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2.4.4 Lernen als Explikation und Vernetzung: Der Aufbau von deklarativem Wissen

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Dass wir das geschriebene Wort »Maschine« auf einen Blick erkennen, ist unserer Fähigkeit zum Chunking ( Kap. 2.4.3) geschuldet. Dass wir hingegen anderen Menschen erklären können, was eine Maschine ist, basiert auf deklarativem Wissen. Damit ist in der Kognitionspsychologie eine Wissensart gemeint, die sich in Symbolsysteme wie Sprache, Schrift, Formeln oder Bilder überführen lässt. Den Kern dieses Wissens bilden Begriffe bzw. Konzepte, Beispiele dafür sind »Hund«, »Säugetier«, »Gerechtigkeit«, »Primzahl« oder »Relativitätstheorie«.

Deklaratives Begriffswissen entsteht durch die Verbindung zu anderen Begriffen. Dies können Eigenschaften sein wie z. B. »rot« und »rund« oder aber Begriffe auf der gleichen kategorialen Ebene wie »Ball« und »Teddybär«, die zusammen die Grundlage für Oberbegriffe wie »Spielzeug« bilden können. Aus der Verbindung zwischen Begriffen entstehen Netzwerke, die unterschiedlich umfangreich und verschieden strukturiert sein können. Der passionierte Hundebesitzer wird bei dem Begriff »Hund« sofort den Namen und visuelle Vorstellungen seines Hundes aktivieren, die professionelle Biologin hingegen einen übergeordneten Begriff wie »domestiziertes Säugetier«.

Ein wichtiger Grund für die oft wenig erfolgreiche Kommunikation zwischen Menschen, insbesondere jene zwischen Lehrpersonen und Lernenden, besteht darin, dass zwar die gleichen Wörter verwendet werden, währenddem die konzeptuellen Netzwerke, in die sie eingebettet sind, sehr unterschiedlich sind. So wird das Begriffswissen von so genannten Novizen, also Menschen, die sich in einem Gebiet nur sehr oberflächlich auskennen, zunächst von charakteristischen Oberflächenmerkmalen und nicht von theoriegeleiteten, definitorischen Merkmalen bestimmt. Novizen lassen sich bei der Bildung von Begriffen in erster Linie von ihrer Wahrnehmung leiten. Da Kinder aufgrund fehlender Lerngelegenheiten in den allermeisten Gebieten so genannte universelle Novizen sind, ist bei ihnen besonders häufig eine Konzentration auf charakteristische Oberflächenmerkmale zu beobachten. Dies – und nicht wie von dem berühmten Entwicklungspsychologen Jean Piaget angenommen die fehlende Abstraktionsfähigkeit – ist die Ursache für altersbedingte Unterschiede in der Denkleistung (Stern, 2005).

Jüngere Grundschulkinder bejahen zum Beispiel die Frage, ob ein Haufen Reis, verneinen aber die Frage, ob ein einzelnes Reiskorn etwas wiege. Diese zunächst unverständliche Antwort wird nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass jüngere Kinder »Gewicht« und »sich schwer anfühlen« noch miteinander gleichsetzen. Auch dass der Wal ein Säugetier und kein Fisch ist, ist für Kinder schwer zu verstehen, weil sie Tiere zunächst nach ihrem Lebensraum einteilen. Dass die Art der Fortpflanzung – die man im Allgemeinen nicht zu sehen bekommt – ein sinnvolles Kriterium bei der Klassifikation von Tieren sein kann, versteht man erst auf der Grundlage von zusätzlichem und tiefer gehendem biologischen Wissen. Erst wenn ein Verständnis für den theoretischen Hintergrund vorliegt, der die Unterteilung in Säugetiere und Fische notwendig macht, werden nicht mehr charakteristische (lebt im Wasser), sondern definitorische Merkmale (Nachwuchs wird lebend geboren und mit Muttermilch ernährt) zur Unterscheidung herangezogen (Carey, 2000).

