auf seine Schönheit bedacht ist, muss er in ärztliche Behandlung. Nur mit Essstäbchen lässt sich da nichts machen. Das kann nicht jeder Doktor. Schnapp dir ein oder zwei Leute, fragt ein bisschen rum draußen. Dr. Ling im Ärztehaus an der Clay-Straße soll sich bei seinen Kollegen umhören. Mit seiner Neigung zu freigiebigen Verschreibungen ist der uns etwas schuldig. Mach ruhig Druck; okay?“
„Okay, wir sehen uns, Biercamp,“ meint „Picasso“ und verschwindet.
*
„Was bedeutet Alarmstufe Gelb, Detective Contreras?“
„Michael ist okay. Wenn Du Mike sagt, verhafte ich dich wegen Majestätsbeleidigung. Ich bin kein Mike (englische Kurzform für Mikrophon), schon gar nicht für die Bürokratenärsche im Rathaus, die der Öffentlichkeit vormachen, wie sehr sie um ihre Sicherheit besorgt sind. Willst Du einen Kaffee?“
„Danke, jetzt nicht, Paul hat mich bestens versorgt.“
Der Detektiv verschwindet, kommt mit einem Edelstahlbecher zurück und spricht sogleich weiter.
„Die Alarmstufen benutzen wir inoffiziell. Haben wir von den Terror-Warnstufen des Heimatschutzes geklaut. Bei Stufe Orange überlegen wir, wen wir in einen Fall einbeziehen.“
„Außerhalb, etwa Presse und Fernsehen?“
„Kacke, nein, Mann. Hier im Haus natürlich.“
Contreras lacht verächtlich, predigt in Richtung Zimmerdecke.
„Lieber deutscher Freund. Dieser Laden ist löcherig wie ein Schweizer Käse. Zu wissen, wem Du vertrauen kannst, ist überlebenswichtig. Ich komme aus El Paso, Texas. Dreihundert Jahre mexikanische Vorfahren, immer zwischen allen politischen Fronten. Das schärft den Blick für das Wesentliche. Für Leute, die Recht und Gesetz bloß als Mittel zum Zweck betrachten.“
„Entschuldige, Michael. Hat das mit meiner Anwesenheit hier zu tun?“
Er mustert mich belustigt und zugleich nachsichtig.
„Mann, halt die Pferde im Stall! Was soll ich mit dir anfangen, wenn Du die einfachsten Grundlagen meiner Arbeit nicht verstehst?“
Ich empfinde die Zurechtweisung fehl am Platz, spüre Verärgerung in mir aufsteigen. Ich will über den Vorfall oben am Broadway sprechen. Statt dessen kriege ich Vorträge über bürokratische Doppelzüngigkeit und Misstrauen unter Kollegen zu hören.
Corinna hätte ihre helle Freude an solch einem Kollegen. Stellungskrieg im eigenen Haus ist fester Bestandteil ihrer Arbeit in Frankfurt.
Vorsicht; der Mann redet mit mir, als sei ich mehr als ein Zeuge.
Als ob er mehr von mir erwartet als eine Aussage über den Vorfall. Na schön, hier ist er der Boss. Immerhin, seine ätzenden Bemerkungen zeugen von Leidenschaft für die Arbeit. Zugleich beschleicht mich das Gefühl, er versucht, mein Wesen, meine Zuverlässigkeit zu ergründen. Oder er will mich in seinem Sinn beeinflussen.
„Na schön, Michael, sprechen wir über deine Arbeit. Du führst Du die Ermittlung in der Sache Wong, richtig?“
Contreras lacht trocken, sieht mich lange wie von oben herab an, obwohl er sich in seinem Bürostuhl zurücklehnt.
„Tja, gute Frage. Vorerst tue ich so, als ob.“
„Bist Du nun zuständig oder nicht?“
Ruckartig beugt er sich vor, stützt seine kräftigen Arme auf die Knie, schaut mich eindringlich an.
„Mein Freund Robert! Dieser hässliche Riesenbau heißt ,Halle der Gerechtigkeit’. Ein sehr hoher Anspruch, glaub mir.“
„Sag einfach, worauf Du hinauswillst,“ bitte ich. Ist es ein Vergehen, dass mir der Polizeibetrieb hier, dessen Arbeitsweise sowie die Fallstricke darin unbekannt sind?
