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5 Andere Sprachen II: SynchronieSynchronie und Moderne

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Insofern die Latwju DainasDainas auf sprachliche SynchronisierungSynchronieSynchronisierung aus sind, scheinen sie in ihrem Umgang mit SprachvielfaltSprachvielfalt einem Modell zuzuarbeiten, das sich recht gut mit dem Paradigma der languelangue-LinguistikLinguistik vereinbaren lässt. Die andere, proto-mythische Seite der Sammlung leistet einer solchen modernen theoretischen Subsumption allerdings Widerstand. Um dies zu sehen und auch ganz allgemein den Stellenwert von sprachlichem diversity management in der Moderne besser abschätzen zu können, lohnen sich abschließend einige grundlegendere Überlegungen.

Zunächst ist festzuhalten, dass BaronsBarons, Krišjānis – während nur kurze Zeit später die languelangue-LinguistikLinguistik als methodische Voraussetzung festschreibt, dass EinzelsprachenEinzelsprache als Gegenstand der synchronen Beschreibung schlicht gegeben und die Bedingung der Möglichkeit von Sprechen sind – sich an der schieren Vielfältigkeit des Sprechens abarbeitet, um sie überhaupt erst als Ausfluss einer einheitlichen, aber noch sichtbar zu machenden EinzelspracheEinzelsprache ausweisen zu können. Ähnlich wie vor ihm AlunānsAlunāns, Juris reagiert Barons damit auf eine Anforderung, die sich in der Neuzeit zunehmend an die Sprachen EuropasEuropa stellt: die der StandardisierungStandardStandardisierung qua SynchronisierungSynchronieSynchronisierung.

Man kann darin – siehe AndersonAnderson, Benedict – einen MedieneffektMedien sehen. Der BuchdruckBuchdruck erzwingt als Technologie, die auf allen Ebenen auf SynchronizitätSynchronieSynchronizität setzt, die flächendeckende Durchsetzung von StandardsStandard. Die große Sorgfalt, die HerderHerder, Johann Gottfried und BaronsBarons, Krišjānis auf die Anordnung ihrer Sammlungen verwenden, zeigt, dass sie auf die synchrone Erscheinungsweise gedruckter Werke genau reflektieren. Schon das Produktionsverfahren stellt ja gegenüber der Handschrift von Serialität auf SynchronizitätSynchronieSynchronizität um (mit einem Arbeitsgang werden die Zeichen eines ganzen Bogens gedruckt); vor allem aber bewirken die in allen Details für alle Exemplare (zumindest der Tendenz nach) identische Anordnung des Texts auf den gedruckten Seiten und seine Einrichtung auf das Erscheinen zu einem Zeitpunkt, dass (genau genommen natürlich kontrafaktischKontrafaktikkontrafaktisch) von einer gleichzeitigen Rezeption in einem großen Territorium ausgegangen werden darf. Und die IdentitätIdentität/identity des Texts an allen Orten dieses Territorium wiederum katalysiert sprachliche StandardisierungStandardStandardisierung.

Allerdings ist das MediumMedienMedium des Drucks nur ein Faktor, der StandardisierungStandardStandardisierung begünstigt. Man sollte daher nicht, wie es gerade in der Mehrsprachigkeitsforschung oft geschieht, jede Form der einsprachigenEinsprachigkeiteinsprachig, auf StandardisierungStandardStandardisierung ausgerichteten SprachpolitikSprachpolitik vorschnell als engstirniges und potentiell xenophobes Beharren auf dem Eigenen verurteilen. Die Semantik der Muttersprachlichkeit, wie sie HerderHerder, Johann Gottfried artikuliert, die bei ihm wie bei AlunānsAlunāns, Juris zu beobachtende domestizierende ÜbersetzungÜbersetzung/translation, die languelangue-LinguistikLinguistik usw. sind, wenn man auf eine allgemeinere Ebene geht, Ausdruck eines Sprachdenkens, das tief in der Grundstruktur der modernen Gesellschaft verankert und für diese Gesellschaft ebenso funktional ist wie das vor allem bei Herder sich artikulierende Bedürfnis nach (sprachlicher) Kreativität.

