Читать книгу Professionelles Handlungswissen für Lehrerinnen und Lehrer - Группа авторов - Страница 22
2.4.6 Intelligentes Wissen als der Schlüssel zum Können: Der Erwerb von Kompetenzen
ОглавлениеWie aber erwirbt man abstraktes und wissenschaftlich konformes Begriffswissen? Hierbei ist oft nicht das fehlende, sondern das bestehende Wissen ein Problem. Was spricht dagegen, die Sonne als ein mächtiges Lebewesen zu sehen, das uns Erdenbewohnern in regelmäßigen Abständen Licht schenkt? Wer einen Strudel im Fluss oder abfließendes Wasser in der Badewanne beobachtet hat, kann sich durchaus vorstellen, dass das Wasser saugt. Wenn in Wasser eingetauchte Gegenstände untergehen, wird dies konsequenterweise damit erklärt, dass das Wasser sie nach unten saugt. Wer gesehen hat, wie der Wind – von Kindern mit Luft gleichgesetzt – Gegenstände aufwirbelt, wird die Tatsache, dass manche Gegenstände nicht im Wasser untergehen, damit erklären, dass die Luft sie nach oben zieht.
Eine Erklärung dafür, dass vom Physikunterricht so wenig hängen bleibt, ist die, dass die Schülerinnen und Schüler bereits lange, bevor das Fach in der Schule gelehrt wird, sich viele Gedanken über Begriffe wie Energie, Arbeit oder Geschwindigkeit gemacht haben. Ihre eigenen Vorstellungen und Konzepte sind dann so stabil, dass für die Feinheiten, die die Physiklehrperson zu vermitteln versucht, in ihrem Wissensnetz kein Platz mehr ist (Carey, 2000). Nur wenn eine sogenannte konzeptuelle Umstrukturierung erfolgt, können die Schülerinnen und Schüler die physikalische Definition einer Maschine verstehen. Also erst, wenn bisher als zentral angesehene Merkmale (z. B. »Eine Maschine besteht aus Stahl.«) als peripher eingestuft werden, dafür aber das Verrichten von Arbeit im physikalischen Sinne als definitorisches Merkmal betrachtet wird, kann ein wissenschaftlich adäquates Begriffsnetzwerk aufgebaut werden.
Während sich bei manchen Konzepten, wie z. B. beim Gewicht, der Wandel ganz nebenbei vollzieht, bedarf es bei vielen anderen Konzepten der professionellen Instruktion. Welche Lernformen die Schülerinnen und Schüler beim Erwerb von tragfähigem konzeptuellem Wissen besonders effektiv unterstützen können, wird im Kapitel 4.8 ( Kap. 4.8) behandelt.
Um Menschen beim Lernen zu unterstützen, müssen Lernziele formuliert werden, die die anzustrebenden Kompetenzen explizit machen (z. B. Hattie, 2009). Welche Kompetenzen sollen aber die Lernenden beherrschen? In dem Modell in Abbildung 1 ( Abb. 1) sind Kompetenzen als kognitive Prozesse bezeichnet. Sie beziehen sich auf die unten eingeführte und erläuterte Lernzieltaxonomie PUT ( Kap. 3.3.2) und können Lehrpersonen helfen, Prüfungs- und Lernaufgaben zu formulieren. Die Lernzieltaxonomie hat eine hierarchische Struktur: Man kann nur verstehen, was man erinnern kann, und nur analysieren, was man anwenden kann usw.
Ein grobes Missverständnis wäre es aber zu meinen, dass man im Unterricht die kognitiven Prozesse nacheinander abarbeiten müsste: Erst Fakten lernen, dann die Beziehung zwischen den Fakten verstehen, danach Anwendung usw. Im Unterricht geht es darum, prozedurales und deklaratives Wissen aufzubauen, um die in Abbildung 1 ( Abb. 1) aufgelisteten kognitiven Prozesse zu ermöglichen. Dabei darf man sich den Aufbau von Wissen jedoch nicht wie das Besteigen einer Treppe oder einer Leiter vorstellen, sondern eher als einen nicht kontinuierlich verlaufenden Prozess der Optimierung von Netzwerken aus deklarativem und prozeduralem Wissen.
Wissen kann durch unterschiedliche Aktivitäten entstehen. Ein Merksatz oder eine Definition kann zum Aufbau, zur Erweiterung oder zur Umstrukturierung eines Konzeptes führen. Allerdings kann nicht erwartet werden, dass diese Art des Lernens ausreicht, um das Begriffswissen zur Bewältigung neuer Anforderungen heranzuziehen. Der Erwerb einer flexiblen Wissensbasis, in der die Bündelung von Faktenwissen, prozeduralisierten Handlungen und Konzepten integriert ist, wird durch die Bewältigung von Anforderungen erworben. Kern der professionellen Expertise von Lehrpersonen ist die angemessene Auswahl von Aufgaben und Aufträgen sowie ein angemessener Unterrichtseinstieg, der die Schülerinnen und Schüler dazu motiviert, sich mit dem Thema zu befassen. Sie sollen wissen, was auf sie zukommt.