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3 PostkolonialeKolonialismuspostkolonial MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in EstlandEstland/Estonia und LettlandLettland/Latvia

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Erst durch die Geburt der neuen selbständigen Staaten EstlandEstland/Estonia und LettlandLettland/Latvia im Jahre 1918 haben EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und LettischLettland/LatviaLettisch/Latvian den Status einer Staatssprache erreicht. Damit einher ging auch die Möglichkeit, die Sprache in allen Lebensbereichen zu verwenden, auf dem Gebiet der Wissenschaft etwa bedeutete das großteils das Betreten von Neuland.

In EstlandEstland/Estonia wurde vom neuen Staat allen nationalenNationnational MinderheitenMinderheit (8 % Russen und 1,7 % DeutscheDeutschlandDeutsche, SchwedenSchweden, IngermanländerIngermanländer und WotenWoten) eine damals weltweit beispiellose Kulturautonomie gewährt und auch die staatliche Kulturförderung war nicht explizit auf die Staatssprache beschränkt (Hasselblatt 1997: 37–46). Obwohl die deutscheDeutschlanddeutsch Bevölkerungsgruppe EstlandsEstland/Estonia immer kleiner wurde (im Jahre 1881 machte sie 5,3%, im Jahre 1887 3,5%, im Jahre 1922 1,7 und im Jahre 1934 nur noch 1,5% der gesamten Bevölkerung aus), spielte sie immer eine grosse Rolle auf politischemPolitik/politicspolitisch/political, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Neben estnischsprachigen Schulen existierten in EstlandEstland/Estonia während der Zwischenkriegszeit auch deutschsprachigeDeutschlanddeutschsprachig und russischsprachige, es erschienen Zeitungen und sonstige Periodika in einer Reihe von Sprachen (DeutschDeutschlandDeutsch, RussischRusslandRussisch/Russian, JiddischJiddisch, SchwedischSchwedenSchwedisch). Im Universitätsunterricht wurde in den 1920er Jahren noch DeutschDeutschlandDeutsch und RussischRusslandRussisch/Russian verwendet (estnischsprachige Fachliteratur gab es zunächst noch kaum), aber der Übergang zum EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian vollzog sich konsequent und letztlich auch erfolgreich.

Obwohl zur Zeit der Republik EstlandsEstland/Estonia die Intellektuellen und viele Staatsbürger und Einwohner des Landes faktisch mehrsprachigMehrsprachigkeitmehrsprachig waren, imstande, sich auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, DeutschDeutschlandDeutsch und RussischRusslandRussisch/Russian, in „den drei lokalen Sprachen“, wie es hieß, auszudrücken, nahm in der Literatur MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit allmählich ab.

Nach dem Zweiten WeltkriegWeltkriegZweiter Weltkrieg zerfiel die estnischeEstland/Estoniaestnisch Literatur in zwei Teile, und da das Schicksal viele SchriftstellerInnen als Exilierte ins Ausland – nach SchwedenSchweden, Kanada, Australien, in die Vereinigten Staaten oder sonstwohin – verschlagen hatte, wurde ExophonieExophonie in der estnischenEstland/Estoniaestnisch Literatur zu einem Phänomen, das vor allem für die Textproduktion von ExilautorInnen charakteristisch war. Während die erste Generation estnischer ExilautorInnen vorwiegend auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian geschrieben hat, konnten die im Kindesalter aus dem estnischenEstland/Estoniaestnisch Sprachraum Herausgerissenen gelegentlich bereits in zwei Sprachen schreiben. Elin ToonaToona, Elin (1937) hat ihren im schwedischenSchwedenschwedisch Lund 1969 erschienenen Roman Lotukata auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und EnglischEnglisch/English (unter dem Titel In Search of Coffee Mountains) verfasst. Karin SaarsenSaarsen, Karin (1926–2018) hat auf SchwedischSchwedenSchwedisch und EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian geschrieben. Ihr letzter Lyrikband Lõvi ja orhidee (Löwe und Orchidee) enthält Gedichte auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, SchwedischSchwedenSchwedisch, EnglischEnglisch/English, DeutschDeutschlandDeutsch und FranzösischFrankreichFranzösisch.

