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1.2 Das Angebot-Nutzungs-Modell und der Aufbau des Buchs

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Das Unterrichten ist eine außerordentlich komplexe und herausfordernde Aufgabe (Xiaodong, Schwartz & Hatano, 2005; Stern, 2009). Deshalb suchten wir nach einem konzeptuellen Rahmenmodell, in das sich die Erkenntnisse der Lehr- und Lern-Forschung gut einordnen ließen. Gleichzeitig sollte das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren im Lehr-Lern-Geschehen verdeutlicht werden. Wir wählten dafür eine modifizierte Variante des Angebot-Nutzungs-Modells (Fend, 1981; Helmke & Weinert, 1997; Helmke, 2010). Abbildung 1 zeigt eine für die ETH-Lehrpersonenausbildung angepasste und erweiterte Version des Modells.

Dazu nur so viel: Das Ziel von schulischem Unterricht ganz allgemein ist in diesem Modell der Ertrag, also die Kompetenzen, die die Schülerinnen und Schüler erwerben. Wie umfangreich und tiefgehend diese Kompetenzen sind, hängt wesentlich davon ab, wie die Schülerinnen und Schüler Lerngelegenheiten im Klassenzimmer nutzen. Diese Nutzung wiederum basiert auf dem Angebot, das ihnen während der Schulstunden gemacht wird – und damit sind wir beim wesentlichen Faktor angelangt, der Lehrperson. Deren Fachwissen und ihre Fähigkeit, das Fachwissen pädagogisch-didaktisch aufzubereiten und zu einem lernwirksamen Angebot zu bündeln, beeinflusst entscheidend, wie die Schülerinnen und Schüler das Angebot nutzen – und somit wiederum, wie viel sie lernen!

Um die Einleitung nicht zu überladen, belassen wir es an dieser Stelle mit dieser groben Vereinfachung, die nichtsdestotrotz den Kern des Modells und auch unserer ganzen Bemühungen, professionell unterrichtende Lehrpersonen auszubilden, zusammenfasst. Alle acht Kapitel dieses Buchs lassen sich im Angebot-Nutzungs-Modell verorten (was in den folgenden kurzen Kapitelzusammenfassungen auch geschieht). Aber die von uns in diesem Buch vorgelegte Reihenfolge der Kapitel orientiert sich nicht primär am Modell, sondern vielmehr an der beruflichen Realität von Lehrpersonen (unserem Zielpublikum). Das heißt: Die Kapitel 3 bis 6 decken gewissermaßen alle


Abb.1: Das Angebot-Nutzungs-Modell

Aspekte der Unterrichtsvorbereitung ab, während die Kapitel 7 und 8 die Unterrichtsdurchführung im engeren Sinne im Blick haben. Eine Sonderstellung nehmen die Kapitel 2 (kognitionspsychologische Grundlagen) und Kapitel 9 (wissenschaftstheoretischer Exkurs zur Lehr- und Lern-Forschung) ein.

Kapitel 2: Wer lehren will, muss das Lernen verstehen. Die kognitionspsychologischen Grundlagen des menschlichen Lernens

Kapitel 2 (Kap. 2) befasst sich im Wesentlichen mit dem Lernprozess selbst und dessen Ergebnis, dem Ertrag des Lernens, also den verschiedenen Wissensformen, die sich die Schülerinnen und Schüler aneignen. Der Text bildet sozusagen die begriffliche Grundlage für alle nachfolgenden Kapitel. Wir sind der Auffassung, dass Lehrpersonen eine Vorstellung davon haben sollen, wie menschliches Lernen ganz allgemein und somit auch das schulische Lernen funktioniert. Nur dann sind sie in der Lage, entsprechende Lernumgebungen zu gestalten und vor allem auch nachvollziehen zu können, was während des Unterrichts in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler vor sich geht.

Kapitel 3: Die lang-, mittel- und kurzfristige Planung schulischer Lerngelegenheiten

Im Kapitel 3 (Kap. 3) richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Planung des Unterrichts oder, bezogen auf unser Modell, auf die Gestaltung des Angebots durch die Lehrperson. Dabei beginnen wir mit einer langfristigen Perspektive (dem Erstellen eines Semesterplans) und zoomen stufenweise zur didaktischen Planung kleinerer Einheiten, bis hin zur einzelnen Schulstunde. Als zentrales Planungsinstrument führen wir eine neue Lernzieltaxonomie ein (die PUT), die Lehrpersonen darin unterstützen soll, Lernziele und die Wahl der Unterrichtsmethoden aufeinander abzustimmen.

