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1.2.3. Literaturgeschichtliche Linien I: Die Anfänge höfischer Dichtung im deutschsprachigen Raum
ОглавлениеDie Neuorientierung des Literaturbetriebs fiel mit einem tiefgreifenden kulturellen Umbruch im Regnum Teutonicum zusammen. Der Adel, der die Herrschaft über die deutschen Territorien ausübte, orientierte sich bereits ab der Mitte des 11. Jahrhunderts – aber nun im 12. Jahrhundert verstärkt – in seinen kulturellen Ausdrucksformen an seinen französischen Standesgenossen.Hofkultur RomaniaDie französische Sachkultur, die sich in der Architektur, der Mode, den Sitten, im Essen, im Waffenhandwerk usw. ausdrückte, war im Reich en vogue und beeinflusste den deutschen Adel massiv. höfische RepräsentationAuch die mittelalterliche deutsche Sprache (mittelhochdeutsch und mittelniederdeutsch) spiegelt den kulturellen Einfluss Frankreichs in dieser Zeit: Viele französische Wörter gelangten ins Deutsche. Für das 12. Jahrhundert hat man 350, für das 13. Jahrhundert 700 französische Lehnwörter wie Turnier/turnoi, tanzen/danser usw. nachgewiesen. Was in unserer heutigen Zeit die Anglizismen sind, waren im 12. Jahrhundert die Französismen. Hofkultur RomaniaDoch nicht nur französische Kleidungsstücke, Anstandsregeln, Baustile und Lehnwörter fanden durch den Kulturkontakt ihren Weg ins Reich, sondern ab Mitte des 12. Jahrhunderts eben auch literarische Texte, die von adligen Werthaltungen und Interessen geprägt waren (Bumke 1990). Am Beginn dieses Literaturtransfers standen zum einen antike historische StoffeAntikenroman, deren mittelalterliche französische Neudichtungen in der Germania adaptiert wurden. So wurde um 1150/60 der ‚Roman d’Alexandre‘ Alberics von BisinzoAlberic von Bisinzo, ‚Roman d’Alexandre‘, der die Geschichte Alexanders des Großen erzählt, von einem Geistlichen namens Lamprecht Lamprecht, ‚Alexanderroman‘in deutscher Sprache retextualisiert, um 1180/85 folgte dann der ‚Eneasroman‘ Heinrichs von VeldekeHeinrich von Veldeke‚Eneasroman‘, eine Adaptation des anonymen französischen ‚Roman d’Eneas‘‚Roman d’Eneas‘. Stoffliche Grundlage beider Romane ist die ‚Aeneis‘ VergilsVergil, ‚Aeneis‘, die von den Abenteuern und Irrfahrten des Trojaflüchtlings Aeneas erzählt, der auf Geheiß der Götter das brennende Troja mit seinem Gefolge verlässt, in Italien ansässig wird und dort eine Herrschaft begründet, die schließlich das (genealogische) Fundament des späteren Römischen Reiches darstellt. Zum anderen begegnen Texte, die von Begebenheiten der eigenen, mittelalterlichen Geschichte erzählen: So um 1170 das ‚Rolandslied‘ des Pfaffen KonradKonrad, ‚Rolandslied‘, das auf die anonyme französische ‚Chanson de Roland‘ ‚Chanson de Roland‘zurückgeht und vom Spanienfeldzug und der militärischen Niederlage Karls des Großen erzählt, sowie wohl auf einheimische mündliche Traditionen zurückgehende (pseudo-)historische Epen wie ‚König Rother‘‚König Rother‘, der die (kriegerische) Brautwerbungsfahrt des Großvaters Karls des Großen imaginiert, oder ‚Herzog Ernst‘‚Herzog Ernst‘, der von der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Kaiser Otto und dem Titelhelden sowie von dessen Abenteuern im Exil im Orient erzählt. Allen diesen Texten ist gemeinsam, dass sie historisch-politische oder auch religiös-heilsgeschichtliche Fragen in den Vordergrund stellen: nach (idealer) Herrschaft, der Reichsgeschichte, dem Kreuzzug, der Auseinandersetzung mit dem Islam usw.
