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Fallbeispiel

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Ein Paar meldet sich drängend an und sagt mehrere Termine kurzfristig ab. Jeweils fielen der Therapeutin der gehetzt wirkende Tonfall sowie eine wenig Widerspruch duldende Art, sich mitzuteilen, auf. Ein weiterer Termin musste aufgrund von Krankheit der Therapeutin verschoben werden. Als das Erstgespräch schließlich stattfindet, schildert das Paar vielfältige Schwierigkeiten, die sich aus den schweren »Kopfschmerzattacken« des Mannes ergeben. Weder seien längerfristige Wochenend- oder Urlaubsplanungen möglich, noch gäbe es ein befriedigendes Sexualleben, weil sie immer mit den »hereinbrechenden« Kopfschmerzen rechnen müssten. Medizinisch sei alles abgeklärt, Schmerzmittel helfen nur bedingt. Hinter dem betonten Mitgefühl der Ehefrau werden schnell Gereiztheit und aggressive Abwertung deutlich. Auch der Ehemann spricht »nebenbei« demütigende, abfällige Bemerkungen über seine Frau aus. Darauf von der Therapeutin angesprochen, wehren beide beschwichtigend ab: Wenn nur die Kopfschmerzen und die damit einhergehenden Einschränkungen verschwänden, gäbe es »wieder nur Harmonie zwischen uns«. Die weitere Exploration ergab, dass beide aus unterschiedlichen Gründen seit einigen Jahren beruflich zu kämpfen hatten und sich insgeheim gegenseitig schwere Vorwürfe machten. Die in den Anfangsjahren der Beziehung antriebsfördernde, eher belebend wirkende, ausgeprägte Konkurrenz zwischen den Eheleuten war nun lähmend geworden. Die Kopfschmerzen dienten als Externalisierung des Eheproblems. So konnte der »Schmerz« über die vielen Anstrengungen und Überforderungen des Alltags sowie die gegenseitige wütende Enttäuschung des Wunsches nach Entlastung aus der Beziehung herausgehalten und im Symptom »untergebracht« und gleichzeitig das unrealistische Ideal der immerwährenden Harmonie aufrechterhalten werden. Durch die Bearbeitung dieses Mechanismus verschwanden die Kopfschmerzen des Mannes zwar nicht vollständig, das Paar konnte jedoch den Umgang damit positiv verändern. Dazu gehörte ein freieres Aussprechen eigener Bedürfnisse und aggressiver Impulse. Der Widerstand war zu Anfang recht ausgeprägt, ein psychotherapeutisch-psychosomatisches Krankheitsmodell wirkte zunächst befremdlich. Die Reflektion der Szene vor Beginn der eigentlichen Gespräche ermöglichte eine Einfühlung in die innere Situation des Paares. Das Arbeitsbündnis konnte durch den Rückbezug auf die positiv besetzte Konkurrenz und deren Würdigung zu Beginn der Beziehung entwickelt werden.

Die szenischen Informationen erlauben häufig eine erste Hypothesenbildung über die Psychodynamik des Paares sowie der Widerstände gegen und Befürchtungen bezüglich einer Paartherapie. Hier gilt es auf der Therapeutenseite, die Unsicherheiten ernst zu nehmen, zu einer möglichst klaren Indikationsstellung zu finden und besonderes Augenmerk auf den Aufbau des therapeutischen Bündnisses zu legen, das eben das Paar »als Patienten« versteht. Dies sollte mit einem hohen Maß an Transparenz und Information über die Arbeitsweise einhergehen, wodurch in aller Regel diffuse Befürchtungen hinsichtlich eines paarorientierten Therapieansatzes gemindert werden können.

Die Analyse der initialen Szene einer Paartherapie gibt wertvolle Hinweise für die psychodynamische Hypothesenbildung. Dabei wird das Konzept des Szenischen Verstehens (Lorenzer 2006) auf die Paarsituation modifizierend übertragen.

Psychodynamische Paar- und Familientherapie

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