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V. Transformation und Re-Kontextualisierung des kirchlichen Dienstes
ОглавлениеDie soziologischen Untersuchungen und Reflexionen über die neue Ära, in deren Übergang wir uns befinden, bezeichnen diesen Übergang mit dem Begriff der „Transformation“33. Wenn, wie Papst Franziskus sagt, wir nicht in einer Ära des Wandels leben, sondern den Wandel einer Ära erleben, dann erleben wir Transformationsprozesse in allen Bereichen der Lebenswelten, der Arbeitswelten, der Organisationen, Institutionen und Strukturen, der gesellschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklungen. Bezüglich des kirchlichen Dienstes müssen wir daher auch von einer Transformation sprechen. Die Novellierung der Grundordnung von Seiten der deutschen Bischöfe 2015 und damit die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts war ein solcher Transformationsprozess.
Weiterhin: Wenn die neue Ära dieser Transformation eine Ära der Digitalisierung, der Schnelllebigkeit, der Flüchtigkeit, der Pluralität, Fluidität, postmoderner Lebensformen und Lebenswelten ist, wie wir es im zweiten Abschnitt skizziert haben, dann stellt sich auch die Frage nach der Begründung und Bedeutung des kirchlichen Dienstes in dieser neuen Ära.
Diese Transformationen, die es in der vergangenen Geschichte schon mehrfach gab (z. B. Renaissance, Humanismus, Reformation, Aufklärung, Industrialisierung, Säkularisierung, Modernisierung) wird für den Bereich der kirchlichen Verkündigung und Religionspädagogik mit dem Begriff „ Re-Kontextualisierung“34 bezeichnet. Re-Kontextualisierung bedeutet „Neuwerdung bei gleichzeitiger Bewahrung des Ursprünglichen“35. Dies bedeutet, dass immer wieder das Ursprüngliche in die neuen, sich wandelnden Kontexte neu verordnet und eingebunden werden muss, um erhalten zu bleiben.
So hat auch die Kirche viele solche Re-Kontextualisierungsprozesse (z. B. das II. Vatikanische Konzil) erlebt und vollzogen. Re-Kontextualisierung beinhaltet zwar eine grundlegende Erneuerung, sie bedeutet aber nicht den Verlust des eigentlichen und zum Beispiel in der Kirche und ihrer Geschichte die Erfindung eines völlig anderen Glaubens. Im Gegenteil: Durch die jeweiligen Re-Kontextualisierungen im Christentum konnte das Wesentliche des christlichen Glaubens gerade durch die Zeiten bewahrt werden.
In Zeiten der Transformation braucht es bei der Wahrnehmung der Zeitdiagnosen (Zeichen der Zeit) eine Rückbesinnung auf das Wesentliche, auf das Ursprüngliche. Siegfried Klostermann erinnert in seinem Buch „Management im kirchlichen Dienst“36 angesichts veränderter Zeiten und Rahmenbedingungen an die Notwendigkeit, sich des Grundes kirchlicher Trägerschaft und des Wesens des kirchlichen Dienstes wieder zu vergewissern.
„Wie jeder Wandel braucht auch der Gestaltwandel kirchlicher Trägerschaft eine Konstante - eine Mitte, die bei aller Veränderung unverändert bleibt. (…) Eine Veränderung, die die eigene Identität verdrängt, eine Veränderung, die auslöscht, was unverwechselbare Eigenart, Existenzgrund und kulturelles Selbstverständnis ist, wäre mehr als Umgestaltung von Strukturen und Arbeitsweisen - eine solche Veränderung würde die offene oder schleichende Auflösung kirchlicher Trägerschaft bedeuten.“37
Klostermann empfiehlt dabei einen Rückblick und eine Rückbesinnung auf die Gründungsgeschichte kirchlicher Trägerschaft38 und bringt es auf die kurze Formel: „Innovation durch Selbsterkundung.“39 In der Auseinandersetzung und Begegnung mit dem eigenen Ursprung, den ersten Anfängen und der Geschichte der eigenen Herkunft und der eigenen Gemeinschaft ereignen sich neue Impulse und Perspektiven. Die Begegnung mit dem Ursprung bedeutet auch, den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, der für das Entstehen der Trägerschaft grundlegend war, für das eigene Dasein, das Hier und Jetzt, das Sein in der Transformation neu zu begreifen. Gleiches gilt auch für den kirchlichen Dienst und die Dienstgemeinschaft in den kirchlichen Trägerschaften und Einrichtungen.
Kirchliche Einrichtungen und der kirchliche Dienst könnten dann sogar zu einem Ort der Unterbrechung werden. In der neuen Ära der pluriformen Moderne braucht es solche Unterbrechungen. Es braucht Orte der Dauerhaftigkeit, es braucht Orte der Zuverlässigkeit und Geborgenheit, Orte der Orientierung, Orte der Solidarität und Nächstenliebe, Orte der Hoffnung, Orte der Wahrheit und der Ganzheitlichkeit des Blicks auf den Menschen. Diese Orte der Unterbrechung des kirchlichen Dienstes, Trägerschaften und Dienstgemeinschaften sind Ausdruck einer Transformation und Re-Kontextualisierung. Und ohne Glaube und Vertrauen auf eine Wirklichkeit, die über das Hier und Jetzt hinausgeht, die größer ist als die Sorge um das eigene Leben, ohne persönliche Zuwendung zum Anderen, zum Nächsten - was wir mit dem Wort „Caritas“ bezeichnen - werden kirchliche Einrichtungen und der kirchliche Dienst seine christliche Botschaft nicht mehr überzeugend und glaubwürdig näherbringen können.