Solche thematischen Akzentuierungen von Krieg, Herrschaft und Religion erfuhren im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von VeldekeHeinrich von Veldeke‚Eneasroman‘ eine für die weitere deutsche Literaturgeschichte spezifische Erweiterung, da der Protagonist Eneas am Ende des Romans seiner späteren Ehefrau und großen Liebe, Lavinia, begegnet. Bereits der anonyme französische Autor hat das römische Staatsepos VergilsVergil, ‚Aeneis‘ über weite Strecken in einen Liebesroman verwandelt. Er hat die Abenteuer des Trojaflüchtlings gekürzt und die politischen Motive zurückgedrängt, aber dafür die beiden Liebesepisoden mit Dido und Lavinia stark ausgebaut. Veldeke ist seiner Vorlage in dieser Umakzentuierung gefolgt und kann damit für die deutsche Literaturgeschichte als Neuerer gelten, der erstmals die emotionale und erotische Beziehung zweier Menschen zum Thema der epischen Literatur macht – und dies mit all ihren möglichen Folgen: höfische Liebedem drohenden Selbstverlust, der reflexiven Infragestellung der eigenen emotionalen Stabilität, den Unwägbarkeiten, Unsicherheiten, dem Leid, aber auch dem Glück. In der Nachfolge Veldekes war die Liebe oft das Hauptthema deutschsprachiger Dichtung. So ist es nicht verwunderlich, dass Gottfried von StraßburgGottfried von Straßburg‚Tristan‘ in seinem epochalen Liebes- und Abenteuerroman ‚Tristan‘ um 1210 in Heinrich von Veldeke, der auch als Liebeslyriker in Erscheinung trat, den Ursprung meisterlicher Dichtkunst und das Vorbild zeitgenössischer Autoren sieht:
von Veldeken Heinrîch
der sprach ûz vollen sinnen;
wie wol sanc er von minnen!
wie schône er sînen sin besneit!
Ich wæne, er sîne wîsheit
ûz Pêgases urspringe nam,
von dem diu wîsheit elliu kam.
ine hân sîn selbe niht gesehen;
nû hœre ich aber die besten jehen,
die, die bî sînen jâren
und sît her meister wâren,
die selben gebent im einen prîs:
er inpfete daz êrste rîs
in tiutischer zungen:
dâ von sît este ersprungen,
von den die bluomen kâmen,
dâ sî die spæhe ûz nâmen
der meisterlîchen vünde;
und ist diu selbe künde
sô wîten gebreitet,
sô manege wîs zeleitet,
daz alle, die nu sprechent,
daz die den wunsch dâ brechent
von bluomen und von rîsen
an worten unde an wîsen. (GoTr 4726–4750)
Heinrich von Veldeke dichtete mit großem Sachverstand. Wie gut er von der Liebe sang! Wie schön er den Sinn herausarbeitete! Ich vermute, dass er seine Weisheit aus der Quelle des Pegasus schöpfte, von wo alle Weisheit stammte. Ich habe ihn selbst nicht mehr kennengelernt, aber ich höre jetzt noch die Besten sagen, die zu seiner Zeit und danach Meister (der Dichtkunst) waren, dass sie ihm einen Verdienst zurechnen: Er pflanzte den ersten Baum in deutscher Sprache. Aus diesem entsprangen seither Äste, aus denen jene Blumen hervorsprossen, aus denen die Dichter nach ihm die Kunst der meisterlichen Ideen herausbrachen. Dieses Wissen (über Heinrich) hat sich so weit verbreitet und in so viele Richtungen zerstreut, dass alle, die heutzutage dichten, ihre Kreativität im Umgang mit Worten und Melodien von seinen Blumen und Ästen hernehmen.