Kapitel 4: Unterricht methodisch lernwirksam gestalten

Das vierte Kapitel (Kap. 4) führt Kapitel 3 unmittelbar fort, da die Unterrichtsmethoden hier detailliert behandelt werden (der Fokus bleibt also bei der Gestaltung des Angebots). Auch hier gehen wir zuerst auf die didaktischen Großformen (Direkte Instruktion bzw. Kooperative Lernformen) und ihren möglichst lernwirksamen Einsatz im Unterricht ein. Dann widmen wir uns den Feinheiten bei deren Ausgestaltung. Wir stellen vier Techniken der Kognitiven Aktivierung vor und referieren, welche Gesichtspunkte beim Stellen von Fragen und beim Formulieren von Aufgaben zu berücksichtigen sind. Auch die wichtigsten Befunde zum Thema Hausaufgaben fassen wir zusammen. Da wir in diesem Buch weitgehend fach- und inhaltsunabhängige Themen behandeln, möchten wir bereits an dieser Stelle auf die Unterrichtseinheiten des MINT-Lernzentrums verweisen. Hier werden unter anderem in den Fächern Chemie, Mathematik und Physik Unterrichtseinheiten entwickelt, die auf Erkenntnissen der Lehr- und Lern-Forschung beruhen. Die daraus entstandenen Bücher und Artikel können auf der Homepage des MINT-Lernzentrums eingesehen werden (Link: https://educ.ethz.ch/lernzentren/mint-lernzentrum.html).

Kapitel 5: Das individuelle Lernen unterstützen

Wenn wir hier den Anspruch verfolgen, die in der Lehr- und Lern-Forschung festgestellten Befunde zur Lernwirksamkeit von Unterricht für die schulische Praxis aufzuarbeiten, dann spielt das Kapitel 5 ( Kap. 5) eine Schlüsselrolle. Es wird aufgezeigt, inwiefern Lehrpersonen ihre Schülerinnen und Schüler effektiv darin unterstützen können, das Angebot aufgrund der je individuell vorhandenen Lernvoraussetzungen möglichst optimal zu nutzen. Mit dem sogenannten Formativen Assessment steht nämlich ein hochwirksames Mittel zur Verfügung, damit dies tatsächlich gelingt. Das Kapitel thematisiert einerseits ganz allgemein, wie man mit der zum Teil ausgeprägten Heterogenität in Klassen umgehen kann, ohne sich selber zu überfordern; andererseits wird auch eine Reihe von Techniken des Formativen Assessments vorgestellt, die zumeist recht niederschwellig, aber hoch lernwirksam im Unterricht einsetzbar sind.

Kapitel 6: Lernleistung bewerten: Summatives Assessment

Das Kapitel 6 ( Kap. 6) befasst sich schließlich mit dem Ertrag des Lernens, also mit dem Wissen, das die Schülerinnen und Schüler durch die Nutzung der Lernangebote erworben haben (sollen). Wenn wir auch immer wieder betonen, dass der Lernprozess im Zentrum des schulischen Lehrens stehen soll, so ist uns natürlich auch bewusst, dass die Beurteilung und somit auch die Selektion nach wie vor eine zentrale Aufgabe von Lehrpersonen ist. Dieser Tatsache trägt das Kapitel 6 unter dem Begriff Summatives Assessment Rechnung. Auf der theoretischen Grundlage der Psychometrie legen wir dar, welche Anforderungen Tests bzw. Prüfungen eigentlich auch in schulischen Kontexten genügen müss(t)en. Darüber hinaus führen wir Lehrpersonen anhand von neun Schritten durch den gesamten Prozess von der Konzeption über die konkrete Gestaltung bis hin zur Korrektur und kritischen Prüfung einer Prüfung selbst.

Kapitel 7: Klassenführung: Die Voraussetzungen für effektives Lernen schaffen

Mit dem Kapitel 7 ( Kap. 7) – Klassenführung – betreten wir gleichsam das Schulzimmer, womit die Lehrperson selber (im Modell die Kästchen ganz links) in den Fokus rückt: Die Vorbereitungsphase ist beendet, die Glocke signalisiert den Unterrichtsbeginn, Sie stehen vor einer Gruppe von Kindern oder Jugendlichen und müssen diese während einer oder mehrerer Lektionen zum Lernen anleiten. Nach einem kurzen Abriss über die Geschichte der Forschung zu diesem Thema legen wir dar, welche Maßnahmen einer Lehrperson zur Verfügung stehen, wenn es darum geht, Unterrichtsstörungen präventiv zu verhindern oder aber, falls sie auftreten, möglichst wirksam zu intervenieren, um sie wieder zu beenden. Dabei bleibt immer das Ziel, eine gute Beziehung zur Klasse aufrecht zu erhalten und somit die Basis zu schaffen, damit der (aufwändig) vorbereitete Unterricht (das Angebot) möglichst lernwirksam durchgeführt, d. h. genutzt werden kann.

