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4.1.2 Partnerwahl und Kennenlernszene

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Dem Verstehen der Kennenlernszene eines Paares messen wir einen hohen diagnostischen Wert zu. Das Kennenlernen und Verlieben zweier Menschen gleicht in der Paartherapie der frühen Kindheit in der Einzeltherapie insofern, als »da alles begann«. Wir erfragen daher die Umstände des Kennenlernens, die ersten Eindrücke, die Phantasien übereinander, Anziehung und evtl. auch Abstoßung, Hoffnungen und Wünsche sowie die jeweiligen Lebensumstände beider Partner sehr genau. Häufig bildet dies auch einen günstigen Einstieg in einen therapeutischen Prozess, da die meisten Paare sich gern erinnern und für den Zeitraum der Beschäftigung mit dem Kennenlernen die aktuellen Streitthemen in den Hintergrund treten. Häufig klingen bereits in der Kennenlernzeit der Paare Themen und Motive an, die sich für das Verständnis des aktuellen Konflikts als hilfreich erweisen. So werden häufig gemeinsame Grundkonflikte deutlich, die durch das Kennenlernen gewissermaßen zugleich aktiviert und kompensiert wurden – und die sich in der Regel durch die gesamte Paargeschichte ziehen. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in den Kollusionskonzepten wider, die in Kapitel 4.1.4 kurz umrissen werden ( Kap. 4.1.4).

Die Wahl des Partners sagt Entscheidendes über eine Person aus, kann sie doch als »widersprüchlicher Individuationsversuch« (Reich 1991) verstanden werden. Dieser beinhaltet sowohl eine Tendenz zur Wiederholung und Reinszenierung vertrauter Beziehungsmuster (dieser Aspekt ist eher unbewusst und verdeckt) als auch den Wunsch nach Befriedigung bisher unerfüllter Bedürfnisse und neuen, besseren Beziehungserfahrungen als aus den jeweiligen Herkunftsfamilien bekannt (diese Seite der Ambivalenz ist bewusst oder doch bewusstseinsnah, vgl. Abbildung 4.1 ( Abb. 4.1)).


Abb. 4.1: Partnerwahl als widersprüchlicher Individuationsversuch (auf Grundlage von Reich 1991)

Lemaire (1980) bezeichnet die Partnerwahl gar als »das am meisten charakteristische Symptom« einer Person. Die Partnerwahl ist als hoch ambivalentes, überwiegend unbewusstes Geschehen zu verstehen. Bereits Freud (1921) verglich das Verhalten eines Verliebten zu seiner Auserwählten mit dem des Hypnotisierten zu seinem Hypnotiseur: nicht fähig der Kritik, bereit zur Unterwerfung. Dies lässt sich nur durch starke, unbewusst wirksame Mechanismen erklären. Auch klingt bereits das Konflikthafte an. Das Gelingen von Partnerschaften hängt nicht von der Häufigkeit von Streit und Konflikten ab, sondern von der Kompetenz des Paares, mit konflikthaften Situationen umzugehen (Gottmann und Levenson 2000) und die (überwiegend unbewussten) Ambivalenzen zu tolerieren. Dies hängt auch mit der Mentalisierungsfähigkeit beider Partner zusammen ( Kap. 4.1.5, Kap. 5.1.6.6). In den häufigsten Fällen kann ein Zusammenhang zwischen der Art des Kennenlernens, der Form der verleugnenden Idealisierung (sowohl der Unvollkommenheiten des Partners als auch gegenüber den Unstimmigkeiten zwischen den Partnern) zu Beginn der Partnerschaft und dem aktuell in der Paartherapie vorgebrachten Konflikt und den nicht gelingenden Lösungen hergestellt werden.

Daher zentrieren wir zu Beginn der Diagnostik auf die Wahl des Partners und die Umstände des Kennenlernens, selbstverständlich unter Berücksichtigung der Herkunftsfamilien beider Partner.

Psychodynamische Paar- und Familientherapie

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