Auf DeutschDeutschlandDeutsch haben die estnischenEstland/Estoniaestnisch ExilautorInnen allerdings nur noch selten geschrieben. Fast eine Ausnahme bildet das Werk von Ivar IvaskIvask, Ivar (1927–1992). Ivask wurde 1927 in Riga (man könnte sagen: auf der größten deutschenDeutschlanddeutsch Sprachinsel des BaltikumsBaltikum) als Sohn eines estnischenEstland/Estoniaestnisch Vaters und einer lettischenLettland/Latvialettisch Mutter geboren und wuchs mehrsprachigMehrsprachigkeitmehrsprachig auf: neben EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian wurde zu Hause auch LettischLettland/LatviaLettisch/Latvian und DeutschDeutschlandDeutsch gesprochen. Unter dem Einfluss von Rainer Maria RilkeRilke, Rainer Maria schrieb der 16-jährige seine ersten Gedichte in deutscherDeutschlanddeutsch Sprache. Vor der sowjetischenSowjetunionsowjetisch/Soviet Besatzung floh er 1944 nach DeutschlandDeutschland, erhielt seine akademische Bildung als Germanist in Marburg, wurde später Professor für vergleichende LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft an der University of Oklahoma und Chefredakteur der angesehenen Fachzeitschrift World Literature Today. Auf seine Initiative geht auch der renommierte Neustadt International Prize for Literature zurück. Ivask schrieb seine Lyrik auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, EnglischEnglisch/English und DeutschDeutschlandDeutsch (die nichtestnischen Werke sind Gespiegelte Erde (1967) und Baltic elegies (1987)).

Im Vorwort zu IvasksIvask, Ivar deutschsprachigem Gedichtband schreibt Herbert Eisenreich, dass Ivar Ivask mit seinem Gedichtband der deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Lyrik etwas Neues brachte und erklärt das wie folgt: Ivasks deutscheDeutschlanddeutsch Gedichte gewinnen, sagt er,

ihre Eigentümlichkeit und ihren doppelten Wert, den des Gefühlten und den des Gesagten, offensichtlich in dem Prozess und durch den Prozess der Aneignung: da, in dem doch fremdenFremdheitfremd IdiomIdiom, wurde einem nichts geschenkt, man musste es teuer erkaufen, verzweifelt erobern – und gelangte just dadurch weit über das Konventionelle hinaus (mit den geradezu unverfroren zusammengesetzten Hauptwörtern, zum Beispiel, oder in der naiven Wiedergewinnung der Anschaulichkeit von scheinbar verbrauchten Wort-Bildern). Oder anders ausgedrückt: Ich merke, dass da jemand Fremder meine MutterspracheMuttersprache/mother tongue spricht, und in dieser winzigen FremdheitFremdheit klingt sie, im allergenauesten Wortsinn, unerhört, in dieser winzigen Fremdheit hat sie nun wieder jungfräuliche Reinheit. Und mit dem fremdenFremdheitfremd Akzent sagt sie, diese Sprache, mir mehr, als sie’s in meinem eignen, gleichsam routinierten Gebrauch vermag. […] In diesen Versen [ist] fortgebildet, wie man im andern, im Fremden, zu sich kommt. Und vice versa.

(Eisenreich 1967: 7.)

Die im ExilExil geborene Generation schrieb allerdings (fast) nicht mehr auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, ihre Schaffenssprache wurde meistens die Sprache ihrer jeweiligen Wahlheimat.

In Sowjet-EstlandEstland/Estonia gelang es gleichzeitig, allen RussifizierungsversuchenRussifizierung zum Trotz, die estnischsprachige Bildung auf allen Ebenen – eine Errungenschaft der Vorkriegszeit –aufrechtzuerhalten, auch wenn gelegentlich die Verwendung russischerRusslandrussisch Sprache von den Autoritäten stark bevorzugt und gefördert wurden. Der westliche Teil der SowjetunionSowjetunion ist ein aufschlussreiches Untersuchungsfeld für all diejenigen, die sich für die Frage interessieren, wie Sprachen auf historischhistorisch-politische Umstände reagieren und ihrerseits darauf Einfluss nehmen können. Im Fall Sowjet-EstlandsEstland/Estonia folgte auf den politischPolitik/politicspolitisch/political und bildungspolitisch mit allen Mitteln geförderten Sprachwechselkurs zum RussischenRusslandRussisch/Russian hin als Reaktion eine verstärkte Pflege der estnischenEstland/Estoniaestnisch Sprache, bis hin zur Konservierung, eine von der Mehrheit der Urbevölkerung wohl als Selbstverständlichkeit empfundene Verwendung der estnischenEstland/Estoniaestnisch Sprache in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Man erwarb bis zum Ende der SowjetzeitSowjetunionSowjetzeit zwar relativ gute Kenntnisse der russischenRusslandrussisch Sprache, aber die Übernahme von Sprachelementen aus dem RussischenRusslandRussisch/Russian blieb trotzdem eher recht gering und oberflächlich.

EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian-russischerRusslandrussisch BilingualismusbilingualBilingualismus kam und kommt im Alltag zwar vor (siehe Verschik 2005; Verschik-Bone 2018), ExophonieExophonie gibt es in der Literatur trotzdem nur vereinzelt.

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