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3 Wissenschaftliche Grundlagen des Verfahrens
ОглавлениеNeben Erkenntnissen und Konzepten der Psychoanalyse, z. B. zur interpersonellen Abwehr, zu unbewussten Prozessen und zur Tendenz, neue Beziehungserfahrungen im Lichte früherer Erfahrungen zu interpretieren und diese somit zu wiederholen (»Wiederholungszwang«, Übertragung), spielen Systemtheorie und Kommunikationstheorie eine bedeutende Rolle. Ganz wesentlich ist zudem, dass familiäre und Paarbeziehungen einen erheblichen Beitrag zur Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Erkrankungen, aber auch zu somatischen Dysregulationen leisten. Dies gilt z. B. für depressive Störungen (Reich 2003a), Zwangsstörungen (Reich 2008; Reich 2019a; Reich 2020 in Druck), Essstörungen wie Anorexie, Bulimie oder Binge Eating (Cierpka und Reich 2010; Reich 2003b,c; Reich und von Boetticher 2017a), Persönlichkeitsstörungen (Reich 2003d; Reich und von Boetticher 2017b), Borderline-Persönlichkeitsstörungen (Reich und Cierpka 2011), Angststörungen, Psychosen (Reich und Klütsch 2014), Trauma-Erfahrungen (Klütsch und Reich 2012) sowie eine Vielzahl von körperlichen Regulationsstörungen und pathogenen Prozessen (Frisch et al. 2017; Reich 2020 in Druck). Die Verzahnung von physiologischen pathogenen Prozessen mit dysfunktionalen familiären Prozessen wurde auch im behavioralen Familienmodell (Wood et al. 2008, 2015; vgl. auch Reich 2020 in Druck) nachgewiesen.
Die Bedeutung familiärer und paardynamischer Prozesse für psychische Erkrankungen und körperliche Dysregulation belegen emprische Studien zu interpersonellen Prozessen wie dem »Spill-Over«, bei denen gezeigt werden kann, dass sich eheliche Spannungen der Eltern direkt auf Kinder übertragen, und Studien zur Kompensationshypothese. Sie zeigen sich auch zum Konzept der »Meta-Emotion«, in dem gezeigt werden kann, dass die Verbalisierung von unangenehmen Gefühlen durch Eltern es Kindern leichter ermöglicht, die negativen Folgen von elterlichen Konflikten zu bewältigen. Sie zeigen sich zudem in den Forschungen zur Parentifizierung (Chase 1999) sowie den Forschungen zur Bedeutung von Vätern und Geschwistern (vgl. Reich 2020 in Druck). Empirische Studien belegen zudem die mehrgenerationale Weitergabe einer ganzen Reihe von Problemen und problematischen Beziehungsmustern. Während diese Weitergabe in nichtgestörten Familiensystemen eher moderat ausfällt (Reich 2017; Reich et al. 2008), ist sie in gestörten Familiensystemen häufig erheblich und konnte in einer Reihe von Bereichen nachgewiesen werden, z. B. bezüglich der Bindungsmuster, der Erziehungseinstellungen, der Qualität der Ehebeziehungen, der Neigung zu Trennungen und Scheidungen, der Neigung zu Parentifizierungen, der Weitergabe von Traumafolgen und Gewalterfahrungen, bezüglich der Verletzung interpersoneller Grenzen sowie der Fähigkeiten zur Selbstregulierung (Reich et al. 2008; Reich 2020 in Druck). Auch in den Familien- und Paarbeziehungen wirksame Resilienzfaktoren wurden untersucht (Walsh 2016; Reich 2020 in Druck). Hierzu gehören gemeinsame Sinnfindung und Orientierung, Fähigkeiten zur Veränderung der Familienorganisation bei Einbrüchen wie z. B. Erkrankungen, kooperatives Elternverhalten, Respekt für die individuellen Unterschiede, die Fähigkeit zur Mobilisierung außerfamiliärer Ressourcen sowie Klarheit der Kommunikation und das offene Teilen schmerzlicher und freudiger Emotionen. Auch positive Paarinteraktionen wie verbale Unterstützung, Berührung oder Responsivität wirken salutogenetisch. Kinder profitieren zudem von stabilen Elternbeziehungen, klaren Generationsgrenzen, emotionaler Resonanz sowie davon, ob sie elterliches Verhalten, auch hochproblematisches, verstehen können oder nicht (vgl. Reich 2020 in Druck).
Familien- und Paartherapien haben sich zudem bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen als wirksam erwiesen. Dies gilt im Erwachsenenbereich für affektive Störungen, Angststörungen, Essstörungen, Substanzmissbrauchsstörungen und Psychosen, im Bereich der Behandlung von Kindern und Jugendlichen für Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Substanzmissbrauch und Essstörungen (von Sydow et al. 2010, 2013) ( Kap. 9).