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4.1.4 Kollusionskonzepte

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Als Kollusion wird das unbewusste Zusammenspiel eines Paares auf der Basis eines gemeinsamen Grundkonflikts in polarisierten Positionen bezeichnet. Die Anziehung zwischen den Partnern entsteht zunächst dadurch, dass beide psychisch mit denselben Konfliktfeldern beschäftigt sind, jeweils aber unterschiedliche, gar konträre Bewältigungsstrategien für sich gefunden haben, die vom jeweils anderen als attraktiv erlebt werden. Der gemeinsame Grundkonflikt schafft eine Vertrautheit. Die sich ergänzenden, unterschiedlichen Lösungsansätze erzeugen gegenseitige Anziehung. Das eigene, aufgrund von frühen Beziehungserfahrungen, Werten und Anforderungen der Herkunftsfamilie für die jeweilige Person Unannehmbare und daher Verdrängte kann im Anderen sowohl bewundert als auch bekämpft und somit aus dem Erleben der eigenen Person herausgehalten werden. Durch das Zusammensein und die Nähe in der Paarbeziehung steht es dennoch zur Verfügung und ist als latenter, nicht gelebter Teil der Persönlichkeit zu verstehen.

Kollusionsbildungen sind somit als »Formen der interpersonellen Abwehr« (Reich et al. 2007, S. 51) zu verstehen und sind wie Symptombildungen und andere Abwehrformationen als intra- und interpsychischer Kompromiss zu würdigen.

Während Dicks (1967) in seiner bahnbrechenden Arbeit den Kollusionsbegriff einführte und diesen objektbeziehungstheoretisch begründete (in Partnerschaften werde eine Dynamik mit einem regressiven und einem progressiven Pol, anders ausgedrückt eine Mutter-Kind- Beziehung »wiederholt« bzw. aus der frühen Entwicklung vertraute Beziehungsmuster unbewusst reinszeniert), stellte Willi (1975) dieses Modell des Zusammenspiels zweier Menschen in einen triebtheoretischen Rahmen und konzeptualisierte Kollusionen entlang der psychosexuellen Entwicklungsphasen der frühen Psychoanalyse ( Tab. 4.1):

• Die narzisstische Kollusion wird demnach von einem (progressiven) Bewunderten bzw. Narzissten und einem (regressiven) Bewunderer bzw. Komplementärnarzissten gebildet. Das gemeinsame Thema rankt sich um Fragen des Selbstwerts, der Urharmonie und der idealisierenden Verschmelzung. Das grandiose Ideal-Selbst wird vom Narzissten »verkörpert«, an dem der Bewunderer teilhaben kann, indem er ihn schwärmerisch verehrt.

• In der oralen Kollusion handelt der gemeinsame Grundkonflikt von Versorgung in einem umfassenden Sinne. Hier werden die Rollen »Pflegling« und »Mutter« bzw. »Helfer« verteilt. Eine Person pflegt, umsorgt und hilft auf »mütterliche« Weise, die andere Person lässt sich oral versorgen und zeigt sich dankbar dafür.

• Eine anale bzw. anal-sadistische Kollusion besteht aus einem »autonomen Herrscher« und einem »heteronomen Untertan«, hier wird der Konfliktbereich von Macht, Unterwerfung, Kontrolle und Herrschaft polarisiert aufgeteilt. Das Thema »einander ganz gehören« wird in quälerischer Weise mit Agieren von Trennungsängsten, Abhängigkeitswünschen sowie Eifersuchts- und Untreuemanövern verhandelt.

• Die Polarisierung der phallischen (oder ödipalen bzw. hysterischen) Kollusion schließlich beschreibt eine gegenseitige Bestätigung der (auch sexuellen) Potenz und der Geschlechtszugehörigkeit. Es findet eine Versicherung der eigenen Weiblich- bzw. Männlichkeit statt, dabei stehen zunächst Ergänzungswünsche von »männlicher Stärke oder Härte« und »weiblicher Schwäche oder Weichheit« im Vordergrund (Willi 1975).

Kollusive Mechanismen sind in der Lage, ein starkes Band zwischen Partnern zu bilden, können sie doch als Versuch der »Wiederherstel-

Tab. 4.1: Kollusionen nach Willi entlang der psychosexuellen Phasenlehre Freuds (auf Grundlage von Willi 2016, S. 81 ff.)


