Читать книгу Das Leuchten in mir - Grégoire Delacourt - Страница 24

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Ich möchte von den Tränen erzählen.

Kurz nachdem ich damals bei Cofinoga meine Stellung aufgegeben hatte, brach ich auf dem Bürgersteig zusammen. Wie eine Marionette, der man plötzlich alle Fäden abgeschnitten hatte. Mein unaufhaltsamer Tränenfluss war erschreckend. Zwei Passanten boten mir Hilfe an. Ein dritter wollte die Feuerwehr rufen.

»Alles gut«, stammelte ich. »Olivier wird mich abholen. Olivier ist mein Mann.«

Ich hatte ihn ein paar Minuten zuvor angerufen, gerade bevor mich die Scham vernichtet hatte, die Lawine über mich hinweggegangen war und unsichtbare Wunden aufgerissen hatte. Er war mit seinen Verkäufern in einer Schulung. Als er meine Stimme hörte, ließ er alles stehen und liegen, sprang vermutlich in das schnellste der verfügbaren Autos und holte mich ab. Er stellte den Wagen halb auf den Bürgersteig, die Bremsen quietschten bedrohlich, wie bei den Polizisten in den amerikanischen Serien, nach denen unser Sohn süchtig ist. Er stürzte zu mir, nahm mich in die Arme, küsste mich und flüsterte voller Verzweiflung: »Sag mir, dass dir nichts fehlt, bitte, bitte, Emma.« Ich bat ihn nur, mich mitzunehmen. »Bring mich nach Hause, bitte.«

Ich weinte im Wagen weiter. Meine Tränen rannen die Scheibe hinunter. Ich versuchte, sie zu trocknen, aber meine nassen Hände verschmierten sie nur, anstatt sie wegzuwischen. Ich entschuldigte mich, dass ich einen nagelneuen Wagen schmutzig machte. Er lächelte. »Du kannst ihn so schmutzig machen, wie du willst, wenn es dir gut tut, das ist uns scheißegal, es ist nur eine Karre, da, warte!« Er spuckte vor sich auf die Windschutzscheibe, ich fing an zu lachen, er holte einen Filzstift aus der Tasche und fing an, das Armaturenbrett aus hellem Leder zu beschmieren, schrieb unsere Anfangsbuchstaben und malte ein Herz um sie herum, ich versuchte, seine Hand festzuhalten. »Olivier, du bist verrückt, hör auf!«, und er lachte, lachte, »das ist nur eine Karre, Emma, wichtig bist du, wichtig ist, dass es dir gut geht«, ich verschluckte meine Tränen, und unser beider Lachen verschmolz zu einem.

Die Vorstellung, jemandem Böses zu tun, der dir einmal so zu Hilfe geeilt ist, tut weh.

An dem Nachmittag fuhr Olivier nicht mehr ins Geschäft, obwohl er einen wichtigen Termin wegen eines Angebots für die Fahrzeugflotte eines Unternehmens hatte. Wir blieben in unserem gemütlichen Haus – es wurde noch gebaut, aber wir fühlten uns schon wohl – und lagen lange eng umschlungen auf dem Sofa.

Später goss er uns ein großes Glas Wein ein. Oppidum. Château Saint Baillon. Veilchenduft. Dann legte er die CD von Agrippina auf, die Händel-Oper, die ich so liebe, und als Ottone im dritten Akt seine Treue zu Poppea besang: »No, no, ch’io non apprezzo / Che te, mio dolce amor / Tu sei tutt’il mio vezzo / Tutt’il mio cor«, »Nein, nein, ich liebe nur dich, mein süßes Herz / Du bist mein ganzes Glück, nur dir gehört mein Herz«, und sie sich ihm endlich hingegeben hatte, fing ich wieder an zu weinen. Diesmal waren es andere Tränen, sanft, warm und dick. Es waren meine Tränen als Dreizehnjährige, als ich mit meiner Mutter die erste Oper im Radio hörte, Orpheus und Eurydike, und ich sah, wie sie beim Klang von Orpheus’ Kastratenstimme erschauerte.

Dann bat ich Olivier, mit mir zu schlafen. Er war brutal. Es ging schnell – wie bei einem ungeschickten Halbwüchsigen. Danach entschuldigte er sich.

»Du hast mir Angst gemacht.«

Diese Brutalität fällt mir jetzt wieder ein. Dieser Moment, als er mich verletzte, ohne dass die Wunde sofort sichtbar wurde.

Mir fällt noch ein anderer Moment der Tränen ein.

Ich bin zwanzig. Olivier ist vierundzwanzig.

Vor kurzem hat er mir die hübschen Dinge erzählt, die die Mädchenherzen weich werden lassen, hat er mich gepflückt wie eine blasse, noch nicht ganz aufgeblühte Blume.

Immer noch ziehen sich meine Schamlippen zusammen, wenn seine Lippen sie berühren. Ich habe die Augen geschlossen. Meine Hände wagen wenig, er lenkt sie. Ich entdecke die Beschaffenheit der Haut, die Kälte des Schauers, den warmen, kurzen Atem, das Salz am Hals, im Nacken, auf der Brust, und manchmal wird mir von den Düften schwindlig.

Aber an jenem Abend ist sein Gesicht weit unten an meinem Bauch, und seine Hände halten meine Pobacken fest, seine Nägel verletzen mich, als er mich plötzlich hochhebt und mich an seinen Mund führt, wie ein bauchiges Cognacglas. Er öffnet mich und trinkt mich, seine Zunge taucht ein, seine Zähne bohren sich in mein Fleisch, er tut mir weh, ich stoße ihn heftig zurück, aber sein Kopf wird noch schwerer, seine Bewegungen werden drängender, meine Finger klammern sich an seine Haare, ziehen daran, schieben ihn weg, aber er wehrt sich, er hört mich nicht, hört nicht auf das Fehlen meiner Lust, er macht weiter, gierig und kannibalisch; dann tauchen Bilder auf, die ich nicht mag, die uns nicht ähnlich sind, die nicht wir sind, das bin nicht ich, dieser aufgerissene, verschlungene Körper, das tut er nicht mir an, sondern der Vulva einer Frau, irgendeiner; das ist meine erste Demütigung, eine Verletzung, die die Zeit nicht heilen wird, Fleisch in seinem Mund gewesen zu sein, irgendwas, irgendwer.

Meine ersten Tränen mit meinem Mann flossen an diesem Tag.

Das Leuchten in mir

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