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1 Sprechen und GegenwartGegenwart

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Dass SprachvielfaltSprachvielfalt immer Gegenstand politischerPolitik/politicspolitisch/political Auseinandersetzung gewesen ist, wundert nicht, erzeugt sie doch Grenzen des Verstehens und damit vielfältige In- und Exklusionseffekte. Eben diese Effekte sind gerne Gegenstand von Geschichten und diese Geschichten wiederum machen gerne PolitikPolitik/politics. Gerade Geschichten von sprachlicher Inklusion – beispielsweise die Geschichte des PfingstwundersPfingstwunder – können weitreichende Folgen zeitigen, ausgesprochen exklusiv wirken und viel Gewalt nach sich ziehen. Immerhin resultierte die Verheißung einer menschheitlichen Verständigung im rechten Glauben, als die Petrus das Wunder der ApostelgeschichteApostelgeschichte zufolge deutete (Apg. 2), in einer zwei Jahrtausende währenden Bewegung der Mission, an die das Sendungsbewusstsein der westlichen Gesellschaften noch heute anschließt.

Mir geht es im Folgenden indes nicht – oder doch nicht in erster Linie – um Fragen der In- und Exklusion, der literarischen Repräsentation oder der SprachpolitikSprachpolitik im engeren Sinne des Wortes. Ich schlage vielmehr einen Ebenenwechsel vor und möchte fragen, wie der literarische Umgang mit SprachvielfaltSprachvielfalt mit einem Grundproblem jeden politischenPolitik/politicspolitisch/political Engagements verbunden ist, nämlich mit der Frage der ZeitgemäßheitZeitgemäßheit, genauer: des GegenwartsbezugsGegenwartGegenwartsbezug.

Dieses Grundproblem lässt sich recht einfach erläutern: Wir alle wissen, dass jedwede Intervention in die komplexen Zusammenhänge und Prozesse insbesondere (aber nicht nur) moderner Gesellschaften unter anderem deswegen so schwierig ist, weil man immer erst im Nachhinein weiß, ob man den rechten Augenblick für die Intervention gefunden haben wird. Diesen rechten Augenblick kennzeichnet, dass sich eine Art Lücke auftut, in die herein man wirken und Strukturen verändern kann; die MetapherMetapher/metaphor des Zeitfensters oder die Allegorie der occasio, der Gelegenheit, die man beim Schopfe ergreifen muss, machen dies deutlich. Dieser heikle GegenwartsbezugGegenwartGegenwartsbezug des politischenPolitik/politicspolitisch/political Handelns hat heute oft langwierige Streitigkeiten um Tagesordnungen, Wahltermine etc. zur Folge, aber er bedingt auch, dass beispielsweise das Dasein eines Revolutionärs oft aus nichts als langem Warten besteht. Kurzum: das Problem, das eigene Handeln mit prinzipiell unvorhersehbaren Umweltprozessen so synchronisieren zu müssen, dass man seine Ziele erreichen kann, stellt sich für politischePolitik/politicspolitisch/political Bewegungen jeglicher Couleur.1

Ich kann an dieser Stelle keine ausgearbeitete Theorie des politischenPolitik/politicspolitisch/political Umgangs mit Zeit entfalten, noch kann ich erschöpfend behandeln, welche Folgen das Problem der ZeitgemäßheitZeitgemäßheit und des GegenwartsbezugsGegenwartGegenwartsbezug für das politischePolitik/politicspolitisch/political Engagement von Literatur im allgemeinen hat. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass im Falle der Literatur die medialen Rahmenbedingungen zusätzliche Komplikationen mit sich bringen. Das hängt zum einen mit den Bedingungen von SchriftlichkeitSchriftSchriftlichkeit zusammen. Eine Intervention qua SchriftSchrift kann den Zeitpunkt, zu dem sie stattfindet, nur bedingt selbst bestimmen. Papier ist geduldig, und wann wer was liest, weiß man vorher nie. Literatur wendet sich daher immer schon an viele unterschiedliche Gegenwarten. Das dies riskant ist, weiß schon der Sokrates aus Platons Phaidros (275 c). Zum anderen führt das für Literatur charakteristische Engagement von Einbildungskraft und Phantasie zu potentiellen Kontrollverlusten. Wir wissen bekanntlich nie, wohin uns Einbildungskraft und Phantasie, wenn wir uns ihnen einmal überlassen, führen werden – und wie viel größer ist das Risiko, wenn wir die Produkte unserer Einbildungskraft dann auch noch anderen überlassen.2

Damit ist ein Problem benannt, das sich für das politischePolitik/politicspolitisch/political Engagement von Literatur mit Blick auf ihren GegenwartsbezugGegenwartGegenwartsbezug ergibt – wie auch immer unzureichend und verkürzt. Wie verhält sich dieses Problem zur Frage der SprachvielfaltSprachvielfalt? Einen ersten Hinweis auf dieses Verhältnis kann man den Grundannahmen der RhetorikRhetorik/rhetoric entnehmen. Denn die Anpassung einer Rede an die jeweilige Situation, die Frage des aptumaptum, ist dort immer schon (auch) eine Frage der richtigen Auswahl der sprachlichen Mittel, die – sonst könnte man nicht auswählen – immer schon als vielfältig vorgestellt sind. Man muss, wie man dann sagt, die richtige Sprache finden. Man meint damit zwar im allgemeinen nicht die Auswahl zum Beispiel zwischen DeutschDeutschlandDeutsch und UngarischUngarisch. Aber ich möchte im Folgenden argumentieren, dass zwischen dieser Auswahl und derjenigen der richtigen sprachlichen Mittel zumindest eine funktionale Äquivalenz besteht.

Das wird besonders dann deutlich, wenn man die Frage nach der SprachvielfaltSprachvielfalt systematisch zusammendenkt mit derjenigen der Sprachentwicklung. Sprachvielfalt ist immer Ergebnis von Sprachentwicklung, und Sprachentwicklung findet potentiell in jedem Moment von SprachgebrauchSprachgebrauch statt.3 Der engagierte, also auf eine Wirkung bedachte Gebrauch sprachlicher Mittel ist potentiell immer auch auf Sprachentwicklung, auf die zeitgemäßeZeitgemäßheitzeitgemäß Veränderung von Sprache aus und wirkt damit an der Gestaltung von Sprachvielfalt mit. Der GegenwartsbezugGegenwartGegenwartsbezug von Literatur besteht daher immer auch darin, dass sie auf Sprache selbst einwirkt und Sprache verändert. Sie möchte Zeitfenster und Gelegenheiten nutzen, um neue Sprache, zeitgemäßereZeitgemäßheitzeitgemäß Sprechweisen zu etablieren. Das politischePolitik/politicspolitisch/political Moment des literarischen Umgangs mit Sprachvielfalt besteht also auch darin, dass der Umgang mit der Zeitlichkeit von Sprache zugleich ein Umgang mit ihrer Vielfalt ist und umgekehrt.

Mehrsprachigkeit und das Politische

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