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InterferenzenInterferenz. Einführung

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Marko Pajević

Interferenz ist ein Begriff aus der Physik und bezeichnet die Änderung der Amplitude bei der Überlagerung von Wellen. Die verschiedenen Wellen durchdringen einander und ihre Ausschwingungen treten miteinander in Beziehung und verstärken einander beziehungsweise gleichen einander aus. Es ist ein Phänomen des Zwischen, inter, und der Gegenseitigkeit bei einem Zusammentreffen.

Sprache besteht aus Schallwellen und jedes Sprechen hat seinen eigenen Sprachfluss. Allerdings sollten wir uns dabei nicht die regelmäßig an den Strand schlagenden Wellen eines Meeres vorstellen, sondern eher das Fließen eines Flusses, also eine sich unablässig ändernde Form in Bewegung. Émile BenvenisteBenveniste, Émile hat auf diese vorplatonische Bedeutung des Wortes RhythmusRhythmus/rhythm hingewiesen (Benveniste 1966) und Henri MeschonnicMeschonnic, Henri hat dies zur Grundlage seiner Rhythmustheorie gemacht (Meschonnic 1982), die nicht nur für die Sprach- und Literaturtheorie von großer Bedeutung ist, sondern sich als PoetikPoetik/poetics der Gesellschaft versteht, also unsere SprachstrukturenSprachstrukturen mit unseren Denkstrukturen gleichsetzt und somit auf unsere Vorstellungen von Welt schließen lässt.

Wilhelm von HumboldtHumboldt, Wilhelm von nannte Sprachen „WeltansichtenWeltansicht“ (Humboldt IV:27). Die Sprache, die wir sprechen, gibt uns die Perspektive auf die Welt. Sprache bestimmt unsere Beziehungen zur Welt und zu uns selbst. Dabei dürfen wir uns die NationalsprachenNationNationalsprache nicht als Gedankengefängnisse denken, wir können durchaus individuell über die Sprachkonvention Sprachkonvention hinausdenken und tun dies im jeweiligen Sprechen immerzu (TrabantTrabant, Jürgen 2003: 277). Im Prinzip hat jedes Individuum eine individuelle Sprache, geprägt durch die individuellen Erfahrungen und Assoziationen. Laut Humboldt gibt es letztlich genauso viele WeltansichtenWeltansicht wie es Individuen gibt. Bis zu einem gewissen Grad jedoch ist unser Denken, das für Humboldt mit unserer Sprache gleichzusetzen ist, durch die jeweilige NationalspracheNationNationalsprache mitgeprägt.

MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit greift dementsprechend selbstverständlich in diese Weltvorstellungsprozesse ein und lässt die WeltansichtenWeltansicht überlappen, dabei kommt es zu InterferenzenInterferenz. Verschiedene WeltansichtenWeltansicht kommen miteinander ins Schwingen und beeinflussen einander, neue Schwingungen entstehen. Sprachliche InterferenzenInterferenz wirken kreativ. Anders als in der Physik, in der es lediglich eine Verstärkung oder eine Auslöschung der Amplitude gibt, entstehen bei sprachlichen InterferenzenInterferenz unzählige kleine Schwingungsveränderungen, die jeweils die Perspektive auf die Dinge verschieben und erweitern. Eine erweiterte Perspektive auf die Welt aber ist eine größere Welt, ganz im Sinne von Ludwig WittgensteinsWittgenstein, Ludwig berühmtem Satz: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ (Wittgenstein 1963: Satz 5.6) Mehrsprachigkeit ist eine Entgrenzung, eine Möglichkeit, neue Sichtweisen einzunehmen.

MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit, es sei an dieser Stelle erneut betont, ist keineswegs die Ausnahme, sondern weltweit eher der Normalfall. Es gibt keinen Ort ohne Vermischung von Kulturen und Sprachen – und das auf verschiedensten Ebenen. Jede Sprache ist in sich mehrsprachigMehrsprachigkeitmehrsprachig und hat sich im Austausch mit diversen anderen Sprachen entwickelt. Immer und überall haben Menschen verschiedener Kulturen und Sprachen zusammengelebt oder Handel miteinander getrieben. Auch der geistige Austausch hat seit Urzeiten stattgefunden und ist geradezu die Grundlage aller kulturellen Entwicklung. Nicht umsonst wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die Sprache EuropasEuropa (und nicht nur EuropasEuropa) die ÜbersetzungÜbersetzung/translation ist.1 Die grundlegenden Texte unserer Zivilisation sind ÜbersetzungenÜbersetzung/translation,2 in EuropasEuropa Fall die Bibel und die griechischenGriechischgriechisch Philosophen, die nahezu von keinem Europäer im Original rezipiert werden.

Die Vorstellung von EinsprachigkeitEinsprachigkeit ist dementsprechend ein Konstrukt, das an den Realitäten unserer SprachkonstitutionSprachkonstitution vorbeigeht. Und selbst wenn wir Sprache auf der einfachsten Ebene als DeutschDeutschlandDeutsch, EnglischEnglisch/English, LitauischLitauenLitauisch usw. verstehen, gibt es weltweit weitaus mehr Sprechende von mehreren solchen Sprachen als wirklich Einsprachige.

InterferenzenInterferenz zwischen und innerhalb der Sprachen sind also allgegenwärtig und sie prägen das Miteinander der Menschen. Insofern das PolitischePolitik/politicsPolitische, das die Organisation der gesellschaftlichen Beziehungen ist und unsere Sprache als unsere WeltansichtWeltansicht unsere Beziehungen prägt, ist Sprache nicht vom PolitischenPolitik/politicsPolitische, das zu trennen und das PolitischePolitik/politicsPolitische, das ohne das Sprachliche undenkbar – ganz abgesehen davon, dass Begriffe immer sprachlich sind und man dementsprechend immer in Sprache denkt.

Der vorliegende Band möchte aus der Perspektive literarischer MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit Licht auf dieses Wechselverhältnis zwischen PolitischemPolitik/politicsPolitische, das und Sprache werfen. Wie wirkt sich Mehrsprachigkeit auf das Leben in Gemeinschaft aus? Der Blickwinkel ist dabei in erster Linie die ExophonieExophonie, also Literatur, die in einer ZweitspracheZweitsprache geschrieben wurde und diesen sprachlichen Umstand in irgendeiner Weise thematisiert (vgl. Arndt/Naguschewski/Stockhammer 2007 sowie Ivanovic 2017: 172). ExophoneExophonieexophon/exophonic Literatur ist ein privilegiertes Feld für das Verständnis der mehrsprachigenMehrsprachigkeitmehrsprachig Prozesse, da SchriftstellerInnen allgemein einen bewussteren Umgang mit Sprache haben müssen und dementsprechend ihre sprachliche Situation der Exophonie reflektieren. Natürlich sind ihre vertieften und intimen Kenntnisse von mindestens zwei Kulturen auch von politischemPolitik/politicspolitisch/political Interesse, aber es soll hier nicht nur um die Schilderung politischerPolitik/politicspolitisch/political Hintergründe und Situationen gehen oder um daraus erfolgendes politischesPolitik/politicspolitisch/political Verständnis und Engagement. Vielmehr interessiert hier das PolitischePolitik/politicsPolitische, das des Literarischen selbst, also die Frage, inwiefern der politischePolitik/politicspolitisch/political Raum durch sprachliche Phänomene geformt wird, durch die Erzeugung von WeltansichtenWeltansicht.

