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Sophie.

Sophie ist meine absolute Freundin. Absolut: ohne Einschränkung, ohne Grenze. Monatliche Abstecher nach Paris, Cinémathèque – Mackendrick, Cavalier, Zampa, Lang, Sarafian –, Orsay und Cartier oder der Marché Paul Bert auf dem Flohmarkt von Clignancourt. Tonnenweise Bücher. Manchmal die Inbrunst der Opern, die Leichtigkeit der Ballette.

Unsere Lachanfälle und all unsere Geheimnisse.

Sophie weiß. Sie kennt meine Aufrichtigkeit, sie kennt die Tiefe meiner Seen und die Ausbrüche meiner Seele. Meine Höhenflüge, wenn die Heldinnen der Opern, die ich liebe, abstürzen, Cio-Cio-San, Mimi, Rusalka.

Sie kennt auch meine Ausraster.

»Jetzt rastest du aus«, sagte sie, »aber total! Ich fasse zusammen. Du verknallst dich in einen Kerl, der sich in einem Lokal den Mund abgewischt hat, was, nebenbei gesagt, nicht wirklich außergewöhnlich ist und nur zeigt, dass er gut erzogen ist. Du siehst ihn jeden Mittag wieder. Länger als drei Wochen kein Wort, nur Hundeblicke, jämmerliche, verstohlene Blicke, errötendes Lächeln. Du tanzt auf dem Bürgersteig, bald singst du Gréco. Bald wirst du dich an seinen Nachbartisch setzen. Ihr werdet zum ersten Mal miteinander sprechen, es sei denn, der Kerl ist stumm. Du wirst dich nicht trauen, ihn anzuschauen. Er auch nicht, nehme ich an. Natürlich auch verheiratet. Von seiner Stimme, egal wie sie ist, wirst du Gänsehaut bekommen. Du vergleichst sie mit der von Sami Frey. Oder von Maurice Ronet. Davon bekommt man Gänsehaut, mein Gänschen. Vorher rufst du mich an. In Panik. Zierst dich: Was ist los mit mir, Sophie? Bist völlig von der Rolle. Und ich komme angerannt. Wie immer. Eiliger Dank für die absolute Freundin. Da bin ich und sehe dich vor mir sitzen, hör auf zu grinsen, du siehst bescheuert aus, wie mit sechzehn, zur Zeit deines Kleinmädchentagebuchs, doch, doch, Kleinmädchen, darf ich dich daran erinnern, wie du in Jean-Christophe Tant verknallt warst, den dunkelhaarigen Schönling, der auf der Gitarre nur Jeux interdits und San Francisco spielen konnte, das sagt alles. Wir hatten die Nase voll, schickten ihm Partituren von den Beatles und von Django Reinhardt. Sei still, darf ich dich daran erinnern, dass du sterben wolltest, weil er dich nicht ansah, und dass du deswegen plötzlich wie verrückt Akne bekommen hast? Und jetzt ist meine Freundin plötzlich debil, auch ohne Akne, obwohl du sie verdienen würdest, sogar megadebil.«

Sie schwieg einen Moment, dann sprach sie weiter, mit noch ernsterer Stimme. »Du wirst doch deswegen nicht Olivier verlassen. Deine Kinder verlassen. Dein Leben. Nach allem, was ihr erlebt habt. Seine Krankheit. Euer unglaublicher Mut. Wenn du ausflippen willst, fahren wir beide ein paar Tage nach Madrid. Wir trinken Bacardi, naranja y ron, du küsst zwei, drei Flamencotänzer, wenn du Lust hast, und vor allem, vor allem lässt du deine Debilität dort zurück, danach kehrst du zurück zu deiner genialen kleinen Familie. Ich nehme noch einen Kaffee, du auch? Und jetzt schmink dir erst mal dieses einfältige Grinsen ab. Bitte! Herr Ober, zwei Kaffee.«

Absolut.

Dann habe ich ihr von der Theorie des Flecks erzählt, von meiner Metapher für das Verlangen.

Am Anfang ist der Fleck winzig, ein kaum wahrnehmbarer Punkt an einer ungünstigen Stelle, wie ein Spritzer Tomatensoße auf einem weißen Hemd, unvermeidlich, genau über dem Herzen. Das Verlangen ist der Fleck, der sich da zeigt, wo es am meisten wehtut. Je länger man versucht, ihn zu entfernen, je mehr man reibt, desto größer wird der Fleck. Er wird zur Besessenheit, für alle sichtbar, bis er unauslöschlich ist. Bis er ein Teil von uns ist. Der Widerstand steigert das Verlangen nur. Es nimmt uns in Besitz.

Sophie erklärte, ich sei verrückt.

»Ja, ich bin verrückt«, sagte ich und musste lächeln.

Ich sprach von dem alten Gruselfilm, den wir zusammen gesehen hatten, als die Jungen im Gymnasium von nichts anderem redeten: Die Dämonischen. Sie sah mich ratlos an, und ich erinnerte sie daran, dass in dem Film die Einwohner einer Kleinstadt gefühllose Doppelgänger bekamen, die nicht mehr sie selbst waren.

»Das ist das wahre Verlangen, Sophie, das unüberwindbare Verlangen. Wenn man nicht mehr man selbst ist und dabei glücklich bleibt.«

Sie wiederholte, ich sei verrückt.

»Wahrscheinlich verwechselst du verrückt mit verliebt, Sophie.«

Sie regte sich auf. Ich sei egoistisch. Launisch. Leichtsinnig. Die schlimmste aller Mütter. Die entmutigendste Freundin, die es gibt. Kurz, eine riesige Enttäuschung. Eine Katastrophe. Dann beruhigte sie sich.

»Bei mir klappt gar nichts mit den Männern«, sagte sie. »Dreimal verheiratet und wieder allein. Aber du und Olivier, das ist, das ist …«, sie suchte die Worte, »… das ist schön. Ihr habt gemeinsam überlebt. Genau. Ihr werdet von allen beneidet, obwohl Autoverkäufer nicht wirklich mein Ding ist, das bringt abends nur begrenzten Gesprächsstoff, aber das ist nicht die Frage; gemeinsam gebt ihr ein schönes Bild von dem ab, was man sich unter einem Paar, einer Familie vorstellt. Das kannst du nicht zerstören, Emma.«

Es ist erstaunlich, welches Leben uns die anderen manchmal zuschreiben. Wie sie unsere Geschichte erzählen.

Das Leuchten in mir

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