In der Forschung ist in Anlehnung an Yasemin YildizYildiz, Yasemin (2012) oft vom EinsprachigkeitsparadigmaEinsprachigkeitEinsprachigkeitsparadigma/Einsprachigkeitsnorm die Rede, das eng an die Semantik der MutterspracheMuttersprache/mother tongue gekoppelt sei. Ich ziehe dem eine eher technische Beschreibung vor, die den Vorteil hat, erklären zu können, warum sich EinsprachigkeitEinsprachigkeit in der Moderne durchgesetzt hat – und die uns letztlich auch wieder auf die Frage von GegenwartsbezugGegenwartGegenwartsbezug und SynchronizitätSynchronieSynchronizität zurückführt. Diese Erklärung für die Durchsetzungskraft der modernen Einsprachigkeit lautet, dass sie einerseits die Inklusion von Individuen in gesellschaftliche Prozesse erleichtert (darauf kann ich hier aber nicht eingehen1); und dass sie andererseits, weil sie mit einer massiven StandardisierungStandardStandardisierung des SprachgebrauchsSprachgebrauch einhergeht, spezifisch modernen Gesellschaftsstrukturen zuarbeitet, die z.B. auf stardardisierte Terminologien angewiesen sind, um funktionieren zu können. Die Wissenschaft ist ein gutes Beispiel dafür. Im Interesse eben dieser StandardisierungStandardStandardisierung liegt es schließlich, durch ÜbersetzungÜbersetzung/translation dafür zu sorgen (oder zumindest den Anschein zu wecken), dass die unterschiedlichen EinzelsprachenEinzelsprache ineinander transponierbar sind. Daraus resultiert die moderne ÜbersetzungsindustrieÜbersetzung/translation, die in den europäischenEuropaeuropäisch Institutionen ihren paradigmatischen Ausdruck gefunden hat. Diese funktionieren gerade deshalb, weil sie kontrafaktischKontrafaktikkontrafaktisch davon ausgehen, die vielen qua ÜbersetzungÜbersetzung/translation entstandenen Sprachversionen der europäischenEuropaeuropäisch Gesetzgebung seien Ausdruck ein- und derselben Rechtsnormen. Man sollte nicht vergessen, welche Entwicklungen die moderne Einsprachigkeit begünstigt hat: Eine Sprache, mit der eine große Gruppe von Menschen emotional verbunden und die gleichzeitig ausreichend standardisiert ist, um in den unterschiedlichsten Kontexten zu funktionieren, ermöglicht beispielsweise die Etablierung eines öffentlichen Raumes, von Demokratie und von Bildungsstandards. Und von der ÜbersetzungsindustrieÜbersetzung/translation profitieren der Buchmarkt wie überhaupt der überregionale Handel, die Diplomatie, das Recht, das Erziehungssystem, die Literatur. David GramlingGramling, David hat in seinen Arbeiten über die ‚Erfindung der Einsprachigkeit‘ die Verbindung von Muttersprachensemantik und Übersetzbarkeitsversprechen mit dem aus der angewandten LinguistikLinguistik übernommenen Begriff der „glossodiversityGlossodiversität/glossodiversity“ belegt (Gramling 2016: 31–36). GlossodiversitätGlossodiversität/glossodiversity ist eine Form der Vorstellung von sprachlicher Vielfalt, die es für unproblematisch hält, ein und denselben Inhalt in verschiedenen IdiomenIdiom auszudrücken, die jeweils für sich als distinkte, wohldefinierte, in ihren Muttersprachlerinnen verkörperte Einheiten gelten.

Natürlich werden die mit der modernen Idee der EinsprachigkeitEinsprachigkeit verbundenen Vorstellungen von Menschen, Sprachen und Gesellschaften damit im Prinzip nicht richtiger. Genau wie im Falle der NationNation handelt es sich bei der Einsprachigkeit, mit Naoki Sakai (2009) gesprochen, um ein Regulativ im Kantischen Sinne des Wortes: eine kontrafaktischeKontrafaktikkontrafaktisch Annahme, die aber ansonsten womöglich ungerichteten Prozessen Orientierung bietet – so wie das Dogma der Gleichursprünglichkeit im Falle der europäischenEuropaeuropäisch Gesetzgebung. Sprachen sind eben keine distinkten und wohldefinierten Einheiten, die gleichwohl qua ÜbersetzungÜbersetzung/translation ineinander überführt werden können. Sprechen ist nicht notwendigerweise Sprechen in einer Sprache, vielmehr sind im SprachgebrauchSprachgebrauch immer zugleich zentripetale und zentrifugale Kräfte am Werk. Ohne die zentripetalen Kräfte wäre StandardisierungStandardStandardisierung und damit ein Verständnis unmöglich; aber ohne die Zentrifugalkräfte gäbe es keine Sprachentwicklung und damit keine Anpassung an neue Gegebenheiten. GramlingGramling, David hat für die schiere Vervielfältigung der Ausdrucksmöglichkeiten im Sprechen, also die ständige Entwicklung neuer Arten und Weisen, Bedeutsamkeit und Bedeutung zu erzeugen, den Begriff der „semiodiversitySemiodiversität/semiodiversity“, SemiodiversitätSemiodiversität/semiodiversity, geprägt. Und doch hat die Vorstellung der GlossodiversitätGlossodiversität/glossodiversity, auch wenn sie im Prinzip die Realität der Sprachproduktion nicht trifft, diese Realität dennoch verändert. Die Sprachen, die wir größtenteils verwenden, sind tatsächlich sehr stark standardisiert und voneinander abgegrenzt. Man kann relativ einfach erkennen, was z.B. ein wohlgeformter Satz der deutschenDeutschlanddeutsch Sprache ist; Fehler lasse sich recht genau und eindeutig konstatieren, auch wenn man ihn womöglich als rhetorische Figur lesen kann (dazu Martyn 2004).