Der Großteil der hier versammelten Beiträge wurde bei einer von mir organisierten und vom Baltisch-DeutschenDeutschlandDeutsche Hochschulkontor finanzierten Konferenz mit dem Titel MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit und PolitikPolitik/politics in zeitgenössischer deutschsprachigerDeutschlanddeutschsprachig und baltischer Kultur in Tartu vom 14. bis 15. November 2019 vorgestellt. Dieser Band vermittelt dementsprechend Kenntnisse zu aktuellen Entwicklungen in der deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig und baltischenBaltikumBaltisch exophonenExophonieexophon/exophonic Literatur. Mit baltisch sind hier die heutigen drei Baltischen Republiken gemeint: EstlandEstland/Estonia, LettlandLettland/Latvia und LitauenLitauen. DeutschsprachigDeutschlanddeutschsprachig ist offensichtlich ein problematischer Begriff in diesem Zusammenhang, in dem ja gerade die Mehrsprachigkeit auch in den deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Ländern thematisiert wird – es soll damit lediglich deutlich gemacht werden, dass es um Literatur aus DeutschlandDeutschland, ÖsterreichÖsterreich und der SchweizSchweiz geht. Andere deutschsprachigeDeutschlanddeutschsprachig Länder und Regionen werden leider hier nicht behandelt.

Es gibt ja in den letzten Jahren eine Fülle von Veröffentlichungen zu ExophonieExophonie und MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit – auch das ist ein Zeichen der politischenPolitik/politicspolitisch/political Relevanz in unserer heutigen gesellschaftlichen Situation. Allein die Herausgabe eines Handbuchs zu Literatur und Mehrsprachigkeit (Dembeck/Parr 2017) sowie die Existenz der von Till Dembeck und Rolf Parr herausgegebenen Buchreihe Literarische MehrsprachigkeitMehrsprachigkeitliterarische Mehrsprachigkeit/Literary Multilingualism, in der auch die vorliegende Veröffentlichung erscheint, spricht wortwörtlich Bände. Allerdings dürfte dem deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Publikum bisher wenig zur diesbezüglichen Situation in den baltischenBaltikumBaltisch Republiken bekannt sein. Dabei gibt es ja sehr alte Verbindungen zwischen dem deutschenDeutschlanddeutsch und dem baltischenBaltikumBaltisch Kulturraum. Die baltischenBaltikumBaltisch Länder, vor allem LettlandLettland/Latvia und EstlandEstland/Estonia, lassen sich ohne den deutschenDeutschlanddeutsch kulturellen Einfluss nicht verstehen, und auch die deutscheDeutschlanddeutsch Kultur hat große Bereicherungen aus dem BaltikumBaltikum empfangen (wenn eine solche Trennung zwischen baltischer und deutschbaltischerDeutschbaltendeutschbaltisch Kultur geschichtlich großteils überhaupt sinnvoll ist), viele bedeutende deutscheDeutschlanddeutsch Denker und Dichter stammen aus diesem Gebiet bzw. haben dort für längere Zeit gelebt, KantKant, Immanuel und HerderHerder, Johann Gottfried fallen einem wohl als erstes ein (wobei Königsberg ja nicht zu den heutigen baltischenBaltikumBaltisch Republiken, wohl aber zum historischenhistorisch Kulturraum zählt), Hamann, Lenz, Keyserling und Bergengruen sind weitere. Die Beiträge zur Literatur aus EstlandEstland/Estonia, LettlandLettland/Latvia und LitauenLitauen sind also eine besondere Bereicherung der Mehrsprachigkeitsdiskussion im deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Raum.

