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1.2.1. Die klerikale Schriftkultur und der Bildungshorizont adliger Laien

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SchriftlichkeitSchriftlichkeit hatte im Mittelalter, also vor der Erfindung des Buchdrucks, einen ganz anderen Stellenwert als in der Moderne. Sie war eine knappe kulturelle Ressource, einerseits bedingt durch die enormen Kosten des Beschreibstoffs Pergament (→ Kap. 2.), andererseits durch den geringen Bildungsgrad innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft. Nur eine kleine kulturelle und gesellschaftliche Elite verfügte über die finanziellen Mittel und Bildungsressourcen, an der Schriftlichkeit zu partizipieren. Lesen und schreiben lernte man in der Regel an Kathedral- und Klosterschulen. Bildung, klerikaleDie in lateinischer Sprache ausgebildeten Schüler waren für eine geistliche Laufbahn vorgesehen. Die Verkehrssprache im pragmatischen Schrifttum – in der Theologie, in der Verwaltung, im Recht, in der Wissenschaft usw. – war im 12. und 13. Jahrhundert nahezu ausschließlich Latein. Volkssprachliche Texte stellen nur einen Randbereich innerhalb der mittelalterlichen SchriftlichkeitSchriftlichkeit dar. Die Autoren umfangreicher Erzähltexte haben höchstwahrscheinlich eine klerikale Ausbildung erhalten und eine Lateinschule besucht, da sich sonst ihre umfangreichen Kenntnisse in Rhetorik, Theologie, Naturkunde usw. kaum erklären lassen. Zudem speisen sie in die volkssprachige Dichtung gelehrtes Wissen ein, das aus den lateinischen Text- und Bildungstraditionen stammt (Reuvekamp 2013). Als Rezipienten volkssprachiger Erzähltexte kommen in erster Linie Laienadelige infrage, die nicht für eine geistliche Laufbahn bestimmt und des Lateins nicht mächtig waren. Wie man sich konkret die Rezeption der volkssprachlichen Literatur vorstellen muss, ist in der Forschung umstritten. Die meisten Mediävisten gehen davon aus, dass Erzähltexte den laienadeligen Analphabeten vorgelesen wurden (Green 1994)Vortrags--praxis. Zeugnisse für eine solche Vorlesesituation sind aber spärlich und begegnen nur in der Literatur selbst. Wenn eine Lesung in der Dichtung als Motiv begegnet, dann sind es nicht schulgebildete Geistliche, die den Text an eine analphabete laienadelige Zuhörerschaft vermitteln, sondern (zumeist weibliche) Einzelpersonen aus dem Laienadel selbst. Charakteristisch für eine solche Lesung ist eine Stelle im ‚Iwein‘ Hartmanns, wo ein Mädchen ihren hochadeligen Eltern etwas auf Französisch vorliest:

unde vor in beiden saz ein magt,

diu vil wol, ist mir gesagt,

wälsch lesen kunde:

diu kurzte in die stunde.

ouch mohte sî ein lachen

lîhte an in gemachen:

ez dûhte sî guot swaz sî las,

wand sî ir beider tohter was. (HaIw 6455–6462)

Vor ihnen beiden saß ein Mädchen, die sehr gut, wie mir erzählt wurde, französisch lesen konnte. Die vertrieb ihnen die Zeit. Zudem konnte sie die beiden sehr leicht zum Lachen bringen: Was auch immer sie vorlas, gefiel ihnen, denn sie war ihrer beider Tochter.

Lesekundige Laienadelige begegnen allenthalben in der volkssprachlichen Literatur. Daraus ist gegen die Mehrheitsmeinung in der Mediävistik geschlossen worden, dass Lese- und Schreibkenntnisse im Laienadel weit verbreitet gewesen sein mussten (Scholz 1980, Ernst 1997). Die Divergenz der wissenschaftlichen Annahmen gründet in der schlechten Quellenlage, die es verunmöglicht, sich ein genaues Bild zu machen. Wenn man geneigt ist, den literarischen Zeugnissen über Lese- und Schreibfähigkeiten von Laien Erkenntniswert für die historische Wirklichkeit zuzugestehen, so bleibt dennoch das Dilemma, dass sich diese Zeugnisse widersprechen: Neben solchen, die den schriftliterarisch gebildeten Laienadeligen fokussieren, finden sich Texte, in denen Laien der Schrift verständnislos gegenüberstehen und auf die Hilfe klerikaler Vermittler angewiesen sind (Reuvekamp-Felber 2003). Vortrags--praxis HofkulturAm plausibelsten erscheint die Annahme, dass innerhalb der Gruppe des weitgehend schriftunkundigen Adels eine kleine kulturelle Elite existierte, die sich durch Lese- sowie Schreibkenntnisse auszeichnete und literarische Texte in Lesungen oder in privater Lektüre rezipierte. Denn auch für die private Lektüre von Literatur bietet die mittelalterliche Dichtung einige wenige Zeugnisse. Ein instruktives Beispiel begegnet in der Kurzerzählung ‚Der Welt Lohn‘ Konrads von WürzburgKonrad von Würzburg, ‚Der Welt Lohn‘ (nach 1250). Der Protagonist sitzt zu Beginn der Erzählung zu Hause und liest in einem Buch:

Sus saz der hôchgelobte

in einer kemenâten,

mit fröuden wol berâten,

und hæte ein buoch in sîner hant,

dar an er âventiure vant

von der minne geschriben.

dar obe hæte er dô vertriben

den tag unz ûf die vesperzît;

sîn fröude was vil harte wît

von süezer rede die er las. (KoWL 52–61)

Einst saß der Hochgerühmte glückselig in einem Zimmer und hielt ein Buch in seiner Hand, worin er Liebesgeschichten fand. Damit hatte er sich den ganzen Tag bis zum Abend vertrieben. Er hatte sehr große Freude an den köstlichen Erzählungen, die er las.

Hartmann von Aue

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