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Die deuteronomistische Bibel-Redaktion

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Als deuteronomistische Geschichtstheologie bezeichne ich jene Linie und Ausgestaltung prophetischer Theologie, welche die Bücher des Pentateuch, die Bücher der Geschichte Israels in der Königszeit und die Prophetenbücher durch ihre „Systematik“ einer Dialektik von Gericht und Heil und einer Dramatik zwischen Gott und Israel bzw. den Menschen insgesamt als seinen Bundespartnern und Geschöpfen prägt und zusammenhält. Ich halte diese „Redaktion“ der Überlieferung wirkungsgeschichtlich für die maßgeblichste. Dies liegt sicher an ihrer Präsenz in der Tora, in den Geschichtsbüchern und den Propheten2 gleichermaßen: Deuteronomistische Redaktoren bearbeiteten sowohl die alten Geschichtsüberlieferungen Israels als auch die Gesetzessammlungen und die Prophetenschriften. So zeichnete sich eine gemeinsame theologische Handschrift in die Bücher Mose, die Samuel- und Königsbücher und in die Schriftpropheten ein. Durch die Deuteronomistik gehören die „Gebote und die prophetischen Gerichtsbotschaften ... im Prinzip zusammen“3 und werden so zum Kanon der Geschichtsdarstellung, – eine Kraft der Synthese, die so keiner anderen alttestamentlichen „Schule“ zugeschrieben werden kann.

Älteren Vorstellungen – aus denen sie ja auch entspringt, wie schon am „JHWHsten“ gezeigt – zwingt die Deuteronomistik ihren Deutungsrahmen auf; spätere konkurrierende Konzeptionen – wie insbesondere die Priesterschrift mit ihrer anti-dialektischen, gewissermaßen „monologischen“ Theologie der reinen Gnade4 – werden mit ihr zusammengebunden und dadurch relativiert. Für das Geschichtsbild und das Gegenwartsverständnis, welches das Alte Testament seinen Rezipienten weiter reicht, wird der deuteronomistische Ansatz der wichtigste bleiben5, wahrscheinlich auch, weil er dem Ursprung prophetischer Theologie am nächsten steht und jede neue prophetische Theologie – von der Apokalyptik6 bis zum Neuen Testament7 – sie erneut revitalisiert.

Trotz dieser ihrer Bedeutung bleiben die Deuteronomisten seltsam anonym. „Deuteronomistik“ ist ein Kunstwort der alttestamentlichen Forschung. Es leitet sich ab vom Buch Deuteronomium, in dem das Gesetz (nomos) ein zweites Mal (deuteron) zusammengefasst gegeben wird. Diese Theologie schreibt sich also ihren Kanon, indem ihre Grundsätze als am Sinai dem Mose und durch Mose in seinen Abschiedsreden dem Volk übergeben dargestellt werden. Der älteste Kern dieses Buches, seine vorexilische, wahrscheinlich als Magna Charta der Kultreform des Königs Joschia dienende Fassung, stellt wohl den historischen Ursprung dieser Theologie dar.8 Der Grundgedanke dieses „Ur-Deuteronomiums“ ist dabei der eines einseitigen Bundes zwischen Gott und dem Volk, einseitig, weil Israel kein ebenbürtiger Partner, sondern vom Geschenk dieses Bundes völlig abhängig ist. Bis in den Stil hinein erscheint das Buch damit „als eine subversive Rezeption neuassyrischer Vertragstheologie“9: Juda ist nicht Vasall des assyrischen Großkönigs, sondern seines Gottes. „So wäre denn das große Gesetzeswerk des Deuteronomium als Dokument einer reformatorischen Bewegung zu verstehen, die bemüht war, die alten Gesetzestraditionen zu aktualisieren, die teilweise disparaten Stoffe theologisch zu durchdringen und zu vereinheitlichen. Man kann also im Deuteronomium das Resultat einer umfassenden theologischen Vergegenwärtigung alter Überlieferungen sehen, in der das spätere Israel die von Moses überlieferte Botschaft von Gott zu einer zeitnahen und geltenden Gesetzgebung machte.“10

Ansonsten verrät dieses Kunstwort aber vor allem, was wir nicht wissen: Nicht nur sind die Namen der deuteronomistischen Theologen unbekannt, weil sie als anonyme Redaktoren an der schriftlichen Überlieferung tätig sind. Undeutlich bleibt auch ihre soziale Stellung und Organisation als Schreiber am königlichen Hof oder am Tempel oder als „freie“ Sachwalter der prophetischen Theologie in der exilischen und nachexilischen Gemeinde. Umstritten bleibt bislang auch der Umfang der Texte, die man als „deuteronomistisch“ bezeichnen kann: Gab es ein geschlossenes „deuteronomistisches Geschichtswerk“, das den Pentateuch und die Bücher Josua, Richter sowie Könige umfasste, also von der Schöpfung bis zum Untergang Judas erzählte? Oder entsteht dieser Eindruck nur dadurch, dass in all diesen Büchern deuteronomistische Denkweise und deuteronomistischer Sprachstil feststellbar sind, ohne dass dies in einem direkt literarischen Zusammenhang stehen muss?

