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2.4.2 Die Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses

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Vor den Zeiten von mobilen Online-Karten und Navigationstechnologien musste man in einer fremden Stadt oft nach dem Weg – z. B. zu einem Museum – fragen und bekam etwa die folgende Antwort: »Gehen Sie bis zur nächsten Strasse geradeaus, biegen Sie links ab und dann gleich wieder rechts. Nach 100 Metern kommt eine Ampel, da müssen Sie wieder links gehen und dann nochmal rechts. Dann gehen Sie direkt auf das Gebäude zu.« Man bedankte sich für die Auskunft, hatte sich noch den Anfang der Instruktion merken können, und wenn man einmal links und einmal rechts abgebogen war, musste man erneut fragen. Die gesamte Wegbeschreibung hatte die Kapazität unseres Arbeitsgedächtnisses überschritten.

Das Beispiel soll veranschaulichen: Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist begrenzt, und in einer solchen Situation ist das natürlich hinderlich. Aber diese Begrenzung ist der Tatsache geschuldet, dass im Arbeitsgedächtnis parallel Prozesse ablaufen müssen, die uns ermöglichen, selbst gesetzte oder von der Umgebung eingeforderte Ziele zu verfolgen. Das erfordert selektive Aufmerksamkeit: Aus der Umgebung sollte nur Information aufgenommen und weiterverarbeitet werden, welche der Erreichung des Ziels dient. Ist die relevante Information einmal identifiziert, muss sie im Arbeitsgedächtnis gehalten werden, bis das Ziel erreicht wird, z. B. durch Wiederholung oder durch Vorstellungsbilder. Um effizient agieren zu können, muss ein Individuum also gleichzeitig parallel zur Selektion der eingehenden Informationen im Langzeitgedächtnis nach Informationen suchen, welche ebenfalls zur Erreichung des Ziels beitragen können (Wiedererkennen). Auch diese Informationen müssen aktiviert und im Arbeitsgedächtnis gehalten werden.

Zudem müssen irrelevante Reize aus der Umgebung ausgeblendet werden. Stellen wir uns eine Studentin vor, die in eine Vorlesung gehen möchte. Eigentlich ist sie müde und würde lieber etwas anderes machen. Sie weiß, in welchem Gebäude die Vorlesung stattfindet, muss aber noch den Raum suchen. Bis sie im Hörsaal angekommen ist, wird ihr Arbeitsgedächtnis gefordert. Sie hat eine ungefähre Ahnung von dem Aufbau des Gebäudes. Dieses Wissen wird aktiviert, also in das Arbeitsgedächtnis geladen. Gleichzeitig muss sie die Raumnummer im Arbeitsgedächtnis halten und sich vergegenwärtigen, in welchem Stockwerk sie sich gerade befindet und welche Treppe man sinnvollerweise nimmt. Unterwegs sieht sie Freunde, die sich gemütlich mit einem Kaffee niedergelassen haben. Sich nicht zu ihnen zu setzen, sondern in den Hörsaal zu gehen, erfordert die gezielte Unterdrückung von Bedürfnissen nach sozialem Austausch. Einmal im Hörsaal angekommen, sollte sie den Prozess des Wegfindens aber vollständig aus ihrem Arbeitsgedächtnis entfernen und dieses auf die Verarbeitung der Vorlesungsinhalte einstellen.

Nur wenige selbst gesetzte oder von der Umwelt vorgegebene Anforderungen basieren auf einem einzigen Ziel. Sie lassen sich vielmehr durch eine Zielhierarchie beschreiben, in der es ein übergeordnetes Ziel gibt, das in Unterziele aufgeteilt ist. Das stellt besondere Herausforderungen an das Arbeitsgedächtnis, da für die unterschiedlichen Ziele verschiedene Informations- und Wissenselemente mit unterschiedlichen Prioritäten im Arbeitsgedächtnis gehalten werden müssen.

Mit anderen Worten: Die unterschiedlichen Elemente sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten relevant und dementsprechend muss ihr Aktivierungsniveau an den Zeitverlauf angepasst werden. Ein Beispiel dazu: Wenn der Plan gefasst wurde, für acht Personen eine anspruchsvolle Mahlzeit zuzubereiten, ist die Aktivierung der Personenzahl bei manchen Unterzielen – z. B. dem Einkaufen oder bei der Entscheidung, wann man genug Kartoffeln geschält hat – relevant. Ist man hingegen gerade dabei, die Sauce Hollandaise vorzubereiten, muss man sich darauf konzentrieren, das Gerinnen der Eier zu verhindern. Deshalb ist gerade nicht relevant, wie viele Personen zum Essen kommen. Aber die Information darf nicht ganz in Vergessenheit geraten, da sie später wieder aktualisiert werden muss. Gleichzeitig muss das Arbeitsgedächtnis noch irrelevante Information hemmen. Der Lärm eines vorbeifahrenden Zuges muss zunächst als ungefährlich erkannt und dann ausgeblendet werden. Das Eigelb beim Zubereiten der Sauce Hollandaise erinnert vielleicht an einen Sonnenuntergang – aber wenn die Sauce gelingen soll, darf man sich diesen Erinnerungen nicht hingeben. Aus den Beispielen wird deutlich, dass das Arbeitsgedächtnis die Funktion hat, zwischen im Langzeitgedächtnis gespeicherter und eingehender neuer Information zu vermitteln. Wie das genau geschieht, wird von der zu bewältigenden Anforderung und dem damit verbundenen Ziel bestimmt.

Man kann sich das Arbeitsgedächtnis als ein flexibles Beleuchtungskonzept vorstellen, mit mehreren dimmbaren Glühbirnen. Die maximale Helligkeit (die der Arbeitsspeicherkapazität entspricht) ist vorgegeben und kann entweder auf viele oder auf wenige Glühbirnen verteilt werden. Entsprechend variiert die Helligkeit der einzelnen Glühbirnen. Ist man gerade sehr fokussiert, leuchten nur wenige Glühbirnen sehr hell, lässt man den Geist wandern, leuchten viele Glühbirnen stark gedimmt. Information, die für ein Unterziel erst zu einem späteren Zeitpunkt benötigt wird, entspricht einer gedimmten Glühlampe. Erlischt eine Glühlampe, welche eine noch benötigte Informationseinheit repräsentiert, wird die Anforderung nicht angemessen bewältigt.

Wenn wir bei dieser – stark vereinfachenden – Analogie bleiben, dann zeigt sich das Ausmaß von geistiger Leistungsfähigkeit zum einen in der zur Verfügung stehenden maximalen Helligkeit und zum anderen in der Geschwindigkeit, in der die Beleuchtungsstärke variiert werden kann. Menschen unterscheiden sich in der Kapazität, der Flexibilität und der Geschwindigkeit, mit der sie Information verarbeiten können. Im folgenden Kapitel ( Kap. 2.4.3) geht es zunächst um die Frage, wie man durch Lernen die Effizienz des Arbeitsgedächtnisses steigern kann.

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