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2.5.2 Intelligenz und Arbeitsgedächtnisfunktionen

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Abb. 5: Mögliche Aufgaben aus Intelligenztests

In Abbildung 5 sind drei Aufgaben – eine sprachliche, eine numerische und eine räumlich-visuelle – aufgeführt, wie sie in Intelligenztests zu finden sind. Oberflächlich unterscheiden sie sich, aber gemeinsam ist ihnen, dass aus bekanntem Material neue Schlüsse gezogen werden müssen. Schlussfolgerndes Denken, also die Generierung neuen Wissens durch Induktion oder Deduktion aus bestehendem Wissen, ist der Kern menschlicher Intelligenz. Es stellt hohe Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis: Die gesamte Information muss zunächst gespeichert werden, die einzelnen Elemente müssen miteinander verglichen und irrelevante Aspekte deaktiviert werden. Parallel dazu müssen Lösungen generiert und auf ihre Richtigkeit geprüft werden. So sind »Analogien finden« typische Intelligenzaufgaben. Es wird ein Wortpaar vorgegeben, zwischen dem eine Beziehung besteht: »Wald : Baum«. Diese Beziehung soll auf ein anderes Wortpaar übertragen werden, wobei ein Wort bereits vorgegeben wurde: »Wiese«. Man hat die Auswahl zwischen »Gras, Heu, Futter, Grün, Weide«. Die gemeinsame Farbe von Wald, Bäume und Wiese ist zweifellos »grün«, die Wahl wäre aber falsch, da es nicht um die Gemeinsamkeit der drei Wörter geht, sondern um die Gemeinsamkeit der Beziehung zwischen zwei Wortpaaren. Das erfordert eine zusätzliche Abstraktionsstufe. »Wiese« steht zu drei weiteren Begriffen in enger Beziehung, nämlich als Futterquelle für Wiederkäuer, die auf der Wiese weiden oder das Gras in getrocknetem Zustand fressen können.

Solche Überlegungen gehen aber in die falsche Richtung, da sie nichts mit der Beziehung zwischen Wald und Bäumen zu tun haben. Intelligente Menschen würden deshalb zunächst darüber nachdenken, was genau die Beziehung zwischen Wald und Bäume ausmacht. Zu sagen, dass im Wald Bäume stehen, wäre zu ungenau. Im Wald können auch Pilze sein, so wie auf einer Wiese Heu liegen kann. Entscheidend ist, dass Wald durch die Existenz von Bäumen definiert ist, so wie die Wiese durch die Existenz von Gräsern. Die Herausforderung bei der Lösung dieser Aufgabe ist also einerseits die Hemmung von naheliegenden Assoziationen mit »Wiese« und andererseits die Aktivierung der abstrakten Beziehung »definiert durch«.

Die Leistungen in oberflächlich sehr unterschiedlichen Intelligenzaufgaben korrelieren bedeutsam miteinander, d. h., es macht keinen großen Unterschied, ob schlussfolgerndes Denken auf numerischer, sprachlicher oder räumlich-visueller Basis erfasst wird. Bereits vor mehr als 100 Jahren hat Charles Spearman mithilfe von faktorenanalytischen Verfahren die statistische Gemeinsamkeit unterschiedlicher Intelligenzaufgaben erfasst, das sogenannte »positive Manifold«, indem er den g-Faktor bestimmte – die generelle kognitive Leistungsfähigkeit. Der g-Faktor ist also ein Maß für die gemeinsame Variation in der Leistung von vielen Personen über verschiedene kognitive Leistungsbereiche hinweg. Bedeutsame Fortschritte wurden in den letzten Jahren in der Verortung von Intelligenz im Drei-Speicher-Modell der menschlichen Informationsverarbeitung gemacht: Das Arbeitsgedächtnis, also die Instanz, die zwischen der in das Ultrakurzzeitgedächtnis eingehenden Information und dem im Langzeitgedächtnis gespeicherten Wissen vermittelt, ist am Zustandekommen von zielgerichtetem Handeln und von schlussfolgerndem Denken entscheidend beteiligt. Um komplexe Anforderungen, welche aus Ober- und Unterzielen bestehen, bewältigen zu können, muss das Arbeitsgedächtnis eines Menschen gleichzeitig vier Funktionen erfüllen. Diese sind: Eingehende Information verfügbar halten, bestehendes Wissen aus dem Langzeitgedächtnis aktivieren, vom Ziel ablenkende Information hemmen und Zielwechsel einleiten. Die Leistung in Aufgaben, welche diese Funktionen erfassen, korrelieren substantiell mit der Leistung in Intelligenztests. Obwohl es zu kurz gegriffen wäre, Intelligenzunterschiede vollständig auf Unterschiede in Arbeitsgedächtnisfunktionen zurückzuführen, haben letztere einen entscheidenden Einfluss auf die Lern- und Denkfähigkeit von Menschen.