Im Übrigen findet sich selbst im BaltikumBaltikum relativ wenig Forschungsliteratur zu zeitgenössischer mehrsprachigerMehrsprachigkeitmehrsprachig und exophonerExophonieexophon/exophonic Literatur und auch deren politischePolitik/politicspolitisch/political Dimension wird wenig behandelt. Die Debatte, gerade in Bezug auf die Germanistik, befasst sich weit überwiegend mit der Geschichte, meist derjenigen vor der Entstehung der baltischenBaltikumBaltisch Republiken nach dem Ersten WeltkriegWeltkriegErster Weltkrieg. Das hat gute Gründe, denn seit 1919 spielt das DeutscheDeutschlandDeutsch kaum noch eine Rolle in diesen Ländern und wurde spätestens 1944 mit der sowjetischenSowjetunionsowjetisch/Soviet Okkupation politischPolitik/politicspolitisch/political inopportun. Zwar haben gebildete Balten der älteren Generationen noch gut DeutschDeutschlandDeutsch gelernt, aber wie überall im östlichen EuropaEuropa hat die Bundesregierung nach 1990 versäumt, diese bestehenden Strukturen ausreichend zu unterstützen, und heute lernen nurmehr wenige junge Balten diese in ihrer Geschichte so wichtige Sprache – EnglischEnglisch/English ist auch hier mittlerweile ganz eindeutig die internationale Verkehrssprache. Die bis Anfang des 20. Jahrhunderts kulturell dominierenden DeutschbaltenDeutschbalten und ihre Sprache sind Vergangenheit und wenn es heute exophoneExophonieexophon/exophonic Literatur im BaltikumBaltikum gibt, so ist diese eher mit dem RussischenRusslandRussisch/Russian als mit dem DeutschenDeutschlandDeutsch verknüpft.

Doch gerade solche Verschiebungen führen beeindruckend vor Augen, wie sehr Sprachen politischPolitik/politicspolitisch/political sind und wie sehr die PolitikPolitik/politics in die Sprachsituation eingreift und sich der wichtigen Rolle von Sprache und Sprachen bewusst ist. Heute ist die Frage der SprachpolitikSprachpolitik in den baltischenBaltikumBaltisch Republiken von größter Bedeutung in dem heiklen Balanceakt zwischen neu gewonnener Selbstbestimmung und Selbstbehauptung sowie wirtschaftlich und politischPolitik/politicspolitisch/political notwendiger Internationalisierung. MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in der Literatur, ebenso wie exophoneExophonieexophon/exophonic und mehrsprachigeMehrsprachigkeitmehrsprachig AutorInnen, spielen in diesen ständigen Identitätsfindungsprozessen einer Gesellschaft eine nicht zu unterschätzende Rolle.

In der Überzeugung, dass sowohl die deutscheDeutschlanddeutsch als auch die baltische Seite aus einer besseren Kenntnis der Konstellationen, Probleme und Phänomene des anderen lernen kann, geht die Zielsetzung dieses Bandes also in beide Richtungen: Diese Sammlung möchte gegenseitig informieren über die Hintergründe und die jüngsten Entwicklungen auf einem sowohl literarisch als auch politischPolitik/politicspolitisch/political spannenden und relevanten Gebiet.

Der Band beginnt mit vier Beiträgen, die sich den sprachgeschichtlichen Hintergründen der Literatur im BaltikumBaltikum widmen, wobei die deutschDeutschlanddeutsch-baltische Verflechtung und die Schwierigkeiten einer nationalenNationnational Literaturgeschichtsschreibung offenkundig wird. Allerdings nähern sich die AutorInnen dieser Frage aus unterschiedlichen Richtungen und mit unterschiedlichem Augenmerk.

Zunächst untersucht Till Dembeck drei VolksliedersammlungenVolkVolkslied aus der Zeit vom späten 18. Jahrhundert bis etwa 1900 sowie deren kulturpolitischePolitik/politicskulturpolitisch Bedeutung. 1778/79 hat der zu jener Zeit in Riga lebende Johann Gottfried HerderHerder, Johann Gottfried im Kontakt mit den baltischenBaltikumBaltisch Sprachen über seine VolksliedersammlungVolkVolkslied auf DeutschDeutschlandDeutsch einen poetischenPoetik/poeticspoetisch Neuanfang für die deutschDeutschlanddeutscheDeutschlanddeutsch Literatur ausgelöst und zugleich der VolkskulturVolk und zuvor für minderwertig erachteten Völkern zur kulturellen und politischenPolitik/politicspolitisch/political EmanzipationEmanzipation verholfen. Juris AlunānsAlunāns, Juris hat dann 1856 mit einer Sammlung von ins LettischeLettland/LatviaLettisch/Latvian übersetzten europäischenEuropaeuropäisch Gedichten die lettischeLettland/Latvialettisch Sprache modernisiert und an die europäischenEuropaeuropäisch Literaturen angeschlossen. Krišjānis BaronsBarons, Krišjānis dann hat um 1900 lettischeLettland/Latvialettisch VolksliederVolkVolkslied herausgegeben, um die von Herder initiierte EmanzipationsbewegungEmanzipation weiterzuführen.

