Читать книгу Psychodynamische Paar- und Familientherapie - Günter Reich - Страница 16
Fallbeispiel
ОглавлениеEin Paar spricht im Erstgespräch kaum in die Richtung des Paartherapeuten, sondern eher leise und sehr vertraulich miteinander. Der Therapeut hat große Mühe, sich ein Bild vom Paar zu verschaffen, weil »Interna« ausgetauscht werden, die nur verstanden werden können, wenn der Kontext bekannt ist. Er bemerkt eine Hemmung in sich, sich bemerkbar zu machen und nachzufragen. Verwundert fühlt er sich wie ein kleiner Junge, den die Belange der Eltern nichts angehen. Als er sich aus diesem Gefühl befreien kann, aktiver ins Gespräch einsteigt und seine Rolle als erwachsener Therapeut zurückgewinnt, wird auch das Paar offener und der Kontakt verbessert sich. Dies kann als gemeinsam inszenierter Übertragungswiderstand verstanden werden.
Nicht nur Therapeutinnen und Therapeuten lösen Übertragungen aus, Paare lösen auch Übertragungen im Therapeuten aus (und nicht »nur« Gegenübertragung). Therapeutinnen und Therapeuten sind oftmals in einer parentifizierten Rolle aufgewachsen. Die Erfahrung, helfen zu können, spielt häufig in die unbewusste Motivation zur Berufswahl hinein (Sperling et al. 1980). Dies erklärt u. a., dass Paare besonders starke Übertragungsauslöser für eine Elternübertragung sein können. Die damit verbundenen Phantasien, es hier mit hilfsbedürftigen Eltern zu tun zu haben, für die Lösungen entwickelt werden müssen, mit den dazugehörigen Überforderungs-, Hilflosigkeits-, aber auch traurigen und wütenden Gefühlen, können, unerkannt und unverarbeitet, empfindlich die Absicht stören, dem Paar einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem es selbst Lösungen für seine Probleme findet (vgl. Kreische 2012). Finden sich also ein Therapeut oder eine Therapeutin in einer Situation wieder, in der er oder sie dauerhaft erschöpft und frustriert über eine Paartherapie nachdenkt, kann Inter- oder Supervision helfen, die Übertragungssituation bewusst werden zu lassen und mehr Unabhängigkeit davon zu erlangen. Die Beachtung von Übertragungsphänomenen besonders in Bezug auf den Widerstand ist unerlässlich für die Etablierung eines stabilen Arbeitsbündnisses, um bei der hohen interaktiven und Verwicklungspotenz in Mehrpersonensettings einen sicheren therapeutischen Rahmen halten zu können. Weitere Ausführungen siehe Kapitel 4.3: Übertragung und Gegenübertragung: Die therapeutische Beziehung ( Kap. 4.3).
Die Übertragungs-Gegenübertragungssituation ist in der Paartherapie oft besonders herausfordernd. Anders als in der Dyade einer Einzeltherapie sind die Übertragungen »im Dreieck« unübersichtlicher und können auf Seiten der Therapeuten zu problematischen Reaktionen führen, da diese schwer zu reflektieren sind. Hier ist eine gründliche Übertragungs-Gegenübertragungsanalyse notwendig. Supervision hat dabei einen hohen Stellenwert.