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1.1 »Teachers make a difference«

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In den drei Sätzen kommt aus Schülersicht zum Ausdruck, was auch in der einflussreichen Hattie-Studie (Hattie, 2009) klar wird: Neben vielen wichtigen Erkenntnissen über die Wirksamkeit verschiedener Lehrmethoden, individuellen Merkmalen der Schüler oder strukturellen Merkmalen des Bildungssystems war ein Kernbefund, dass die Lehrperson tatsächlich sehr wichtig für den Lernfortschritt ist: Mit ihrem Unterricht haben Lehrerinnen und Lehrer einen entscheidenden Einfluss darauf, wie und in welchem Ausmaß ihre Schüler ihre Intelligenz investieren.

Die besondere Bedeutung der Lehrperson mag dem einen oder der anderen sicher als Binsenweisheit erscheinen. Tatsächlich spielte diese aber in öffentlichen Debatten zur Verbesserung des Bildungssystems lange kaum eine Rolle. Hier wurde hauptsächlich der Bedeutung der Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler oder strukturellen Merkmalen des Bildungssystems (wie etwa das mehrgliedrige Schulsystem, Eigenschaften der Schulleitung oder die Klassengröße) Beachtung geschenkt.

Manchen Lehrpersonen mag auch die (im Grunde falsche) Überzeugung in die Karten gespielt haben, dass sie oder er eigentlich keinen großen Einfluss auf den Lernerfolg der Schüler hat. Die Verantwortung wurde gerne auf die unzulänglichen kognitiven Voraussetzungen oder die fehlende Motivation der Lernenden, die mangelhafte Erziehung durch die Eltern oder die falsche Bildungspolitik abgeschoben. Die Hattie-Studie zeigt uns aber deutlich, dass es durchaus auf die Lehrperson ankommt: Teachers make a difference!

Gleichzeitig wissen wir aus anderen Studien, dass damit gerade nicht eine angeborene Lehrerpersönlichkeit gemeint ist und dass es nicht reicht, nur über einen ausgezeichneten fachlichen Wissensstand zu verfügen oder für sein Fach zu »brennen«. Das entscheidende Merkmal für die Unterrichtsqualität und damit für das erfolgreiche Lernen der Schülerinnen und Schüler sind die professionellen Kompetenzen der Lehrpersonen, also zum Beispiel ihr Wissen über das Lernen ganz allgemein, über lernwirksame Methoden und über eine konstruktive Klassenführung. Aus dieser Befundlage ergeben sich mindestens zwei wichtige Konsequenzen.

Erstens müssen sich die Lehrpersonen ihrer Verantwortung für die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler bewusst werden und ihr professionelles Handeln entsprechend gestalten. Nach unserer Auffassung sind die Zeiten, in denen Lehrpersonen so unterrichten können, »dass es einfach zu meinem persönlichen Stil passt«, endgültig vorbei. Dazu liegen zu viele und empirisch zu gut abgesicherte Befunde zum menschlichen Lernen aus der Lehr- und Lern-Forschung sowie aus der Kognitionspsychologie vor. Nur wenigen käme es heute noch in den Sinn, in einem medizinischen Notfall eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen, die oder der aus einer persönlichen Vorliebe heraus nach den Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts diagnostiziert und behandelt. Vielmehr erwartet man eine professionelle Behandlung nach dem state of the art der medizinischen Forschung – und der ist in jedem Fall evidenzbasiert. Genauso gibt es in der seit rund einem halben Jahrhundert betriebenen empirischen Lehr- und Lern-Forschung mittlerweile eine große Zahl von stabilen Befunden zum menschlichen Lernen, denen man sich unseres Erachtens als professionelle Lehrperson schlicht nicht mehr entziehen kann.

Zweitens müssen Lehrpersonen durch eine adäquate Aus- und Weiterbildung auch tatsächlich in die Lage versetzt werden, dieses professionelle Handeln zu entwickeln. Und gerade an diesem Punkt setzt das Konzept für das vorliegende Buch an. Als vor rund 15 Jahren die Lehrpersonenausbildung an der ETH Zürich neu strukturiert werden musste, haben wir uns als Team intensiv mit der Frage beschäftigt: Welches fachübergreifende, professionelle Handlungswissen können wir auf welche Weise den angehenden Lehrpersonen mit auf ihren beruflichen Weg geben? Wir sahen uns also mit der Herausforderung konfrontiert, die aktuellen Befunde der Lehr- und Lern-Forschung einschließlich entwicklungspsychologischer Inhalte in nur vier Modulen mit insgesamt 30 Kreditpunkten zu vermitteln. Daher mussten wir uns auf die Inhalte beschränken, die aktuellen Befunden zufolge als die am relevantesten gelten, um lernwirksamen Unterricht vorzubereiten und durchzuführen.

In dem vorliegenden Buch haben wir die Inhalte des erziehungswissenschaftlichen Teils der Lehrpersonenausbildung an der ETH Zürich (Lehrdiplom für Maturitätsschulen) so aufbereitet, dass sie einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Bei der Auswahl der Inhalte haben wir uns auf die Themen konzentriert, die in aktuellen bildungswissenschaftlichen Studien, wie etwa der Hattie-Studie, als besonders wichtig und relevant identifiziert wurden. Wir sind überzeugt, dass sich das Buch daher sehr gut für angehende Lehrpersonen aller Schulstufen während des Studiums zur Entwicklung einer konzeptuellen Wissensbasis oder zur Prüfungsvorbereitung eignet. Es kann ebenso von Lehrpersonen während des Berufseinstiegs beigezogen werden, um das Vorwissen zu aktivieren bzw. zu aktualisieren und dieses bei den Lektionsplanungen oder bei anderen Gelegenheiten im Schulalltag zu verwenden. Schließlich sei es auch erfahrenen Lehrpersonen empfohlen, um etwa ihre Lehrerfahrungen vor dem Hintergrund der aktuellen Befundlage mit dem Ziel einer professionellen Weiterentwicklung zu reflektieren.

Alle Autorinnen und Autoren sind aufgrund ihrer Forschungstätigkeit wie auch aufgrund ihrer teilweise langjährigen Unterrichtstätigkeit vor allem an Gymnasien davon überzeugt, dass das in diesem Buch zusammengetragene Wissen, wenn es sich denn in der alltäglichen Praxis spiegelt, einen großen Unterschied machen kann. Nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für den Erfolg der Lehrpersonen selber als professionell agierende Expertinnen und Experten im Schulzimmer!

Professionelles Handlungswissen für Lehrerinnen und Lehrer

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