Liina Lukas bietet einen historischenhistorisch Abriss der baltischenBaltikumBaltisch literaturgeschichtlichen Entwicklung mit Hinblick auf die SchriftSchrift- und Sprachensituation in EstlandEstland/Estonia und LettlandLettland/Latvia. Sie zeigt, wie sehr die estnischeEstland/Estoniaestnisch Literatur in ihren Anfängen mit dem DeutschbaltischenDeutschbaltenDeutschbaltisch zusammenhängt und erst nach und nach in Auseinandersetzung und Reibung mit diesen Anfängen eine eigene Literatur entwickelt. Ihr Überblick führt bis in unsere Zeit und erlaubt, die Verschiebungen im Zusammenhang mit den politischPolitik/politicspolitisch/political-geschichtlichen Veränderungen besser zu verstehen.

Natalia Blum-Barths Beitrag bietet einen ähnlichen Überblick über die literarische Situation in LitauenLitauen und LettlandLettland/Latvia. Sie konzentriert sich dabei zunächst auf die sowjetischeSowjetunionsowjetisch/Soviet Sprach(en)politik und zeigt diverse Formen literarischer MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit auf. Anschließend untersucht sie die literarische Mehrsprachigkeit im postsowjetischenSowjetunionpostsowjetisch Litauen und LettlandLettland/Latvia und die entsprechenden sprach(en)politischen Tendenzen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei auch der literarischen ÜbersetzungÜbersetzung/translation.

Maris Saagpakk hat gemeinsam mit ihren Studierenden Marin Jänes, Annika Saar und Marianne Laura Saar Mehrsprachigkeitsformen in der deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch Literatur EstlandsEstland/Estonia untersucht mit Hinblick auf die Funktionen der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit und um die sprachlichen, kulturellen und sozialen Differenzen im historischenhistorisch BaltikumBaltikum zu beleuchten. Grundlage der Analyse sind drei Werke der deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch Literatur: Mein Onkel Hermann von Monika HunniusHunnius, Monika (1921), Briefe eines baltischenBaltikumBaltisch Idealisten (1934) von Georg Julius von Schultz-BertramSchultz-Bertram, Georg Julius von und Der Henker von Edzard SchaperSchaper, Edzard (1940). Obgleich die Erscheinungsdaten nahe beieinander liegen, sind die Werke über einen Zeitraum von über hundert Jahren entstanden und vermitteln einen Eindruck der Situation in verschiedenen historischenhistorisch Epochen. Auch hier wird wieder deutlich, dass der Umgang mit den Sprachen nicht von der politischenPolitik/politicspolitisch/political Situation zu trennen ist.

Die nächsten drei Beiträge beschäftigen sich dann mit zeitgenössischeren Werken der baltischenBaltikumBaltisch Literatur. Aigi Heero untersucht transkulturellesTranskulturalitättranskulturell Schreiben anhand zweier Romane der armenischstämmigen in EstlandEstland/Estonia lebenden und auf RussischRusslandRussisch/Russian schreibenden Gohar Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohar (1949–2015) mit Hinblick auf Erscheinungsformen und Funktion der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit.