Kapitel 8: Psychosoziale Anforderungen im Lehrberuf

Auch in Kapitel 8 ( Kap. 8) steht nicht primär das Lehren und Lernen im Fokus, sondern die Lehrerinnen und Lehrer als Personen. Unterrichten ist eine komplexe Angelegenheit – der Lehrberuf ist somit unbestritten eine sehr vielseitige und abwechslungsreiche Profession; langjähriger Schuldienst kann aber auch anstrengend und unter Umständen belastend sein. Der Autor dieses Kapitels ist selbst langjähriger Lehrer und weiß, wovon er redet. Daher widmen wir ein ganzes Kapitel den psychosozialen Anforderungen, mit denen Lehrpersonen gerade auch am Anfang ihrer Tätigkeit konfrontiert sind. Wir zeigen auf, mit welchen Stressoren man es bei der Berufsausübung zu tun hat und wie sie produktiv bewältigt werden können. Zentrale Faktoren, um dieses Ziel zu erreichen, sind einerseits die Fähigkeit, mit allen am Schulleben Beteiligten in schwierigen Situationen kompetent zu kommunizieren, und andererseits, sich selbst beim Arbeiten so zu regulieren, dass man dem permanenten Handlungsdruck nicht ins Messer läuft.

Kapitel 9: Wissenschaftstheoretischer Hintergrund: Die Methoden der empirischen Lehr- und Lern-Forschung

Lehrpersonen stehen jeden Tag vor einer Vielzahl von Entscheidungen: Was will ich vermitteln? Welche Lernziele sollen erreicht werden? Welche Methode ist dafür geeignet? Wie gehe ich mit den beiden Störenfrieden in der hintersten Reihe um? Usw. Die seit rund 5 Jahrzehnten betriebene Lehr- und Lern-Forschung versucht, auf solche Fragen evidenzbasierte Antworten zu liefern, um damit Lehrpersonen letztlich darin zu unterstützen, Entscheidungen nicht einfach aus dem Bauch heraus, sondern aufgrund von empirisch überprüften Befunden (man nennt dies auch evidenzbasiert) zu treffen. Auf solchen Befunden basieren auch unsere Ausführungen in den Kapiteln 2–8. Doch wodurch ist diese Forschungsrichtung selbst geprägt, welches sind ihre Methoden, wie verlässlich und wie praxisrelevant sind die durch sie hervorgebrachten Resultate? Das letzte Kapitel ( Kap. 9) gibt einen Abriss über dieses faszinierende Forschungsgebiet, zeigt aber auch dessen Probleme und Grenzen auf. So werden interessierte Lehrpersonen in die Lage versetzt, eigenständig Fachartikel (auch kritisch) zu rezipieren und den Wahrheitsgehalt von Medienberichten zu Bildungsthemen einzuschätzen.

Es mag sein, dass Sie als Leserin oder Leser im vorliegenden Buch ein Kapitel über die sogenannte »Digitalisierung« vermissen. Natürlich ist es uns auch bewusst, dass dieser Trend unaufhaltsam ist, nicht nur in der Schule. Und natürlich ist gegen den gezielten Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im schulischen Unterricht nichts einzuwenden, im Gegenteil. Nichtsdestotrotz ist es für uns aus kognitions- und lernpsychologischer Sicht völlig klar: Ob man nun als Hilfsmittel die Wandtafel oder aber ein digitales Gadget nach dem neusten Stand der Technik einsetzt, ist zunächst einmal zweitrangig. Entscheidend ist in jedem Fall, dass etwa die Fachinhalte auf Lernziele heruntergebrochen werden, dass die Lehrperson an das bei den Schülerinnen und Schülern bestehende Vorwissen anknüpft und eine zur Erreichung der Lernziele adäquate Methode auswählt. Wenn diese Arbeit nicht professionell geleistet wird, dann bringt auch der Einsatz noch so elaborierter Technologien keinen Vorteil vor dem traditionellen Unterricht mit Papier und Wandtafel.

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