Thema des gemeinsamen GrundkonfliktsPolarisierte PositionenAnziehung/ KollusionsbildungKonflikt durch Rückkehr des Verdrängten; Bewusstwerden latenter Wünsche

lung der ganzen Persönlichkeit« (Dicks 1967) verstanden werden. Da jedoch stets eigene abgewehrte, verdrängte Bedürfnisse externalisiert, also im Partner »untergebracht« werden, ist ebenso verständlich, welches Konfliktpotenzial in dieser Beziehungsgestaltung steckt. Gerade die abgewehrten Anteile »drängen zur Rückkehr«. Machen sich also die latenten Bedürfnisse im Laufe der Paarbeziehung wieder stärker bemerkbar, etwa wenn der umsorgte Pflegling in der oralen Kollusion bemerkt, dass er ebenfalls mütterlich-versorgende Impulse verspürt und sich in seiner Rolle nicht länger ernstnehmen kann oder ernstgenommen fühlt, gerät das zuvor gewonnene Gleichgewicht aus den Fugen. Auf ähnliche Weise kann die Konfliktentstehung der anderen Kollusionen beschrieben werden: In der narzisstischen Konstellation verwandelt sich die schwärmerische Verehrung und grandiose Idealisierung in Vorwürfe der Rücksichtslosigkeit und Einengung, während der vormals angenehm Schwärmende als unselbstständig und unangenehm einnehmend empfunden wird. Die anal-sadistische Konfliktlage äußert sich darin, dass der zunächst als aktiv, dominant und mächtig anerkannte »Herrscher« als despotisch und tyrannisch verachtet wird, während den vorher gefügig angepassten »Untertan« der Vorwurf des Passiven und Nachlässigen trifft. Werden die latent schlummernden, abgewehrten Anteile durch z. B. einen Anstoß von außen, veränderte Lebensumstände, einen Entwicklungsschritt eines Partners oder durch Unstimmigkeiten zwischen den Partnern »geweckt«, erscheint die kollusive Lösung nicht mehr als rettend, sondern im Gegenteil als einengend und aversiv.

König und Kreische (1991) schlugen vor, die polarisierten Positionen unter Rückbezug auf objektbeziehungstheoretische Grundlagen statt »progressiv vs. regressiv« treffender als »Eltern-Kind-Kollusionen« zu bezeichnen. Darüber hinaus erweiterten sie den Begriff und beschrieben die »Kind-Kind-Kollusion« ( Abb. 4.2) und »Elternteil-Elternteil-Kollusion« ( Abb. 4.3). Damit werden Dynamiken in Partnerschaften beschrieben, in denen entweder beide Partner zugleich den kindlichen (oder regressiven) Part einnehmen und den elterlichen, progressiven außerhalb der Dyade suchen oder beide Partner ein elterlich-progressiver Verarbeitungsmodus kennzeichnet, in dem sie sich gemeinsam um andere kümmern. In Paartherapien begegnet uns dann, im Falle einer Kind-Kind-Kollusion, ein unselbstständiges Paar, das Versorgung, Hilfe

Abb. 4.2: Kind-Kind-Kollusion (auf Grundlage von König und Kreische 1991)

und Unterstützung sucht und wenig Eigenaktivität mitbringt, sondern das Gefühl vermittelt, die Therapeuten in ihrer elterlichen Rolle werden schon wissen, was gut für sie ist. Die Ratschläge, die sie auf diesem Weg womöglich tatsächlich erhalten, können jedoch ebenso »kindlich« oder »pubertär« zunichte gemacht werden. Hier gilt es, die ausgeprägten regressiven Tendenzen zu benennen und zu begrenzen und an der Verantwortungsübernahme zu arbeiten.

Besteht eine ausgeprägte Elternteil-Elternteil-Kollusion, wird es unter Umständen nicht gut möglich sein, ein stabiles Arbeitsbündnis zu entwickeln, da die Partner Schwierigkeiten damit haben, Anregungen, Konfrontationen oder Deutungen der Therapeuten anzunehmen. Sind die Therapeuten vielleicht noch jünger als das Paar, kann eine solche Übertragungsbereitschaft noch verstärkt werden. Dies kann sich in offener Herabsetzung, aber auch in subtilen, scheinbar freundlich-fördernden Aussagen wie einer Frage nach Ausbildungsfortschritt oder akademischem Grad äußern. Gelingt es, die jeweilige Abwehrfunktion zu identifizieren und mit dem Paar zu bearbeiten, kann ein fruchtbarer Prozess stattfinden. Dabei ist immer zu beachten, welche starke Dynamik kollusive Mechanismen auch bei den Therapeuten entfaltet. In der Inter- oder Supervision und mithilfe der Gegenübertragungsanalyse wird es oft

Abb. 4.3: Eltern-Eltern-Kollusion (auf Grundlage von König und Kreische 1991)

erst möglich, eine notwendige Distanzierung vom unmittelbaren Geschehen zu erreichen und sich wieder handlungsfähiger zu fühlen.