Kommen wir auf das Beispiel der Maschine zurück. Kinder schreiben dem Begriff Maschine etwa die charakteristischen Eigenschaften zu, dass diese aus Stahl sei, von einer fossilen oder elektrischen Energiequelle angetrieben werde und Krach mache. Wer hingegen Newtons Axiome verstanden hat, wird das Konzept der Maschine in den Kontext der Mechanik einordnen und somit nicht das Arbeitsgedächtnis mit Begriffen wie Metall, Lärm oder Bewegung belasten. Vielmehr wird diese Person eine Maschine als ein Werkzeug verstehen, das zur Umwandlung einer Kraft dient, um diese möglichst zweckmäßig zur Verrichtung von Arbeit einzusetzen. Auch wenn die Person bisher nicht darüber nachgedacht hat, dass auch eine simple Holzschraube eine Maschine sein kann, wird sie die Frage »Ist eine Schraube eine Maschine?« mit »ja« beantworten. Ein nach definitorischen Merkmalen und in einen Theoriekontext eingebettetes Begriffsnetzwerk optimiert die Nutzung der Arbeitsgedächtnisfunktionen und damit unser Denken in gleicher Weise wie Prozeduralisierung und Chunking.

Man stelle sich vor, auf einer Party treffe man auf einen Biologen, dessen Spezialgebiet Saolas sind. Wer noch nie die Bezeichnung »Saola« gehört hat, aber erfährt, dass es sich um ein vietnamesisches Waldrind handle, weiß schon eine Menge über das Tier, wenn die Konzepte »Huftier« und »Säugetier« und »Boviden« bekannt sind. Letztere sind Hornträger und Wiederkäuer. Auf die Frage »Frisst ein Saola Fleisch?«, wird man mit »nein« antworten können, selbst wenn man immer noch nicht weiß, wie ein Saola aussieht. Verfällt der Biologe in einen Monolog über Details der Lebensweise von Saolas, wird man vielen Details folgen können, weil auf Boviden nicht zutreffende Eigenschaften (Fleisch als Nahrungsquelle, Baumkronen als Lebensort, mehr als zwei Nachkommen in einem Wurf als Standardfall) deaktiviert wurde, während Wissen, welches wichtig werden könnte (Fressfeinde, Art der Pflanzennahrung, Herde als Lebensform) stärker aktiviert wird, so dass eingehende Information daran angebunden werden kann und somit nicht verloren geht.

Ein gut strukturiertes Wissensnetzwerk in einem Inhaltsbereich ermöglicht also dem Arbeitsgedächtnis eine gezielte Hemmung und Aktivierung von bestehendem Wissen in Abhängigkeit von der zu bewältigenden Anforderung, also dem übergeordneten Ziel. Dieses setzt eine Erwartungshaltung in Gang, die vom Arbeitsgedächtnis gemanagt wird. Wie gut dies gelingt, hängt von zwei Faktoren ab: Der Effizienz der Arbeitsgedächtnisfunktion, in der sich Intelligenzunterschiede niederschlagen (das wird unten ( Kap. 2.5) noch ausgeführt) und der Organisation des Wissens im Sinne einer Verdichtung und einer Vernetzung von Wissenselementen.

Ein gut organisiertes Wissensnetzwerk erlaubt die Konstruktion neuen Wissens durch schlussfolgerndes Denken. Bleiben wir bei dem Beispiel des Saolas, von dem wir nur wissen, dass es ein vietnamesisches Waldrind ist. Alles, was wir über die definitorischen Eigenschaften von Rindern wissen – Säugetiere, Pflanzenfresser, Wiederkäuer, Huftiere –, können wir auf das Saola übertragen. Wer über ein nach definitorischen Merkmalen abgespeichertes Konzept »Rind« verfügt, wird nicht die charakteristischen Merkmale der ihm bekannten Charolais-Rinder – wie z. B. Größe oder Fellfarbe – auf das Saola übertragen, weil er weiß, dass verschiedene Rinderarten in diesen beiden Merkmalen stark variieren können.

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