Rūta Eidukevičienės Beitrag konzentriert sich auf die jüngste litauischeLitauenlitauisch Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität und die Formen literarischen SprachwechselsSprachwechsel, die Aufschluss sowohl über Integrationsprobleme litauischerLitauenlitauisch MigrantenMigrant/in als auch die Herausbildung von globalen IdentitätenIdentität/identity erlauben. Tatsächlich kommt literarische MehrsprachigkeitMehrsprachigkeitliterarische Mehrsprachigkeit in erster Linie bei litauischenLitauenlitauisch AutorInnen vor, die entweder bereits gleich nach dem Zweiten WeltkriegWeltkriegZweiter Weltkrieg im Ausland geboren und sozialisiert wurden oder LitauenLitauen nach dem politischenPolitik/politicspolitisch/political Wandel um 1990 verlassen haben. Vor allem der Aspekt neuer globaler IdentitätenIdentität/identity wird eingehender am Beispiel des Romans Stasys Šaltoka (2017) von Gabija Grušaitė Grušaitė, Gabija untersucht.

Mārtiņš Laizāns widmet sich der Verbindung von Geistes- und Gaumenfreuden. Kulinarische und gastronomische Aspekte der Literatur sind naturgemäß, aufgrund der internationalen Verbreitung der diversen cuisines, mehrsprachigMehrsprachigkeitmehrsprachig und ihre literarische Verarbeitung dient gesellschaftlichen und politischenPolitik/politicspolitisch/political Positionsbeziehungen. Am Beispiel des lettischenLettland/Latvialettisch postmodernenPostmodernepostmodern, 1973 erschienenen aber sofort vergriffenen und erst in den letzten Jahren neuaufgelegten Romans Falscher FaustFaust/Faustus von Marģers Zariņš Zariņš, Marģers verweist Laizāns auf die komplexe Verfilzung von Kulinarischem und Sprachlichem in dieser bemerkenswerten humorvollen Auseinandersetzung mit der verworrenen lettischenLettland/Latvialettisch Geschichte der Jahre von 1930 bis 1945.

Die darauffolgenden Beiträge konzentrieren sich auf exophoneExophonieexophon/exophonic AutorInnen in der zeitgenössischen deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Literatur. Sandra Vlasta stellt das politischePolitik/politicspolitisch/political Potential literarischer MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit am Beispiel von Barbi Marković Marković, Barbi’ Roman Superheldinnen (2016) heraus. Sie verweist auf sprachliche, mediale, formale und kulturelle Grenzüberschreitungen einer grundsätzlich mehrsprachigMehrsprachigkeitmehrsprachig gedachten Literatur, welche bisherige literaturwissenschaftliche Kategorien und literaturpolitische Institutionen sprengt und zu einem Überdenken solcher Muster und Strukturen zwingt.

Auch Dinah Schöneichs Analyse stellt sprachliche und nationaleNationnational Grenzziehungen in Frage, indem sie am Beispiel von T.S. EliotsEliot, T.S. The Waste Land und Peter WaterhousesWaterhouse, Peter Prosperos Land aufzeigt, wie mittels von MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit und MehrdeutigkeitMehrdeutigkeit DynamikDynamik erzeugt wird. Während bei Eliot das Nebeneinander der Sprachen als Herausforderung für die Verständigung dargestellt und poetischPoetik/poeticspoetisch überwunden werden sollen, radikalisiert Waterhouses Gedicht das noch einmal, indem sprachliche und nationaleNationnational Grenzziehungen überhaupt unterwandert werden.

Tomás Espino Barrera untersucht José F.A. OliversOliver, José F.A. Prosawerk auf seine nomadische IdentitätIdentität/identity hin. Der aus Andalusien stammende in einem alemannischenalemannisch Schwarzwalddorf aufgewachsene Oliver bewegt sich zwischen den Sprachen und DialektenDialekt/Mundart und hinterfragt aus dieser transnationalentransnational und transregionalen IdentitätIdentität/identity heraus die deutscheDeutschlanddeutsch Staatsbürgerschaftspolitik. Am Beispiel von Olivers Einsatz von Mütter- und HausmetaphernMetapher/metaphor zeigt Espino Barrero das emanzipatorische und demokratische Potential dieser mehrsprachigenMehrsprachigkeitmehrsprachig Literatur auf.