„War das ein harmloser Kidnapping-Versuch? Wo bist Du hier? Ich sage es dir: Abteilung ,Bandenkriminalität’, das ist mein Job.“
Er legt, auf Wirkung bedacht, mehrere Sekunden Pause ein.
„Kleine Hilfestellung. Früher hieß das hier ,Organisierte Kriminalität’.“
Ich schaue ihn immer noch verständnislos an.
„Wir dachten, wir sind zuständig für die Fälle, die uns auf den Tisch flattern. Gute Leute, anerkannte Ermittlungsergebnisse. Bis man höheren Ortes meinte, mit unserer Arbeit stimmt etwas nicht. Zu oft gingen uns die falschen Täter ins Netz. Morgens fangen wir munter Gangster. Und mittags stehen das FBI, die Drogenhüter der DEA, sogar die CIA, hier auf der Matte und sagen in ihrer unnachahmlichen Art: Will you please thank you very much go fuck yourself.”
Immer häufiger, belehrt Michael mich, waren deren Leute auf unschöne Weise in seine Fälle verwickelt, oft Arm in Arm mit Mafia-Typen oder zwielichtigen privaten Sicherheitsbetrieben. Die höheren Mächte waren nicht amüsiert – über die kleinen Wadenbeißer der SF Police.
„Jetzt übertreibst Du, oder?“
Wenn sie das hörte, ständen Corinna alle Haare zu Bergen. Der Mann redet, als gäbe es das Wort Dienstgeheimnis nicht. Er ballt die Linke zur Faust und ruckt sie in meine Richtung.
„Die Sicherheitsgötter waren mächtig angepisst. Sie riefen uns zur Ordnung, wechselten die Türschilder aus und kürzten unser Budget.“
Contreras richtet sich auf, holt Luft, beugt sich sogleich wieder vor.
„Ich bin keineswegs zynisch! Wir reden unter uns. Ich gebe dir eine Einführung in das tägliche Scheißspiel, das hinter dem Vorhang läuft.“
Er nimmt beiläufig den letzten Schluck aus seiner Metalltasse.
„Lawrence Clayton hat mir erzählt, deine Frau ist Hauptkommissarin bei der Kriminalpolizei in Deutschland. Bearbeitet sie auch Organisierte Kriminalität?“
Schau an, er hat bereits mit Officer Clayton telefoniert.
„Sie macht klassische Mord- und Totschlagsachen.“
„Sehr gut, das härtet ab. Habe ich früher auch gemacht. Bis ich eine ermordete Prostituierte am Hals hatte, deren Leiche nachts im Auto des Haushaltsdirektors der Stadt gefunden wurde. Fall gelöst, Herr Direktor gefeuert, für mich ein Verweis von oben, kurz darauf Karriereknick.“
„Michael, bitte, lass uns über die Florence-Sache sprechen.“
„Geduld, mein Lieber. Früher waren bei OK, sprich Organisierter Kriminalität, rohe Gewalt, Schießerei und Erpressung die üblichen Mittel. Das tun heute nur noch Dummköpfe und drogenverpestete Jugendbanden, obwohl die genug Unheil stiften. Die bilden jetzt unser Kerngeschäft.“
„Aha. Also die Tätowierung belegt einen Bandenhintergrund?“
„Langsam, mein Freund. Wenn es nur das wäre! Ich fürchte, die Sache ist sehr viel unschöner.“
„Wie das? Warum unschöner?“
„Banden und Organisierte Kriminalität lassen sich immer schwerer voneinander trennen. Daher arbeiten wird mit den Wirtschafts- und Computer-Ermittlern zusammen, oben in der „Special Victims Unit“. Wir kämpfen gegen eine neue Sorte Gangster, intelligent und international. Die verursachen immer größere Schäden.“
Gut ausgebildete Leute aus Russland, Indien, Israel, Nigeria oder China und wo sonst noch. Die bevorzugen Computer, Wanzen, versteckte Videokameras, Scheckbuch und, natürlich, Anwälte. Hin und wieder eine heimliche Hinrichtung. Die Leute lassen sich kaum einem bestimmten Land zuordnen. Oder der einheimischen Strafverfolgung.
