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2.

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In voller Montur – mit Spider-Man-Schuhen, einer leeren Messerscheide am Gürtel, einem Evel-Knievel-Helm und einem Spitzbart aus Schokoladeneis – richtete sich Tyler auf. Sein weißes Hinterteil taumelte über dem Teppich, während er herzhaft nieste und seine gespreizten Finger mit Spinnweben aus Rotz überzog. Beeindruckt musterte er das Resultat.

»Gesundheit«, sagte seine Mutter.

Zugabe.

»Gesundheit.«

Und noch eine.

»Na, das reicht jetzt aber.« Dray griff nach einem seiner rudernden Arme und zog Tyler an Bears Beinen vorbei zu sich heran, wo schon ein Taschentuch auf ihn wartete. Ty ließ seine Milch fallen und kickte sie schwungvoll über den Boden. Während sie über den Teppich rollte, verspürte Tim wieder einmal den größten Respekt vor dem Erfinder der Trinklerntasse. In einem Anfall geistiger Umnachtung hatten Tim und Dray kurz nach Tylers erstem Geburtstag im ganzen Haus neue Teppiche verlegt – weiße. Sie waren noch nicht so weit, den Teppich einfach dreckig werden zu lassen, und ihre Kleckerneurose zeigte deutlich, auf weiche grundlegenden Fragen ihr Leben derzeit reduziert war.

Tim saß unterdessen beim Kamin und hatte gerade die letzten Teppichstreifen auf die Ecken des vorspringenden Kamins geklebt. Gestern hatte Tyler sich hier nämlich eine Schürfwunde am Schienbein zugezogen, und heute musste die vorlaute Kante den Preis dafür bezahlen. Bear, der auf jedem Knie einen Dessertteller balancierte, lümmelte sich auf dem Sofa.

Erst aß er seinen eigenen Teller leer und leckte den Zuckerguss ab, dann beäugte er sehnsüchtig Tims unberührten Nachtisch. Es war Tim von Anfang an nicht besonders klug erschienen, sein Stück vom Geburtstagskuchen – in der Mitte prangte das »urts« von »38. Geburtstag« – ausgerechnet der Obhut seines Partners anzuvertrauen. Bear hatte zwar ausladende Proportionen, war aber nicht von der schwabbeligen Sorte. Er war eher ein Monolith. Daher hatte er eine Menge Körpermasse zu unterhalten, und seine eiserne Loyalität geriet ernsthaft ins Wanken, sobald Essen ins Spiel kam.

Seitdem Tyler kreischend in ihr Leben getreten war, blieben Tim und Dray viel lieber zu Hause. Sie hatten einen Gang runtergeschaltet und richteten sich in einem sehr häuslichen Takt ein. Abendessen, wenn es draußen noch hell war. Zu Bett gehen, bevor Letterman anfing. In den sieben Jahren von Ginnys Leben hatten sie das ja schon gut üben können, und mit Tylers Geburt kehrten sie zu ihrem einstigen Familienleben zurück und genossen es umso mehr.

Bear war im Laufe des letzten Jahres immer öfter als Babysitter eingesprungen, wenn Tim und Dray abends einmal zu zweit ausgehen wollten. Zu Anfang war Drays Mutter mit geradezu religiösem Fanatismus bei ihnen einmarschiert. Sie brachte ihre zwiebellastigen Gerichte und ein schier unerschöpfliches Arsenal an unbegründeten Ängsten mit – »Auf diesem Toilettensitz solltet ihr aber lieber eine Kindersicherung anbringen.« Oder: »In diesem Saft ist alles Mögliche, bloß kein Saft.« Oder: »Wisst ihr eigentlich, wie schmutzig die Luft auf dieser Seite des Freeway ist?« Sobald Dray bemerkte, dass ihre Mutter Tims überbesorgte Haltung noch verstärkte, verbannte sie sie aus ihrem Haus. Sie trafen sich einmal pro Woche in einem Park oder einem Einkaufszentrum, also immer noch ungefähr fünfzigmal öfter als vor Tylers Geburt. Tims Vater, ein unverbesserlicher Betrüger mit jahrelanger Erfahrung, hatte an Tylers erstem Geburtstag eine Karte geschickt, auf der er verkündete, dass er seinen Enkel gern kennenlernen wolle, doch Tim hatte nicht geantwortet. Diese Karte war die einzige Korrespondenz, die es während ihrer mittlerweile einjährigen Funkstille gegeben hatte.

Dray ließ Ty los, der daraufhin um Boston herumwatschelte, Bears Rhodesian Ridgeback, und seinen Pyjama begutachtete, den er – wieder einmal – ausgezogen und von sich geworfen hatte. »Kaier heiß«, erklärte er.