Norbert Feldhoff schloss seinen Vortrag beim „Dialogform Theologie“ des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart am 6. Juli 2009 mit folgenden Worten, die auch als Schlussworte dieses Beitrags dienen sollen:
„Noch ein Hinweis auf das, was Papst Johannes Paul II. in seinem apostolischen Schreiben zur Jahrtausendwende über die Bedeutung der Liebe für die kirchliche Gemeinschaft gesagt hat und was den Begriff Dienstgemeinschaft theologisch stärker füllen könnte. ‚Aus der innerkirchlichen Gemeinschaft öffnet sich die Liebe, wie es ihrer Natur entspricht, auf den universalen Dienst hin und stellt uns in den Einsatz einer tätigen, konkreten Liebe zu jedem Menschen. Das ist ein Bereich, der das christliche Leben, den kirchlichen Stil und die pastorale Planung gleichermaßen bestimmt und kennzeichnet.‘ Trotz aller Leistungsanforderungen, denen auch kirchliche Unternehmen unterliegen, trotz aller Unterschiede der Mitarbeiter nach Stellung, Verantwortung und Gehalt sollte der Stil des Umgangs miteinander von der Liebe geprägt sein - besonders dann, wenn wir uns ‚Caritas‘ nennen.“40
In Umsetzung dieses Grundverständnisses ist kirchlicher Dienst in der pluriformen Moderne ein Ort von Kirche.
1 Vgl. Kasper, Katholische Kirche. Wesen, Wirklichkeit und Sendung, 2011.
2 Vgl. Zulehner, Neue Schläuche für jungen Wein. Unterwegs in einer neuen Ära der Kirche, 2017, S. 13.
3 Vgl. Berger, Sehnsucht nach Sinn. Glauben in einer Zeit der Leichtgläubigkeit, 1994, S. 83.
4 Baumann, Flüchtige Moderne, 2003.
5 Rosa, Beschleunigung und Entfremdung, 2013.
6 Vgl. Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 136–143.
7 Vgl. Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997.
8 Vgl. Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 150 f.
9 Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 155.
10 Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 157.
11 Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 161.
12 Handke/Hamm, Es leben die Illusionen. Gespräche in Chaville und anderswo, 2006, S. 33.
13 Vgl. Keupp, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten, 2008, S. 207 ff.
14 Vgl. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, 6. Aufl. 1926.
15 Vgl. Herr, Arbeitgeber Kirche – Dienst in der Kirche, 1985, S. 65.
16 Vgl. Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011.
17 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 152.
18 Deutscher Caritasverband, Impulse für den Begriff der Dienstgemeinschaft, in: neue Caritas 01/2011.
19 Deutscher Caritasverband, Impulse für den Begriff der Dienstgemeinschaft, in: neue Caritas 01/2011, S. 35.
20 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 127–133.
21 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 153.
22 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst. Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993, Die deutschen Bischöfe Nr. 51, 11. Aufl. 2008, S. 7 f.
23 Vgl. Lob-Hüdepohl, Dienstgemeinschaft als Führungsmaxime und Achtsamkeitsgebot, in: Reichold, Hermann (Hg.), Führungskultur und Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen, 2017, S. 11–32.
24 Feldhoff weist bei dem Thema Outscourcing auf das Problem hin, das dann entsteht, „wenn bestimmte Teile eines kirchlichen Betriebs in vom selben Träger bestimmte Gesellschaften ausgelagert werden, um billigere Löhne zu zahlen.“ Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 99.
25 So schließt z. B. die Caritas aus finanziellen Gründen zum Ende Juni 2019 nach über 40 Jahren ihren Fachdienst Familienpflege (General-Anzeiger vom 26.03.2019, Caritas stellt Familienpflege ein, S. 17).
26 Bergold/Nitsche, Kirchlicher Dienst. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 124.
27 Vgl. Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 83–92.
28 Peters/Waterman, Auf der Suche nach Spitzenleistungen, 1984.
29 Peters/Waterman, Auf der Suche nach Spitzenleistungen, 1984, S. 8, 322.
30 Vgl. Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 151.
31 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 151.
32 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 131.
33 Vgl. z. B. Schneidewind, Die große Transformation: Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels, 2. Aufl. 2018; Brunnhuber, Die Kunst der Transformation, 2016.
34 Vgl. Bergold, Re-Kontextualisierung. Auftrag und Perspektive einer theologischen Erwachsenenbildung, in: Achilles, Mark; Roth, Markus, (Hg.), Theologische Erwachsenenbildung zwischen Pastoral und Katechese, 2014; Bergold/Boschki, Einführung in die theologische Erwachsenenbildung, 2014.
35 Bergold/Boschki, Einführung in die theologische Erwachsenenbildung, 2014, S. 83.
36 Klostermann, Management im kirchlichen Dienst, 1997.
37 Klostermann, Management im kirchlichen Dienst, 1997, S. 60.
38 Vgl. Klostermann, Management im kirchlichen Dienst, 1997, S. 81–168.
39 Klostermann, Management im kirchlichen Dienst, 1997, S. 83.
40 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 133.