König und Kreische (1991) beschreiben zudem »gekreuzte Kollusionen« und damit Paare, die eine kollusive Verstrickung zeigen, dabei aber auf unterschiedlichen Niveaus der Triebfixierung »funktionieren«. Anders als bei einem polarisiert aufgeteilten gemeinsamen Grundkonflikt wird bei einem der Akteure ein Triebfixierungsniveau manifest, während das andere in der Latenz verbleibt. Beim Anderen ist es jeweils umgekehrt. Ein klassisches Beispiel ist das Zusammenspiel ödipal-hysterischer und zwanghafter Strukturiertheit. Hier erfährt der zwanghaft strukturierte Partner Lebendigkeit im manifesten Verhalten der hysterischen Partnerin, während diese von der Strukturiertheit der zwanghaften Veranlagung profitiert. Es bestehen die jeweils nicht offen gelebten, weil gefürchteten Anteile jedoch in der Latenz (vgl. auch das ausführliche Fallbeispiel in Kapitel 7.1, Kap. 7.1). Für Paare mit einer gekreuzten Kollusion wird die »Paartherapie in zwei Systemen« (Kreische 2012) für besonders erfolgversprechend gehalten ( Kap. 8.3).

Kollusive Elemente finden wir vermutlich in fast allen Partnerschaften, nicht zuletzt aufgrund der empfundenen Familiarität in der unbewussten Konflikthaftigkeit, die bei der Partnerwahl oft entscheidend ist. Ausschlaggebend für das Wachstum und die Weiterentwicklung als Paar, aber auch als einzelne Individuen in der Paarbeziehung ist das Vermögen, die abgewehrten und zunächst im Anderen evozierten Selbstanteile zu re-integrieren und re-internalisieren. Je flexibler mit regressiven wie progressiven Wünschen und Persönlichkeitszügen umgegangen werden kann, desto »gesünder« oder »erwachsener« ist ein Paar. Machen aber unbewusste, interpersonell abgewehrte Mechanismen es notwendig, in den polarisierten Positionen zu verbleiben, lassen sich zwei Ausformungen von Konflikten beschreiben:

1. Die erste Konfliktform ist durch eine regressive Bewegung einer oder beider Partner zu beschreiben, in der Enttäuschung die entscheidende Rolle spielt. Die Ähnlichkeit mit einem enttäuschenden, abweisenden oder nicht versorgenden Elternteil wurde in der Paarbildungsphase mithilfe von Idealisierung verleugnet und der Partner als eine andere, bessere, zugewandtere Person phantasiert. Ergeben sich im Laufe der Beziehung unvermeidliche Kränkungen oder Enttäuschungen dadurch, dass die Partner realisieren, dass der jeweils andere nicht in der Lage oder willens ist, die eigenen nicht erfüllten kindlichen Bedürfnisse zu befriedigen, führt dies bei kollusiv verstrickten Paaren dazu, dass es weiter regrediert und dysfunktionale Interaktionsweisen vermehrt, statt durch Realitätsprüfung und weitere Entwicklung zu reiferen Formen des Umgangs mit Wünschen und Enttäuschungen zu gelangen.

2. Die zweite Konfliktausprägung ist durch eine Kehrtwende im Erleben gekennzeichnet. Die Persönlichkeitszüge und Verhaltensweisen, die beim Kennenlernen besonders attraktiv und begehrenswert erschienen, möglicherweise gar den Ausschlag für die Partnerwahl gaben, werden nun im Gegenteil als abstoßend, unattraktiv und/oder behindernd erlebt. Die anfängliche Bewunderung des anderen, der die latenten, dabei abgewehrten Anteile lebt, kehrt sich um, wenn die Faszination abklingt und die vertrauten Mechanismen eines z. B. strafenden, verbietenden Über-Ichs greifen. Der Bewunderer wird zum Verfolger, da er weder die abgewehrten Anteile in sich zu integrieren noch im Partner weiter zu tolerieren vermag (vgl. Dicks 1967; Reich et al. 2007).

Psychodynamische Paar- und Familientherapie

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