»Du sagtest es bereits«, sagte Bear. »Mehrmals.«

Dray schien so ihre Zweifel zu haben, ob es eine gute Idee gewesen war, ihren Erziehungsurlaub beim Sheriff’s Department zu verlängern. Sie betrachtete Tims Werk und pustete sich zielsicher eine blonde Strähne aus der Stirn. »Hast du irgendeine Ecke vergessen?« Mit dem Zeigefinger fuhr sie über die teppichbezogene Stufe, die in den Garten führte, und über die Läufer, die den Küchenboden bedeckten, und den Schaumstoff, den Tim über die Ecken des Wohnzimmertischs geklebt hatte. »Hm. Glaub nicht.« Sie lächelte, aber nur mit dem linken Mundwinkel – das war ihr besonders gemeines Grinsen –, und das Haar fiel ihr über die hellgrünen Augen. Nach dreizehn Jahren Ehe war Tim manchmal immer noch überrascht, wie unglaublich durchscheinend die Farbe ihrer Augen leuchten konnte. Dray blickte zum Sofa und ihre ebenso beeindruckenden Augenbrauen verzogen sich streng: »Ich hab gesagt, das reicht jetzt mit Kuchen!«

Bear, Tyler und Boston setzten alle drei einen gekränkten Ausdruck auf.

Tim stand vom Kamin auf und klopfte sich den Staub von den Händen. »Nicht du, Bear.«

»Ach so.« Bear blickte nach unten und entdeckte, dass Tyler seine kleine Hand an ihm vorbeigeschmuggelt hatte und sie nun im Zuckerguss vergrub. »Du kleine Ratte! Weg da!«

Tyler quiekte auf und lief davon, so dass er gerade noch einem Stups von Bears Größe-einundfünfzig-Stiefeln auf sein nacktes Hinterteil entkam. Es tat gut, Bear wieder lächeln zu sehen. Vor drei Monaten hatte er seinen anderen Hund einschläfern lassen müssen, woraufhin er seinen Kummer mit täglich zwei Dutzend Donuts von Krispy Kreme erstickte, egal ob sie gerade im Sonderangebot waren oder nicht.

Wie Dray schon mehr als einmal vorgeschlagen hatte, brauchte Bear eine Frau.

Tyler watschelte hinter dem Sofa entlang, schleckte sich dabei die blau verschmierte Hand ab und näherte sich nun wieder Bear, um einen zweiten Anschlag auf dessen Teller zu verüben.

»Denk nicht mal dran.« Tim holte sich sein Stück Kuchen zurück, das jetzt den Abdruck einer kleinen Hand trug. »Gute Arbeit«, meinte er zu Bear.

Der zuckte nur mit den Achseln. »Bin gerade nicht im Dienst.«

Nachdem Tim einen Blick auf die Uhr geworfen hatte – 21:05 Uhr –, stellte er seinen Teller jedoch wieder ab. »Na komm, mein Junge.« Er hob Tyler hoch und setzte ihn sich auf die Hüfte. »Sag schön gute Nacht.«

Ty warf Kusshändchen in alle Richtungen, indem er sich die klebrige Hand gegen das Kinn drückte und dann schwungvoll wieder nach vorne fliegen ließ.

»Gute Nacht, du Taifun«, sagte Bear.

»Nacht, Boton.« Eine weitere ungeschickte Geste galt dem Hund, was dieser mit einem feierlichen Blick würdigte. Tim ging aus dem Wohnzimmer.

In diesem Moment tönte Bears Handy los, der Signalton war eine schwache Imitation von Led Zeppelin’s »Kashmir«. Er stand auf, zog seine Jeans hoch und nahm sein Nextel vom Gürtel. Seiner Reaktion war anzumerken, dass es in dieser SMS um Dringenderes ging als um einen vertraulichen Informanten, der ihm einen Tipp verkaufen wollte.

Wie vorherzusehen, vibrierte anschließend Tims Handy, und Tyler horchte auf. Tim drückte Dray ihren Sohn in die Arme, hielt das Display schräg und runzelte die Stirn.

»Alles Gute zum Geburtstag«, sagte Bear trocken.

Doch Tim war schon auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer und steckte seine Smith & Wesson ins Holster. Dann beugte er sich vor und küsste Tyler auf die Stirn. Bear steckte noch schnell ein Haferflockenplätzchen ein.

Dray zog eine Augenbraue hoch. Doch Tim nickte nur kurz, gab auch ihr einen Kuss und folgte Bear hinaus.

Der Ausbrecher

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