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Chunking

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Verdichtung entsteht zunächst einmal durch Chunking (Bündelung) von Information. Einzelne Wissenselemente werden zu übergeordneten Einheiten zusammengefasst. Ein Beispiel: Wer die Ziffern 91119893101990 hört, wird sich diese kaum auf Anhieb merken können. Im Allgemeinen kann ein Mensch nur sieben bis neun Ziffern spontan im Arbeitsgedächtnis halten. Ergänzt man die Zahlenreihe hingegen mit Punkten, sieht man, dass es sich bei den Ziffern um zwei wichtige Daten der jüngsten deutschen Geschichte handelt, nämlich den Tag des Mauerfalls in Berlin und den Tag der deutschen Wiedervereinigung. Dann kann man die Zahlenreihe problemlos noch Jahre später reproduzieren: 9.11.1989 3.10.1990.

In der Kognitionspsychologie wird diese Vergrößerung der Gedächtniskapazität durch Komprimierung des Wissens als Chunking (Bündelung) bezeichnet. Einzelne Reize, die zuvor als eigene Einheiten abgespeichert waren und deshalb einzeln für die Verarbeitung im Arbeitsgedächtnis aktiviert werden mussten, werden durch wiederholte gemeinsame Aktivierung gleichsam fest zusammengeschweißt. Handlungen rufen sich gegenseitig auf, das Arbeitsgedächtnis wird trotz großer Informationsmengen nur geringfügig belastet.

Bleiben wir bei der schon oben ( Kap. 2.4.2) verwendeten Glühlampenanalogie: Für die Aktivierung einer gebündelten Wissensrepräsentation wird weniger Lichtenergie gebraucht als für die Aktivierung aller einzelnen Elemente. Verdichtung von Wissen durch gemeinsame oder zeitlich benachbart aktivierte Stimulus- und Reaktionselemente spart Arbeitsspeicherkapazität und erlaubt eine schnellere Aktivierung und Deaktivierung von komplexeren Wissens-Netzwerken.

Unserer Fähigkeit zur Bündelung verdanken wir es, dass wir in Sekundenschnelle das Wort Mississippidampfschifffahrtsgesellschaftskapitän lesen können. Geübte Leserinnen und Leser erkennen Buchstaben auf einen Blick und haben so enge Assoziationen zwischen Buchstaben und Lauten aufgebaut, dass beides zusammen aktiviert wird. Ein im Lesen ungeübter Mensch hingegen muss jeden Buchstaben in einen Laut übertragen und daraus mühsam ein Wort konstruieren. Es wird Arbeitsspeicherkapazität gebunden, die für das Sinnverständnis nicht mehr zur Verfügung steht.

Daraus folgt: Aus Texten lernen können nur Menschen, die Buchstabenansammlungen als Wortbilder gespeichert haben, so dass sie das Arbeitsgedächtnis voll für das Inhaltsverständnis nutzen können. Das erfordert zunächst sehr viel Übung. Dabei lernt man, wie bestimmte Buchstabenkombinationen in Laute und Silben und schließlich in Worte umgesetzt werden. Nebenbei werden auch andere Merkmale der Wörter abgespeichert, z. B. der Anfangs- und der Endbuchstabe sowie die Wortlänge. Mit diesen Wissensnetzen ausgestattet, können geübte Leserinnen und Leser problemlos den unten als Zitat dargestellten Text lesen. Ungeübte Leser hingegen können dies nicht. Sie haben die richtig geschriebenen Wörter entweder nicht häufig genug gesehen, oder sie haben sie nicht so detailliert verarbeitet, dass sie die Merkmale zu größeren Einheiten – also Wörtern – gebündelt haben. Sie erkennen dann trotz der Redundanz der Sprache diese bei leichten Abweichungen nicht wieder.

Ehct ksras! Gmäess eneir Sutide eneir Uvinisterät ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wort snid, das ezniige, was wcthiig ist, dass der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sein, tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, weil wir nicht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wort als gzeans enkreenn. Ehct ksras! Das ghet wicklirh! Und dfüar ghneen wir jrhlaeng in die Slhcue!

Lernen aus Texten setzt das Worterkennen voraus. Müsste man Buchstabe für Buchstabe identifizieren und daraus das Wort konstruieren, würde keine Arbeitsspeicherkapazität für den Inhalt bleiben.

Die Verdichtung von Wissen durch Chunking muss möglichst fehlerfrei erarbeitet werden, wenn man sich geistige Flexibilität erhalten möchte. Das soll am Beispiel der arithmetischen Grundoperationen verdeutlicht werden. Menschen, die nicht über ein gut vernetztes Zahlenwissen verfügen – die also zum Beispiel nicht sofort abrufen können, was die Hälfte von 70 ist oder was 27 plus 5 ergibt –, stehen schon im Alltag schnell vor Problemen. Es ist deshalb wichtig und richtig, dass in der Primarschule viel Zeit auf Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division verwendet wird. Dabei können unterschiedliche Strategien zum Einsatz kommen. Das Ergebnis von 5 + 3 = kann ermittelt werden, indem von Grund auf gezählt wird: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8. Man kann auch ab 5 aufzählen: 6, 7, 8. Bei jeder Berechnung wird eine Verbindung zwischen 5 + 3 = und 8 hergestellt. Wenn diese Verbindung eine gewisse Assoziationsstärke erreicht hat, wird »8« aktiviert, bevor die Rechenoperation abgeschlossen ist. Es wurde also Wissen so verdichtet, dass die Abrufstrategie zum Tragen kommt.

Multiplikation wird auf ähnliche Weise erworben: Zunächst als wiederholte Addition und später als Faktenabruf. Allerdings wird nicht jede Kombination so ausgiebig geübt, dass sich durch Wiederholung eine Verdichtung einstellt. Deshalb wird das 1 × 1 auswendig gelernt. Allerdings besteht die Gefahr, dass ein unflexibles Faktennetz aufgebaut wird. Zwar wird man auf die Aufgabe »7 × 8 =« wie aus der Pistole geschossen antworten, aber dafür länger für die Frage »Welches Ergebnis ist größer, 6 × 8 = oder 7 × 4 = ?« brauchen. Deshalb sollte die Multiplikation in der Primarschule mit der Ableitungsstrategie geübt werden: 7 × 9 = 7 × 10 – 7 × 1 = ? oder 6 × 8 = 5 × 8 + 1 × 8 = ? Wer auf diese Weise das 1 × 1 lernt, wird bei ausreichender Übung ein Netz an Faktenwissen aufbauen, welches es ermöglicht, jede 1 × 1-Aufgabe durch schnelles Erinnern zu lösen. Gleichzeitig ist das numerische Netzwerk so komplex und flexibel, dass es Verbindungen zu anderen Zahlen und Aufgaben herstellt. 36 ist verbunden mit 6 × 6, 9 × 4, 7 × 5 + 1 usw.

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