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Fallbeispiel

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Ein Mann sagte nach einer gescheiterten Beziehung in therapeutischen Trennungsgesprächen: »Ich war in ihr und sie war in mir. Wir verstanden uns ohne Worte, wussten immer, was der andere denkt und fühlt. Es war magisch«. Seine Ex-Partnerin nickte versonnen zu dieser Beschreibung.

Tatsächlich hatten beide sehr unterschiedliche Empfindungen und Vorstellungen von der Partnerschaft und Lebensentwürfe, vermieden aber immer, sich explizit darüber auszutauschen. So stand am Ende der Beziehung nicht nur die Trauer über die Trennung, sondern auch die Enttäuschung und Ernüchterung, dass es eben nicht »magisch« war, ganz im Gegenteil.

»Mentalisieren ist per definitionem inexakt« (Asen und Fonagy 2014, S. 235)

Die soziale Komponente ist entscheidend, um ein angemessenes Bild der inneren Verfasstheit des anderen zu entwickeln. Hierzu bedarf es der »ständigen sozialen Verifizierung« (Asen und Fonagy 2014, S. 235). Im obigen Beispiel hatte sich das Paar um diese Verifizierung nicht bemüht. Dies ließ sie eine Weile in der Illusion leben, einander ganz nah zu sein und sich wortlos zu verstehen. Als es um konkrete Entscheidungen für ihr weiteres Leben ging, stellte sich die Diskrepanz der Vorstellungen schmerzlich heraus.

Um eine diagnostische Einschätzung der Mentalisierungsfähigkeit (oder »Reflexiven Kompetenz«) treffen zu können, sollten die entwicklungspsychologischen Stadien der Mentalisierung in ihren Auswirkungen bekannt sein. Dabei werden im Wesentlichen die teleologische Haltung, der Äquivalenz- sowie der Als-Ob-Modus unterschieden. Während die Teleologische Haltung umfasst, dass die Handlungen anderer Personen beobachtet und deren Absichten oder Ziele erkannt und gedeutet, die dahinterliegenden Beweggründe hingegen noch nicht verstanden werden, werden im Äquivalenzmodus innere und äußere Realität deckungsgleich erlebt, d. h. es wird zwischen Gedanken, Wünschen, Vorstellungen und realen Gegebenheiten nicht unterschieden. Auch werden eigene Gedanken und die anderer als identisch wahrgenommen. Im Als-Ob-Modus entfaltet sich eine gänzlich andere Dynamik: Hier gelingt es dem Kind, innere und äußere Realität zu trennen, und es begibt sich in eine Spielatmosphäre, in der Phantasie, Wünsche oder Ideen der eigenen Innenwelt zugeordnet werden, keine realen Auswirkungen haben und daher nicht ängstigend wirken. Die eigenen Vorstellungen sind modifizierbar und damit kontrollierbar. Kinder wechseln zwischen diesen Modi, bis eine weitgehende Integration gelingt und der sog. Reflexive Modus erreicht wird, in dem eine höhere Qualität des Umgangs mit den eigenen Affekten sowie der Differenzierung eigener wie fremder mentaler Zustände besteht (für eine ausführliche Darstellung vgl. Fonagy 2009). Regredieren Erwachsene bspw. in den Äquivalenzmodus, so ist leicht vorstellbar, was ein in Wut geäußerter Satz wie etwa: »Ich hab eine Mordswut, ich könnte dich umbringen« auszulösen vermag.

Rottländer (2015, S. 10) schlägt vor, »mentalisierungsrelevante Blicke auf sich und andere […] in ›vier Sichtweisen zu unterteilen‹«:

1. Andere von außen sehen (oder: im Äußerlichen bleiben)

2. Sich selbst von innen sehen

3. Den anderen von innen sehen

4. Sich selbst von außen sehen (sich selbst in seiner Auswirkung auf andere sehen)

»Mentalisieren […] impliziert ein Bewusstsein von unserem letztlichen Nichtwissen, was die mentalen Zustände angeht.« (Rottländer 2015, S. 10)

Mentalisierungsbasierte Therapieansätze finden heutzutage breite Anwendung und sind weithin anerkannt. Ursprünglich entwickelt für Patienten mit strukturellen Defiziten und Persönlichkeitsstörungen im Einzelsetting, ist die Orientierung an Mentalisierungsprozessen heute in allen therapeutischen Bereichen relevant. Dies hängt auch mit der Erkenntnis zusammen, dass verschiedenste Therapiemethoden, darunter auch die »klassisch« psychoanalytischen Interventionen wie Arbeit an den Affekten per Klärung, Konfrontation und Deutung die Mentalierungsfähigkeiten von Patienten zu verbessern vermögen. Arbeit an der Mentalisierungsfähigkeit stellt damit keine echte Neuerung dar, sondern beschreibt eher eine spezifische Art der Betrachtung und Fokussierung auf die Kompetenz, »die eigenen wie die fremden psychischen Befindlichkeiten zu begreifen« (Schultz-Venrath 2013, zitiert nach Rottländer 2015, S. 7). Bei der Paardiagnostik im Hinblick auf die Mentalisierungsqualität sind verschiedene Punkte zu beachten:

• Wie gut können sich die Partner jeweils in den anderen einfühlen, wie flexibel gehen sie mit der Differenzierung eigener Empfindungen, Auffassungen, Meinungen etc. um? Anders ausgedrückt: Wie gut können die Partner jeweils mentalisieren?

• Unterscheiden sich die Partner stark im Mentalisierungsvermögen?

• Wie sprechen die Partner miteinander? Spricht jeder für sich, stark auf den Therapeuten bezogen oder sprechen die Partner »mentalisierend« miteinander? Wie stark »sinkt« das Mentalisierungsniveau bei strittigen Fragen?

• Wie beeinflussbar ist das Mentalisieren des Paares durch den Therapeuten? Kann durch die Mentalisierung förderndes Nachfragen eine starre, auf sich bezogene Position gelockert werden, um die Kommunikation und das Verständnis der Partner zu verbessern?

In der paartherapeutischen Praxis erscheint es als sinnvoll, den Mentalisierungsprozess in den Sitzungen zu verfolgen, daraus eine diagnostische Einschätzung der reflexiven Kompetenz der Partner zu gewinnen (Bark et al. 2016) und beharrlich daran zu arbeiten:

»In der Paartherapie […] ist es besonders wichtig, die eigenen Beobachtungen zum Mentalisieren des Paares als Momentaufnahmen zu verstehen, die im weiteren Verlauf ständig korrigiert werden müssen.« (Rottländer 2015, S. 22)

Die Arbeit an der Mentalisierungsfähigkeit stellt keine Neuerung im engeren Sinne dar, vielmehr ist sie als ein besonderer Fokus auf eine bestimmte, grundsätzlich wichtige Fähigkeit zu verstehen. In der Paartherapie als Mehrpersonensetting ist darauf zu achten, wie sich die Mentalisierungsfähigkeit des Paares zwischen den Partnern, aber auch zwischen dem Paar und dem Therapeutenpaar, je nach Konfliktlage und/oder Intervention verändert.

Psychodynamische Paar- und Familientherapie

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