Marko Pajević’ Beitrag beleuchtet die EthnographieEthnographie der deutschenDeutschlanddeutsch WeltansichtWeltansicht bei der japanisch-deutschenDeutschlanddeutsch Schriftstellerin Yoko TawadaTawada, Yoko. Am Beispiel dreier Gedichte zu den deutschenDeutschlanddeutsch Personalpronomina demonstriert der Essai die sprachbewusstseinssteigernde Wirkung exophonerExophonieexophon/exophonic Literatur. Der Vergleich von japanischenJapanJapanisch und deutschenDeutschlanddeutsch SprachstrukturenSprachstrukturen ermöglicht eine neue Sicht auf die eigene Sprache und die Erfahrung einer alternativenAlternativealternativ Weltansicht. Diese Relativierung der gewohnten Perspektive führt zu einer politischenPolitik/politicspolitisch/political Öffnung auf Verschiedenheit hin.

Auch Hélène Thiérard bezieht ihre theoretischen Überlegungen auf TawadasTawada, Yoko Werk. Thiérard stellt ExophonieExophonie und MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in den Zusammenhang der aktuellen UniversalismusdebatteUniversalitätUniversalismus/universalisme und präsentiert mit Hilfe von Barbara CassinCassin, Barbara und Souleymane Bachir DiagneDiagne, Souleymane Bachir alternativeAlternativealternativ Möglichkeiten, UniversalitätUniversalität zu denken, nachdem sich der europäischeEuropaeuropäisch UniversalismusUniversalitätUniversalismus/universalisme durch das immer größer werdende Bewusstsein seiner kolonialenKolonialismuskolonial Verzerrung disqualifiziert hat. Die Frage der ÜbersetzungÜbersetzung/translation und der UnübersetzbarkeitenÜbersetzung/translationUnübersetzbarkeiten/intraduisibles, die in mehrsprachigerMehrsprachigkeitmehrsprachig Literatur deutlich vor Augen tritt, macht eine andere Konzeption von Universalität erfahrbar und wird somit zu einem wichtigen Akteur in drängenden politischenPolitik/politicspolitisch/political Fragen unserer Zeit.

Silke Pasewalck und Dieter Neidlinger untersuchen die spezifische MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit des Romans Engel des Vergessens (2011) der slowenischSlowenienslowenisch-österreichischen Autorin Maja HaderlapHaderlap, Maja und zeigen auf, inwieweit dieses Buch nicht nur ein Bericht über die konfliktgeladene historischehistorisch Mehrsprachigkeit in KärntenKärnten darstellt, sondern darüber hinaus auch, wie diese poetologischPoetik/poeticspoetologisch den Text prägt. Diese Mehrsprachigkeit ist aus dem Niemandsland zwischen den Sprachen heraus geschrieben und ist dadurch mehr-sprachlichmehr-sprachlich, d.h. Haderlap entwickelt neue Sprachformen aus dem Spannungsfeld der Sprachen heraus.

Michael Navratils Beitrag untersucht MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit im Alternate HistoryAlternate History-Genre und in KontrafaktikKontrafaktik am Beispiel von Film und Literatur, indem er die Auseinandersetzung mit SprachalternativenSprachalternative in Quentin TarantinosTarantino, Quentin Inglourious Basterds und Christian KrachtsKracht, Christian Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten beleuchtet. Navratil weist nach, wie das sowohl der Mehrsprachigkeit als auch der Alternate History inhärente AlternativendenkenAlternativeAlternativdenken in beiden Werken ideologiekritisch problematisiert wird.

Abschließend berichtet der norwegischeNorwegen/NorwayNorwegisch/Norwegian, in EstlandEstland/Estonia und NorwegenNorwegen/Norway lebende Lyriker Øyvind Rangøy Rangøy, Øyvind, der 2019 einen renommierten estnischenEstland/Estoniaestnisch Literaturpreis für seinen ersten auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian verfassten Gedichtband erhielt, von seiner eigenen exophonenExophonieexophon/exophonic literarischen Praxis und den dieser zugrundeliegenden Erfahrungen und Fragestellungen.

Mehrsprachigkeit und das Politische

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