„Jetzt frage ich dich: Wie sollen wir gegen die anpissen, wenn wir kein Geld haben, um vergleichbar clevere Köpfe zu bezahlen?“
Er stellt seinen leeren Kaffeebecher hart auf den Schreibtisch.
Berkamp, du stehst mächtig auf der Leitung, durchfährt es mich.
Der Angreifer, die Tätowierung, Bandenkriminalität. Oh Shit!
Mein Unbehagen bekommt einen zusätzlichen Dreh.
Vordergründig redet der Detective wie ein kriminologischer Lehrmeister. Doch er führt mich schrittweise zu ungeahnten Hintergründen.
Die betreffen den Vorfall an der Florence-Treppe.
Und damit auch mich. Oh, oh!
Also, hör gefälligst zu, Mann.
„Über die neue Organisierte Kriminalität wird leicht vergessen, dass die traditionelle OK weiterbesteht. Die erregt kaum noch Aufsehen. Hör gut zu! Ob neu oder alt, das gewerbsmäßige Verbrechen lässt es sich einiges kosten, um staatliche Dienste abzulenken, zu schwächen und zu durchsetzen. Allen voran Grenzschutz, Zoll und Polizei.“
Das gehört, erklärt er, untrennbar zum Wesen der OK. Alle, die damit zu tun haben, wissen es. Früher mit Hilfe von Bestechung, Erpressung oder roher Gewalt. Heute arbeitet man unauffälliger. Gelegentliche menschliche Verfehlungen werden zum Haken für kleine Gefälligkeiten, gegenseitig vorteilhafte Beziehungen – Ansatzpunkt gibt es zahlreiche.
„Wer möchte nicht gern ein kleines Stück abhaben von großen Kuchen. Fast keiner redet darüber, schon gar nicht die Politiker. Oft genug mit gutem Grund.“
Contreras hebt die rechte Hand und macht mit drei Fingern die typische Bewegung beim Geldzählen. Und schlägt sich patschend aufs Knie.
„Womit wir endlich bei deinem unterhaltsamen Vormittag angelangt sind. Hat Officer Clayton irgend etwas in der Richtung erwähnt?“
„Nicht ein Wort. Clayton hat den beiden Kinder über den Schrecken hinweggeholfen, den Tatort untersucht und mit der Mutter gesprochen. Das war alles.“
„Der Mann weiß, was er tut. Er meint, ihr zwei habt am Ende einen ganz anständigen Umgang gehabt. Hat wohl auch mit deiner Frau zu tun. Deren Denkweise färbt auf dich ab.“
Contreras steht auf.
„Ich hole mir noch einen Kaffee.“
Bevor er den Arbeitsplatz verlässt, dreht er sich zu mir.
„Wir reden offen miteinander. Täusch dich nicht: Mit Vertrauen hat das nichts zu tun. Ich sage, was ich sage, weil ich annehme, dass dir diese Dinge nicht fremd sind. Und um dir in dieser Sache die kriminalistische Unschuld zu rauben. Also überleg dir zweimal, ob Du mich zu belügst. Nur darauf vertraue ich. Und überlegt dir sorgfältig, wem Du da draußen was erzählst.“
Mir reicht seine anmaßende Art. Officer Clayton hat meine Aussage protokolliert; die braucht der Detective nur zu lesen. Ich stehe auf.
„Ich glaube, wie sparen uns das und ich gehe jetzt besser, Michael.“
Er legt mir eine schwere Hand auf den Unterarm.
„Setz dich, Biercamp. Sonst nehme ich dich in Beugehaft. Was hast Du gegen ein bisschen Nervenkitzel?“
Der lässt mich schmoren, denke ich. Was hat er davon? Mein Bedürfnis, den Raum, das ganze Haus zu verlassen, wird spürbar stärker. Damit wäre ich allerdings nicht aus der Sache raus. Was die betrifft, hat der Mann das letzte Wort.