Die Beantwortung dieser Fragen hängt damit zusammen, ob man sich die Entwicklung der Deuteronomistik vornehmlich redaktionsgeschichtlich oder traditionsgeschichtlich erklärt, ob man also in den deuteronomistischen Passagen des Alten Testaments eine gezielte einheitliche Textbearbeitung am Werk sieht oder die Auswirkung einer Denk- und Sprechweise, die sozusagen „in der Luft lag“, die man also in religiösen Texten benutzte, wenn man feierlich und grundsätzlich wurde, auch ohne ein „zünftiger Deuteronomist“ zu sein. Diese Probleme der Forschung können hier aber offen bleiben. Denn wie auch immer die Entstehung eines deuteronomistischen Geschichtswerkes genauer ausgesehen hat, in jedem Fall ist es geprägt durch eine aus der Erfahrung des Exils sprechende geschichtstheologische Redaktion vorexilischer Geschichtserzählung, durch Rekurs auf die Propheten und die frühe deuteronomische Theologie zur Zeit König Joschias.11

Und gleich, wie man in den Einzelfragen entscheidet, bleibt die Deuteronomistik als eine die genannten alttestamentlichen Schriftengruppen durchwaltende Denkweise erkennbar. Diese Denkweise ist in sich konsistent und identifizierbar.12 Ihr theologisches Axiom bildet der Glaube an JHWH als den einzigen Gott, der Israel erwählt und einen Gnadenbund mit ihm schließt. Dieser Bund erhält seine Bestimmungen in den Geboten der Sinaioffenbarung. Diese Gebote konkretisieren die Bindung Israels an seinen Gott durch die Ausschließlichkeit seines Kultes in Jerusalem ebenso wie durch die soziale und politische Verfassung dieses Volkes, das in seinem Umgang miteinander oder mit Fremden der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei Rechnung trägt und in dem kein Königtum die Alleinherrschaft Jahwes verdunkeln darf. Historikern zeigt sich dies als „der erste, vollständig ausformulierte Nations- und Gesellschaftsvertrag der Welt, der die Männer, Frauen und Kinder, die Reichen und die Armen einer ganzen Gemeinschaft einbezieht.“13 Unschwer erkennt man die Verwandtschaft dieser theologischen Axiome mit dem Monotheismus, der Kult-, Sozial- und Politik-Kritik prophetischer Theologie.

Die prophetische Ansage von Gericht oder von Heil wird in dieser Theologie zum systematischen Axiom, indem sie als Konsequenz des Bundesschlusses den Geboten vom Sinai angefügt wird: Die Gebote Gottes sind Lebensgaben für Israel und verwandeln sich, wenn sie gelebt werden, in Segen. Der Bruch des Bundes, die Verachtung der Gebote wird jedoch mit Fluch belegt. Wer die Lebensordnung Gottes verlässt, wird sich den Tod, den Untergang zuziehen. Indem das Scheitern des Experiments eines „Staates Israel“ als Fluch im Fall des Bundesbruches den Geboten vom Sinai beigegeben wird, hängt das Damoklesschwert der Katastrophe schon über der Geschichte im gelobten Land, bevor diese – in der Erzähllogik des Buches Deuteronomium – überhaupt begonnen hat. „Das ist wie eine Androhung zur Zwangsräumung noch vor dem Einzug ins eigene Haus.“14 Damit ist die prophetische kontingente Qualifikation späterer Geschichtsstunden Israels schon vorlaufend begründet. Die Propheten wenden die „prophylaktisch“ gegebene Segens- oder Fluch-Verheißung Gottes auf die jeweiligen Taten Israels an.

Historisch gesehen war es natürlich umgekehrt: Die Deuteronomistik entwickelt ihre axiomatische Dialektik von Gericht und Heil aufgrund der Katastrophenerfahrungen der späten israelischen und judäischen Königreiche und in Orientierung an der prophetischen Kritik. Ist das ursprüngliche Buch Deuteronomium noch stark an der weisheitlichen Logik des Tun-Ergehen-Zusammenhangs orientiert, so radikalisiert dies die spätere Deuteronomistik im Sinne der prophetischen Gerichtsbotschaft.15 Ihre Wirkung erhält die Deuteronomistik dadurch, dass sie diese Axiome nicht nur aufstellt, sondern konkret auf die gesamte geschichtliche Erinnerung und Überlieferung Israels anwendet. Die Deuteronomistik leistet „die Umdeutung der prophetischen Zorn-Gottes-Botschaft zur geschichtstheologischen Deutungskategorie ex post“16. Darin durchdringt dieser Ansatz so sehr den Fächer biblischer Äußerungsweisen (Gesetze, Erzählungen, Prophetien, Gebete und Reflexionen), dass er schließlich im gesamten Kanon dominant wirkt, dass seine „besondere theologische Formulierung von Gottes Beziehung zu Israel als Bund normativ geworden ist ...; diese Sicht ist in die ganze Tradition hineingelesen worden“17, so „dass unabhängig vom Alter und den Begleitumständen, die hinter den deuteronomischen Bundesformulierungen stehen, ihre Theologie zu einem normativen Ausdruck von Gottes Beziehung zu Israel wurde und als eine theologische Leitkategorie zur Vereinheitlichung der gesamten Sammlung, die in den hebräischen Schriften enthalten ist, diente.“18 Nicht das Buch Deuteronomium als solches, sondern die deuteronomistische Bundes- und Geschichtstheologie soll im Folgenden als erste Verwirklichung apokalyptischer Vernunft charakterisiert werden.

Apokalyptische Vernunft

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