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Apokalyptisch: Offenbarung und Geschichte

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Warum wählt dieses Buch den Begriff des Apokalyptischen zum Leitwort? Ist das nicht eine vorschnelle Identifikation des biblischen Geschichtsdenkens mit der Apokalyptik, die man durchaus auch als ein Randphänomen der biblischen Schriften verstehen könnte?

Die Bezeichnung „apokalyptisch“ im Titel meint jedoch nicht dieses vermeintliche Randphänomen. Ich verwende den Begriff weiter und wörtlicher als die Religionsgeschichte, die mit Apokalyptik eine ganz bestimmte Literatur meint. Ich möchte damit bewusst den schillernden Doppelsinn des Wortes einfangen, weil er auf die richtige Spur der Analyse führt, weit über die apokalyptische Literatur im engen Sinn hinaus.

Zunächst heißt das griechische Verb „apokalypsein“ einfach „offenbaren“. Die entsprechende Literatur („Apokalypsen“) wurde ursprünglich so bezeichnet, weil sie Berichte von Offenbarungen an ihre Autoren oder Protagonisten enthält. So wird etwa die neutestamentliche Apokalypse als „Geheime Offenbarung“ eingedeutscht. Diesen breiten Wortsinn muss man beim Titel meines Unternehmens mithören und nicht ausschließlich die zweite, gleich zu „unterstellende“, mitschwingende Wortbedeutung. „Apokalyptische Vernunft“ ist vom Wortsinn zunächst einmal eine von Offenbarung Gottes sich herleitende Vernunft.8

Nun hört man beim Begriff „Apokalyptik“ jedoch nicht diese Allgemeinheit des Wortsinns, sondern den bestimmten Charakter einer mit Weltuntergang und Endzeitgeschehen befassten Offenbarung mit. So, mit den heute bei diesem Wort anklingenden Assoziationen, habe ich den Begriff hier eingeführt. Sie sollen mit „unterstellt“ sein. Sie wurden dies schon lange, weil die als Apokalyptik bezeichnete Literaturgattung sich ja meist mit universal-eschatologischen Szenarien des Untergangs, der Rettung und der Neuschöpfung von Welt und Menschheit und in dieser steilen Perspektive auch mit der Weltgeschichte ihrer Zeit befasste. Nun befasst sich dieses Buch jedoch nicht speziell mit den Offenbarungen dieser Literatur, der „Apokalyptik“ im Sinn der Philologen, sondern mit dem biblischen Geschichtsdenken insgesamt.9 Die „Unterstellung“ des Titels bedeutet also eine Charakterisierung dieser Offenbarungsbotschaft insgesamt, welche schon ein Ergebnis ihrer zu leistenden Analyse vorwegnimmt: Dass es sich bei ihr nämlich um eine Offenbarung handelt, die es – auch wo sie nicht im engen historischen Sinn schon „Apokalyptik“ bietet – mit Geschichte, und zwar in der Perspektive ihres Endes und Ziels, zu tun hat. Deren Offenbarungs-Anspruch besteht also darin, von Gott her um Ursprung und Ziel und dem Gefälle der Geschichte dazwischen zu wissen.

Man kann es mit Blick auf die „Vernünftigkeit“, den Wahrheitsanspruch dieses Denkens, auch so formulieren: Das biblische Zeugnis ist keines, dass sich in sich selbst verifizieren lässt. Es verweist für seine Verifikation einerseits stets „zurück“, nämlich auf die göttliche Offenbarung, der es sich verdankt. Es verweist andererseits stets auf eine noch ausstehende Verifikation vor, auf eine Zukunft, eine Erfüllung, eine Ankunft, in der Gott seine Offenbarung erneut oder schließlich endgültig verifizieren wird. Das biblische Denken und Sprechen geschieht „dazwischen“. Und dieses Dazwischen ist die Geschichte bzw. logisch umgekehrt: Weil der biblische Zeuge sich stets nur „dazwischen“ findet, fasst all sein Denken, Reden und Glauben Wahrheit geschichtlich – und nicht magisch oder mystisch oder philosophisch, wie vielleicht in anderen religiösen Denkformen.

Der Titel dieses Unternehmens greift das Schillern des Begriffs „apokalyptisch“ zwischen einfachem Wortsinn und assoziierten Inhalten also bewusst auf, um darin den Formal- und den Materialaspekt des biblischen Glaubens gleichzeitig zu fassen: den Formalaspekt, der im Denken und Sprechen von einer Kundgebung Gottes her besteht, den Materialaspekt, der diese Kundgebung als eine göttliche Offenbarung in Geschichte hinein und auf Geschichte bezogen und ihr Ganzes, nämlich ihr Ende, „vorwegnehmend“ versteht. Dass das Besondere biblischen Glaubens in dieser aus Gottes Selbstmitteilung abgeleiteten theo-eschatologischen Belichtung menschlicher Weltgeschichte besteht, wird die Analyse zu zeigen haben. Aber deren Ergebnis gehört schon in den Titel, weil das Unternehmen nur einen Sinn hat, wenn diese These mitvollzogen wird: Es ist dieser „apokalyptische“ Charakter biblischer Offenbarung, der ihr geschichtliches Schicksal und damit ihre Bedeutung für eine Theologie der Geschichte begründet, die in einer Zeit entworfen wird, in der sich die Menschheit dem möglichen Ende ihrer Geschichte, der säkularen Apokalyptik, zu stellen hat.

Apokalyptische Vernunft

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