Bringt man diese Beobachtungen mit den eingangs angestellten Überlegungen zur SynchronieSynchronie zusammen, so zeigt sich, dass die Funktionalität der modernen GlossodiversitätGlossodiversität/glossodiversity damit zusammenhängt, dass sie einander äquivalent geltende sprachliche Ressourcen gleichzeitig präsent hält bzw. zumindest diesen Eindruck verschafft. Standardisierte Möglichkeiten des Ausdrucks sind sozusagen weltgesellschaftlich anwendbar. Die eigentliche Crux liegt darin, dass diesem SynchronizitätsSynchronieSynchronizität- und Standardisierungbedarf jener Bedarf nach sprachlicher Erneuerung und Anpassungsfähigkeit zuwiderläuft, den die Neuzeit eben auch hervorbringt.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Tatsache, dass die Semantik der GlossodiversitätGlossodiversität/glossodiversity die Spannung zwischen (postulierter) synchroner Sprachstruktur und kreativer Sprachentwicklung unsichtbar macht, politischePolitik/politicspolitisch/political Relevanz. Der blinde Fleck der modernen Sprachauffassung erschwert den bewusst produktiven Umgang mit SprachvielfaltSprachvielfalt im Sinne von SemiodiversitätSemiodiversität/semiodiversity. SprachpolitikSprachpolitik vollzieht sich dann offiziell oder zumindest offiziös im Namen von EinzelsprachenEinzelsprache (von der Schule bis zur sogenanten auswärtigen KulturpolitikPolitik/politicsKulturpolitik und zur Académie Française) und überlässt die ‚wilde‘ Sprachfortbildung Populärkultur, Literatur und Unternehmertum. Diese Marginalisierung von SemiodiversitätSemiodiversität/semiodiversity hat sehr weitreichende Folgen, von der Benachteiligung nicht-muttersprachlichen Sprechens in Schulsystemen bis hin zum Umgang mit Anderssprachigkeit in der MedienöffentlichkeitMedien.

Die literarischen Sprachpolitiken, die HerderHerder, Johann Gottfried, AlunānsAlunāns, Juris und BaronsBarons, Krišjānis entfalten, sind letztlich auch Symptome des Widerstreits zwischen offizieller Glossidiversität und inoffizieller, gleichwohl aber essentieller SemiodiversitätSemiodiversität/semiodiversity. Herder versucht, ihn durch das Konzept einer inner-einzelsprachlichen Kreativitätssteigerung qua ÜbersetzungÜbersetzung/translation (im weitesten Sinne) zu lösen. Alunāns geht einen ähnlichen Weg, wenn er die lettischeLettland/Latvialettisch Sprache in der Auseinandersetzung mit moderner Anderssprachigkeit erneuern möchte. Barons hingegen verfolgt einen anderen Impuls Herders weiter, indem er aus fremdFremdheitfremd werdenden ‚eigenen‘ Sprechweisen eine im Grunde neue NationalspracheNationNationalsprache generiert und mit dem Mythos eines nationalenNationnational Lebens verbindet. Damit konnte die SynchronisierungSynchronieSynchronisierung der lettischenLettland/Latvialettisch NationNation natürlich nicht abgeschlossen sein. Die Auseinandersetzung um Fest- und Fortschreibung der lettischenLettland/Latvialettisch dainasDainas dauert vielmehr bis heute an. Das aber wäre ein anderes Thema.

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