Anforderungen, die sich beim Lösen von Intelligenzaufgaben zeigen, stellen sich auch beim schulischen Lernen: Wird ein Text gelesen, muss man immer die übergeordnete Fragestellung präsent haben, sonst verliert man den roten Faden. Beim Lösen einer mathematischen Textaufgabe muss man von den konkreten Situationen abstrahieren und die Beziehungen zwischen den genannten Größen modellieren. Naturwissenschaftliche Kompetenzen zeigen sich in der Bildung abstrakter Konzepte, die man auf oberflächlich sehr unterschiedliche Anforderungen anwenden kann. So ist beispielsweise die Gemeinsamkeit einer Batterie und einem Stausee die Speicherung von Energie. Zudem zeigen sich naturwissenschaftliche Kompetenzen in der Abwägung von Evidenzen: Was spricht für und was spricht gegen eine bestimmte Erklärung? Welche Variablen müssen bei einem konklusiven Experiment variiert und welche konstant gehalten werden? Auch hier geht es darum, Information zu halten, zu vergleichen, zu deaktivieren und immer wieder zu überprüfen, ob man auf dem richtigen Weg ist. Gleiches gilt für Fremdsprachenkompetenzen. Man lernt Grammatikregeln und Vokabeln zunächst separat und muss beides beim Lesen oder mündlichen Kommunizieren integrieren. Gleichzeitig muss man Einwürfe der sehr dominanten Erstsprache abwehren, die falsche Freunde vorschickt, wie z. B. »When will I become my Schnitzel?«.

In Intelligenztestaufgaben werden sozusagen im Reagenzglas geistige Fähigkeiten erfasst, die unter natürlichen Bedingungen zum Tragen kommen, auch wenn sie unter den komplexen Lernbedingungen an Schule und Universität nur selten isoliert betrachtet werden können. Werte in Intelligenztests und in akademischen Leistungstests, wie sie in der Schule und an Universitäten durchgeführt werden, korrelieren substantiell miteinander, wobei standardisierte Tests höhere Zusammenhänge ergeben als Noten. Menschen mit hoher Intelligenz haben über das akademische Lernen hinaus Vorteile bei der Bewältigung von Anforderungen. Sie sind beruflich erfolgreicher, gesünder und weniger vulnerabel im Umgang mit Lebenskrisen, auch weil sie Risiken besser abschätzen können. Dass Intelligenzunterschiede ihre Ursachen in Genvariationen haben, lässt sich aus Zwillingsuntersuchungen ableiten und ist unter Wissenschaftlern unbestritten. Bei der Intelligenz handelt es sich um ein polygenetisch vererbtes Merkmal mit großer Reaktionsnorm, deshalb kommen Umweltfaktoren bei der Entwicklung des Intelligenzpotenzials und der Intelligenzunterschiede eine große Bedeutung zu. In einer Gesellschaft, die allen Mitgliedern optimale Bedingungen zur Intelligenzentwicklung bietet, sind 100 % der Unterschiede in dem Merkmal auf Genvariationen zurückzuführen.

Obwohl Intelligenzmessung zu den seriösen wissenschaftlichen Errungenschaften der Psychologie gehört, fällt es vielen Menschen – auch einigen wissenschaftlich ausgebildeten Psychologen – schwer, die daraus entstandenen Erkenntnisse anzuerkennen. Dabei gleichen sich die Abwehrstrategien: Man sucht nach Konstrukten und Eigenschaften, die für schulischen Erfolg und beruflichen Erfolg mindestens so wichtig oder sogar wichtiger sind. Das ist natürlich legitim und zeugt von gutem wissenschaftlichem Diskurs.

So hat man in sehr vielen wissenschaftlichen Studien zur Erklärung von Leistungsunterschieden in einem bestimmten Inhaltsgebiet die überragende Rolle von Vorwissen gefunden. Eine weniger intelligente Person mit besserem Vorwissen wird mit großer Wahrscheinlichkeit bessere Leistung erbringen als eine Person mit umgekehrtem Profil. Das wurde z. B. für Gebiete wie Fußball und Schach gezeigt, welche zwar anspruchsvoll, aber nicht so abstrakt sind, dass nur weit überdurchschnittlich intelligente Menschen sich einarbeiten können. Das Forschungsdesign kann man jedoch nicht einfach auf beliebig andere Gebiete übertragen: Einen nur leicht überdurchschnittlich intelligenten theoretischen Physiker wird man nicht finden. Wenn es darum geht, Neues zu lernen oder bestehendes Wissen auf neue Gebiete anzuwenden, werden intelligentere Menschen verglichen mit weniger intelligenten Vorteile haben. Die Ergebnisse zur Bedeutung des Vorwissens stellen keineswegs die Bedeutung der Intelligenz in Frage. Sie machen aber deutlich, dass Intelligenz ihre Wirkung nur über den Erwerb und die Nutzung von Wissen entfalten kann.

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